1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie bedrohlich ist Bioterror?

Ingun Arnold1. März 2005

Bioterrorismus braucht zwei Dinge: ausreichend tödliche Bakterien oder Viren und den Willen, viele Leute zu vernichten. Das Szenario ist nicht immer realistisch.

https://p.dw.com/p/6JOs
Alles rennet, rettet, flüchtetBild: AP


"Die Biowaffe muss Durchschlagskraft haben – sowohl psychologisch als auch wirtschaftlich und militärisch. Aber das hat sie nicht", sagt Professor Sucharit Bhakdi, Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Universität Mainz. Er sieht die bioterroristische Bedrohung kritisch.

Bioterror
Bild: AP

Immer wieder macht Bhakdi darauf aufmerksam, dass die Gefahren nicht selten "vermeintlich" und von den "Medien und der Öffentlichkeit hochgespielt" sind. Er erklärt seine These am Beispiel der Anthrax-Briefe, die 2001 in Amerika verschickt wurden: 5 Menschen starben damals an Lungenmilzbrand, 12 oder 13 wurden geheilt. 20 bis 30 erkrankten an Hautmilzbrand, der nicht tödlich verläuft. 50 bis 100 weitere Menschen trugen das Virus, erkrankten aber nicht. Das sei für eine "ernsthafte Bedrohung" zu wenig, meint der Wissenschaftler.

Ganz anders sieht das die internationale kriminalpolizeiliche Organisation Interpol. "Seit den Angriffen mit Anthrax in den USA wissen wir, dass eine kleine Menge Bio-Material globale Auswirkungen haben kann - jenseits des Zielgebietes," erklärt der Generalsekretär von Interpol, Ronald Noble. Deshalb hat Interpol eine Anti-Bioterrorismus-Einheit gegründet.

Nur viel hilft viel

Robuste, hochansteckende Erreger, die sich rasch verbreiten und möglichst tödliche Krankheiten hervorrufen, sind schwierig zu beschaffen. Die meisten Erreger sind in ihrer natürlichen Form für Waffenzwecke nicht geeignet, auch nicht Anthrax (Milzbrand) oder Pest. Sie "aufzurüsten", ist nichts für Hobbyforscher in Garagenlabors. "Biowaffenfähige Anthrax-Sporen herzustellen, erfordert Spezialwissen und Spezialausrüstungen, wie sie wahrscheinlich nur noch amerikanische Labors haben", sagt Bhakdi.

Die Herstellung von waffenfähigen Bakterien- und Virenstämmen wurde ohnehin 1972 mit der Biowaffenkonvention verboten. Die Vergabe von potentiell biowaffenfähigen Erregerstämmen zu Forschungszwecken ist streng geregelt: Nur etablierte wissenschaftliche Labors erhalten sie nach eingehender Prüfung.

Wie groß ist die Gefahr?

Das größte Problem besteht wahrscheinlich darin, die Erreger in die Waffentechnik zu integrieren. Bei Anthrax zum Beispiel ist die notwendige Dosis zur Infektion über die Lunge pro Person relativ hoch: Sie liegt bei bei etwa 8000 bis 50.000 Bazillen. "Anthrax ist – im Vergleich zu giftbestückten Chemiewaffen – eine stumpfe Waffe", sagt Bhakdi. Wenn die Bakterien über einem größeren Areal ausgebracht werden, dann kann ein einzelner Windstoß die gesamte Terrorplanung durcheinanderwirbeln.

Die derzeit ernsthafteste Bedrohung ist das Pockenvirus: Es ist das einzige Virus, das jemals als weltweit ausgerottet galt. Es ist hochansteckend, die meisten Menschen unter 30 sind nicht geimpft. Trotzdem hält es Bhakdi für unsinnig, vorbeugend Impfstoff zu horten. "Deutschland hat 100 Millionen Dosen Impfstoff an einem geheimen Ort gelagert", berichtet er, "das kostet eine halbe Milliarde Euro." Das Geld könne sinnvoller ausgegeben werden, denn "man kann sich auch bankrott schützen".

Was ist gefährlicher: ein bioterroristischer Angriff oder eine weltweite Grippe-Epidemie? Lesen Sie weiter in Teil 2.

Das Problem der Erkennung

Das wahrscheinlichste Anzeichen eines bioterroristischen Angriffs wäre, wenn plötzlich viele Menschen an einer ungewöhnlichen Krankheit litten. Allerdings passiert dies auch ohne terroristische Absichten: Ende der 1980er-Jahre erkrankten in Kanada 28 Menschen nach einem Restaurantbesuch an Botulismus. Das Botulinumtoxin ist die giftigste aller bekannten Substanzen und ruft schwere Lähmungen hervor. Botulismus ist nicht ansteckend, die Erkrankten hatten von derselben verdorbenen Speise gegessen. Damals wurde nur bei einer einzigen Patientin sofort die korrekte Diagnose gestellt.

Bislang ist es nur im Labor möglich, biowaffenfähige Erreger nachzuweisen. Tragbare Ausrüstungen gibt es noch nicht. Ärzte und Krankenschwestern müssen also darauf trainiert werden, ungewöhnliche Krankheitsverläufe zu erkennen, einzuordnen und angemessen zu behandeln. Außerdem sollte es ein funktionierendes Meldenetzwerk mit zentraler Datensammlung und -auswertung geben.

"Wir sollten unserer Phantasie freien Lauf lassen und auf alles Mögliche gefasst sein", erklärt Ronald Noble, Generalsekretär von Interpol. Interpol will in den nächsten Jahren drei Workshops veranstalten, auf denen Polizei und medizinisches Personal gemeinsam geschult und trainiert werden sollen. Der erste Workshop ist für 2005 in Südafrika geplant, der zweite und dritte ein Jahr später in Chile und China.

Das Problem der Verhältnismäßigkeit

Bei aller Gefahr und aller Angst: Biowaffen – sowohl die aus den staatlichen Rüstungsprogrammen oder das, was Terroristen zusammenbasteln – stehen auf der Liste der medizinischen Bedrohungen erst an dritter Stelle. "Es wird ein Bedrohungsszenario aufgebaut auf der Unkenntnis der Menschen", sagt Bhakdi.

Ganz oben auf der Gefahrenliste stehen die Grippe-Pandemien oder Aids (mit bislang 22 Millionen Toten weltweit). Ähnlich bedrohlich, aber ebenfalls nichtmilitärischen Ursprungs, sind periodisch wiederkehrende hochansteckende Krankheiten wie Ebola oder das West-Nil-Virus, Industriesabotage oder Forschungsunfälle, bei denen Keime unkontrolliert aus den Laboratorien entwischen, sowie die weltweit wachsende Resistenz gegen Antibiotika.