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Wider die Ökonomisierung

Das Gespräch führte Klaudia Prevezanos23. Mai 2003

Dirk Kurbjuweit ist "Spiegel"-Reporter und Autor. In seinem Buch "Unser effizientes Leben" kritisiert er, dass Effizienz zunehmend in allen Lebensbereichen als Ziel gilt. DW-WORLD sprach mit ihm über diese Entwicklung.

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Moderne Menschen: mobil, flexibel und leistungsfähigBild: Illuscope

DW-WORLD: Herr Kurbjuweit, Sie kritisieren die Ökonomisierung und Effizienzsteigerung in allen Lebensbereichen. Nicht nur in der Wirtschaft, auch in der Kultur oder Medizin. Was ist daran so schlimm?

Dirk Kurbjuweit: Eigentlich stelle ich eine Frage: Ob eine Welt lebenswert sein kann, in der alles dem Effizienzprinzip unterliegt. Effizienz heißt nicht nur, dass etwas entsteht, was im Einzelfall sinnvoll sein kann, sondern auch, dass etwas verloren geht. Das Prinzip der Effizienzsteigerung ist ja, dass man bestimmte Dinge, die als störend empfunden werden, wegschneidet. Aber müssen Dinge wie Müßiggang oder Nachdenklichkeit aus unserem Leben eliminiert werden? Ich halte das nicht für sinnvoll und diese Entwicklung für bedenklich.

Was geht denn verloren?

In der Medizin finde ich das ganz besonders offenkundig. Zuwendungsmedizin spielt dort immer weniger eine Rolle. Alles, was Ärzte und Krankenschwestern tun, muss in einem übergeordneten Sinne medizinisch sinnvoll sein. Dazu gehört das Gespräch oft nicht. Als kranker Mensch braucht man das aber besonders, in einem Leistungskatalog der neueren Art findet diese Art von Zuwendung jedoch oft keine Aufnahme mehr. Nicht in allen Bereichen ist Effizienzsteigerung sinnvoll. Mir hat ein Chefarzt geschrieben, wie es in seinem Krankenhaus zugeht, seit die Beratungsfirma McKinsey, die das Prinzip der Effizienz besonders nachdrücklich vertritt, dort war: Alle Abläufe wurden so gestrafft, dass nur noch Spritzen gesetzt werden können – überspitzt gesagt.

Buchcover Dirk Kurbjuweit
Dirk Kurbjuweit: Unser effizientes Leben - Die Diktatur der Ökonomie und ihre Folgen, ISBN 3-498-03510-X

Anderes Beispiel: Ein Freund von mir leitet ein Theater, und dessen großer Traum ist es, das Haus in eine GmbH umzuwandeln. Dann kann er seine Leute genauso behandeln wie in einem normalen Unternehmen und effiziente Strukturen schaffen. Gewisse Effizienz braucht sicher auch ein Theater, aber gelten für ein solches Haus, in dem die Kreativität die größte Rolle spielen sollte, nicht ganz andere Gesetze? Ist es nicht gerade dort wichtig, dass es Nischen gibt, die nicht ausgekehrt werden von McKinsey oder anderen Beratungsfirmen? Sondern dass es Ecken gibt, in denen sich jemand eine Woche aufhält, ohne dass man genau weiß, was er gemacht hat. Aber vielleicht kommt er irgendwann mit einer genialen Idee an, und dann hat es sich gelohnt.

Sie schreiben, auf die Beschleunigung und Ökonomisierung folgen Verödung, Überforderung und Verhärtung. Übertreiben Sie nicht etwas?

Für meinen Geschmack habe ich genug Indizien dafür, dass das eine Entwicklung ist, die ich nicht für lebenswert halte. Ich denke auf jeden Fall, dass diese Konsequenzen einsetzen werden. Das Beispiel mit der Verödung sehen wir in unseren Großstädten doch schon überall. Ich reise in meinem Job viel, und wenn ich in New York ankomme oder in Paris habe ich das Gefühl, ich habe mich gar nicht bewegt. Allein die Läden sind doch überall die gleichen. Das empfinde ich bereits als erste Stufe der Verödung. Mir wäre es lieber, ich könnte auch mal irgendwo hinkommen, wo alles ganz anders ist.

Mit Verhärtung meine ich, dass die Gegensätze in einer durchökonomisierten Gesellschaft wachsen. Ein großer Teil wird belohnt, weil er flexibel und mobil, leistungs- und anpassungsfähig ist. Nach meinen Recherchen gibt es aber einen großen Teil von Menschen, die sind einfach nicht flexibel. Denen macht es Angst, wenn man von ihnen erwartet, dass sie permanent umziehen, oder ein Jahr lang diesen Job machen, danach einen anderen. Damit überfordert man die wahnsinnig. Zudem können wir die wachsenden Differenzen zwischen den Schichten beobachten, und ich glaube, dass das zu einer Verhärtung der Verteilungskämpfe führt.

Ist die Entwicklung hin zu einer Gesellschaft, in der Effizienz oberstes Ziel ist, ein internationales Phänomen?

Es ist eindeutig ein internationales Phänomen, das auch nicht bei uns erfunden wurde. Die Unternehmensberatung McKinsey ist ein amerikanisches Unternehmen. Über solche Firmen wandert es in alle möglichen anderen Staaten, natürlich auch nach Westeuropa. Aus meiner Fernbeobachtung kann ich sagen, dass die Entwicklungen in unserer westeuropäischen Welt sehr stark angeglichen sind. Weil dort prinzipiell das gleiche Wirtschaftssystem gilt, wird das auch in ähnlicher Weise ausstrahlen. Beratungsunternehmen spielen jetzt auch beim Umbau der ehemals sozialistischen Länder eine Riesenrolle. McKinsey hat schon längst ein Büro in Moskau oder Prag und wächst am stärksten in diesen ehemaligen Ostblockländern, ohne dass ich das jetzt mit Zahlen belegen kann.

Sie schreiben als letzten Satz Ihres Buches: "Widerstand müsste bei jedem selbst beginnen." Wie kann der aussehen?

Ich rufe nicht zum Widerstand auf, sondern zeige die Welt, wie ich sie sehe. Jeder kann sich selbst überlegen, ob er sich dagegen wehren will oder nicht. Es gibt eine Diktatur der Ökonomie, der wir uns sehr stark anpassen. Durch die wirtschaftliche Krise in unserem Land und die hohe Arbeitslosigkeit werden sich die Leute natürlich auch freiwillig an die Anforderungen der Ökonomie und der Unternehmen anpassen, weil sie Angst um ihren Job haben. Etwas, das ich sehr gut verstehen kann. Man sollte sich aber dessen bewusst sein. Auch, dass wir uns alle dadurch verändern. Wenn man irgendwann zu der Erkenntnis kommt, dass das nicht in die richtige Gesellschaft führt, sollte man bei sich selbst anfangen und sagen: ich mache das und das nicht mehr mit.

Aus meinem eigenen Leben habe ich ein Beispiel dafür, wie man sich auch mal anders verhalten kann. In der Frage, mit welchem Alter ein Kind zur Schule gehen sollte, ist die überwiegende Meinung: je früher desto besser. Damit das Kind dem Arbeits- und Berufsleben möglichst jung zur Verfügung steht und die Karriere möglichst früh anfangen kann. Wir haben natürlich auch darüber nachgedacht, ob wir unserem Sohn vielleicht Chancen nehmen, wenn er später im Assessmentcenter zu alt ist, weil er erst mit sieben in die Schule gekommen ist. Wir haben uns aber doch dagegen entschieden, unser Kind für den Arbeitsmarkt zurechtzutrimmen. So kann unser Sohn noch ein Jahr länger spielen.

Dirk Kurbjuweit: Unser effizientes Leben – Die Diktatur der Ökonomie und ihre Folgen, rowohlt Verlag, 2003, ISBN 3-498-03510-X, 17,90 Euro