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Widerstand gegen Angriffe auf Grundwerte

Heinrich Bergstresser26. Mai 2004

Es ist weit mehr als nur ein Ritual, wenn die Organisation Amnesty International (ai) ihren Jahresbericht vorlegt: Für die einen ist es Bestätigung, für die anderen Anklage. Heinrich Bergstresser kommentiert.

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Für viele Menschen bedeutet der jährliche Auftritt von Amnesty Internatinal Hoffung auf eine Verbesserung der Menschenrechtssituation und eine Bestätigung ihrer oft lebensgefährlichen Arbeit. Für zahlreiche autoritäre und repressive Regierungen, aber auch gewalttätige Oppositionsgruppen in allen Teilen der Welt dagegen gilt der ai-Jahresbericht im besten Fall als schweres Ärgernis und ansonsten als ständiger Stachel im Fleisch der Möchtegern-Potentaten. Der Irak-Krieg und der internationale Terrorismus haben nun aber auch die westlichen Demokratien - allen voran die USA und ihre Koalitionäre - ins Visier der internationalen Menschen- und Bürgerrechtsbewegung gerückt.

Beunruhigende Zwischentöne

Wenn Amnesty International an die Öffentlichkeit tritt, erwarten Regierungen, Oppositionelle wie auch Menschenrechtsgruppen weltweit eine klare und ungeschminkte Darstellungen der Menschenrechtssituation. Daran hat sich auch diesmal nichts geändert. Geändert aber haben sich die Zahlen und die Zwischentöne - leider zum Schlechteren. Denn was sich seit einigen Jahren andeutet - eine schleichende Unterwanderung der bisherigen Mindeststandards im Völker- und Menschenrecht - belegen die nackten Zahlen des ai-Jahresberichtes 2004. Er belegt auf bedrückende Weise, dass Regierungen, bewaffnete Oppositionsgruppen und Einzelpersonen Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht zunehmend ignorieren.

Eigentlich nichts wirklich Neues, zumindest nicht für die seit Jahren bekannten Übeltäter in Kolumbien, in der Demokratischen Republik Kongo, in Nepal, in Tschetschenien und in China, um nur einige zu nennen. Die Machenschaften dieser Staaten sind aber zum Leidwesen der Betroffenen weit in den Hintergrund getreten - eine bittere Erkenntnis, dank des Irak-Krieges, des Nahost-Konfliktes und dank des ungeschickten Kampfes gegen den Terrorismus.

Folter kein Tabu mehr

Was aber den Menschen- und Bürgerrechtlern zu recht die Schamröte ins Gesicht schießen lässt, ist die Haltung zur Folter. Denn selbst in Rechtsstaaten verstummt die Debatte um die Zulässigkeit von Folter nicht und ist somit auch kein Tabuthema mehr. Was nichts anderes heißt, als dass der frontale Angriff auf demokratische Grundwerte und rechtsstaatliche Prinzipien bereits angelaufen ist.

Privatisierte Sicherheit

Dazu trägt auch die schrittweise Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols in den westlichen Demokratien zugunsten der Privatisierung von Sicherheit bei; eigentlich ein Phänomen schwacher Staaten. Dies wird aber zunehmend mit neuen erfolgversprechenden Methoden im Kampf gegen Terror und Schwerkriminalität begründet. Doch in dem das öffentliche und so wertvolle Gut Sicherheit zur Ware wird, untergräbt sie systematisch auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Und beides sind nun einmal Grundvoraussetzungen für den Schutz von Menschen- und Bürgerrechten und das stärkste Mittel im Kampf gegen den Terrorismus.

Amnesty ist sich der Gefahr bewusst, die aus der Politik und der Wirtschaft droht. Und nicht umsonst stellt ai seinen Jahresbericht unter das Motto: "Widerstand gegen Angriffe auf Grundwerte leisten!" Dem kann man sich nicht nur, dem muss man sich anschließen, will man sich nicht kampflos restaurativen und autoritären Zeiten auch in Demokratien ergeben.