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Wichtiger Schritt im nötigen Umdenkprozess

Verica Spasovska19. November 2003

Angesichts der parteiinternen Auseinandersetzungen war der SPD-Parteitag mit Spannung erwartet worden. Und die Delegierten machten sich tatsächlich Luft. Eine Bilanz.

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Bundeskanzler Schröder hat sein Ziel auf dem Parteitag in Bochum erreicht. Die Partei folgt ihm, wenn auch widerwillig, wie die schlechten Wahlergebnisse insbesondere des SPD-Generalsekretärs zeigen. Die Basis folgt, aber sie zeigt noch immer wenig Bereitschaft, die ökonomischen Realitäten anzuerkennen. Die Tatsache nämlich, dass die sozialen Sicherungssysteme die Anforderungen einer älter werdenden Gesellschaft nicht mehr ausreichend erfüllen können.

Wie sehr die Parteibasis an linken Positionen festhält, lässt sich etwa an der aus wirtschaftlicher Sicht höchst umstrittenen Forderung nach einer Ausbildungsabgabe ablesen. Ein Vorschlag, der die Parteilinke besänftigen und Wind aus der anhaltenden Diskussion um die sozialdemokratischen Grundwerte der Partei nehmen sollte.

Hohe Erwartungen

Die Erwartungen an diesen Parteitag waren hoch. Der Druck auf den Parteivorsitzenden Schröder immens. Er sollte das Wunder vollbringen, der verunsicherten Parteibasis neuen politischen Mut zu vermitteln. Angesichts dramatisch sinkender Umfrageergebnisse, verlorener Wahlen und des drastischen Mitgliederschwunds ist dies dringend nötig.

Der Kanzler versuchte, den Blick nach vorne zu richten. Er tat dies mit Verve, mit Ernst, und er blieb sich selber treu. In seiner Rede an die Partei, in der er den Mut zum Wandel beschwor, in der er die Vision einer Gesellschaft entwarf, die ein gerechtes Bildungssystem hat, wirkte Schröder authentisch. Dies wurde auch an der Parteibasis durchaus gewürdigt.

Personalisierte Sachfragen

Es war jedoch bezeichnend für diesen Parteitag, dass die Partei die Sachfragen personalisierte. Statt einer wirklich kontroversen Diskussion um die eigentlichen Knackpunkte zu führen, um die vorgezogenen Kürzungen und Belastungen für die Rentner, Arbeitslosen und Krankenversicherten, entlud sich der Unmut der Partei in den anschließenden Wahlen des Parteivorstands. Während Schröder mit einem relativ passablen Ergebnis im Amt bestätigt wurde, erreichten SPD-Generalsekretär Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement nur mit Mühe die notwendigen Stimmen.

Beide repräsentieren am deutlichsten die Inhalte des Reformkurses, jener Agenda 2010, die der Parteibasis nicht passen. SPD-Vize Wolfgang Thierse hat recht, wenn er bemängelt, dass die Delegierten in Bochum die Chance vertan haben, in einer inhaltlichen Auseinandersetzung "die Fetzen fliegen zu lassen", um anschließend um so nüchterner abzustimmen.

Fanfarenklänge statt Aufbruchssignal

Ist es der Parteispitze gelungen, ein klares Aufbruchssignal zu vermitteln, wie sie es zuvor ankündigte? Es waren wohl keine Fanfarenklänge, die in Bochum zu hören waren. Aber dieser Parteitag war dennoch ein erster wichtiger Schritt in einem Prozess des Umdenkens angesichts wirtschaftlicher Realitäten, in die die alten Konzepte nicht mehr hineinpassen.

Die SPD muss nicht nur in eine intensive Diskussion um ihr Selbstverständnis als Partei eintreten, sie muss auch die Probleme in der eigenen Partei gründlich analysieren. Dabei geht es vor etwa um die Frage, ob die Kommunikationsstrukturen zwischen Parteispitze und Basis ausreichend funktionieren, wie der Nachwuchsmangel in den Führungsriegen behoben und der Mitgliederschwund gestoppt werden kann.

Sigmar Gabriel, das Schwergewicht aus Niedersachsen, nannte den Parteitag "ein bißchen gespenstisch", denn die Aussprachen erbrachten nicht die fruchtbare Diskussion, nicht das klärende Ringen, das für einen innerparteilichen Klärungsprozess notwendig ist.

Selbstkritik

Nun rächt sich, dass die SPD es in den Jahren der Opposition versäumt hat, eine Sozialpolitik für das 21.Jahrhundert zu entwickeln. Sie unterließ es, ein realistisches Konzept für die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Sozialstaates zu entwerfen. Dies räumte zumindest NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück selbstkritisch ein. Diese Einsicht kommt spät. Aber der Parteitag in Bochum zeigt, dass sie allmählich beginnt, sich durchzusetzen. Es ist ein schmerzlicher Prozess. Aber für eine Partei, die in der Regierungsverantwortung steht, ist er unumgänglich.