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Demokratie unter den Muslimbrüdern?

Matthias Sailer27. Mai 2013

Die Muslimbruderschaft beschreibt sich selbst als demokratisch. Doch Aussteiger berichten von autokratischen Strukturen und beklagen Obrigkeits- und Loyalitätsdenken.

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Kabinett der Muslimbrüder in Ägypten(Foto:Egyptian Presidency, File/AP/dapd)
Ägypten Kabinett der MuslimbrüderBild: dapd

Osama Dorra war zehn Jahre lang Mitglied in der Organisation der Muslimbrüder, bevor er ihr 2011 den Rücken kehrte. Auf dem Gymnasium hatte ein Freund dem damals sehr gläubigen Osama von der dann verbotenen und geheim operierenden Gruppe erzählt. Wegen der schwierigen Lebensbedingungen unter Ex-Dikator Husni Mubarak hatten es die Muslimbrüder leicht, neue Mitglieder zu gewinnen: Sie präsentierten sich als gottesnahe und den "richtigen" Islam verkörpernde Instanz. Doch Osama Dorra kam schnell in Konflikt mit der stark hierarchischen Organisationsstruktur und der Obrigkeitshörigkeit in der Bruderschaft: "Das ging so weit, dass einige sogar Hände küssten. Solche Dinge habe ich nie ernst genommen. Sie haben mir deshalb nie völlig vertraut. Sie wollen nicht, dass irgendjemand unabhängig denkt. Man soll nur den Anweisungen folgen."

Osama Dorra verließ die Muslimbrüder nach 10 Jahren (Foto: Matthias Sailer)
Osama Dorra verließ die Muslimbrüder nach zehn JahrenBild: DW/M. Sailer

Durch Disziplin zum Aufstieg in der Muslimbruderschaft

Das war auch der Grund, weshalb Osama nur langsam in der Organisation aufstieg. Laut Osama wurden vor allem diejenigen schnell befördert, die als diszipliniert und besonders loyal angesehen wurden oder aber über ein hohes Einkommen verfügten. Das Einkommen ist wichtig, weil jedes Mitglied monatlich ungefähr sieben Prozent seiner Einkünfte an die Organisation entrichten muss. Yasser Mehrez, einer der drei Sprecher der Muslimbruderschaft, betont zwar die große Bedeutung von Disziplin in der Organisation, weist den Vorwurf „blinden Gehorsams“ jedoch zurück: Das sei das Bild, das die Opposition von der Muslimbruderschaft in Medien und für das Ausland zeichne. "Aber das ist nicht wahr. Wir sind frei, wir denken selbstständig und wir sind kreativ. Aber Disziplin ist sehr wichtig", sagt er.

Gremien der Muslimbrüder demokratisch?

Yasser Mehrez geht noch einen Schritt weiter und beschreibt die Muslimbruderschaft als demokratisch. In der Organisation würden Entscheidungen von der kleinsten Organisationseinheit bis hin zur obersten Mitgliedervertretung, dem Schura-Rat, durch demokratische Wahl getroffen. Die etwa 19 Mitglieder des Führungsbüros der Organisation würden schließlich von diesem Schura-Rat gewählt. Doch für Osama Dorra ist die Muslimbruderschaft keinesfalls demokratisch. Für ihn sind es ganz andere Mechanismen, die darüber entscheiden, wer das Sagen in der Organisation hat: "Jedes hochrangige Mitglied der Bruderschaft hat Schüler, die ihm immer gehorchen. Wenn diese Anhänger wissen, dass ihr Lehrmeister in einer Wahl einen bestimmten Kandidaten favorisiert, werden sie auch für diese Person stimmen."

Auch über die Gremien selbst äußern sich Experten oft skeptisch. Khalil Anani von der Universität Durham bemängelte jüngst, dass der Schura-Rat im Grunde vom Führungsbüro kontrolliert wird. Eigentlich sollte der Schura-Rat aber das Führungsbüro beaufsichtigen. Osama Dorra hat eine klare Meinung zur Rolle der formalen Gremien der Muslimbruderschaft: "Diese Institutionen funktionieren nicht. Sie täuschen Demokratie nur vor. Auch Mubarak hatte ein Parlament. Aber es war völlig untätig."

Demonstrationen gegen die Muslimbrüder (Foto: Xinhua/Amru Salahuddien)
Immer wieder kommt es zu Demonstrationen gegen die MuslimbrüderBild: picture alliance / landov

Muslimbrüder: Angst vor Machtverlust

Das verbreitete Obrigkeits- und Loyalitätsdenken und die Angst vor dem Machtverlust erklären für ihn auch das gegenwärtige politische Verhalten der Partei der Muslimbrüder: Ihrer Führung gehe es momentan vor allem um die Sicherung der Macht. Die eigene Ideologie werde diesem Ziel daher zunächst untergeordnet. So haben beispielsweise hochrangige Mitglieder ihres politischen Arms, der Freiheit- und Gerechtigkeitspartei, der Opposition häufig Versprechungen gemacht, um deren Unterstützung zu sichern. Doch immer wieder brachen sie diese Versprechen, sobald sie deren Hilfe nicht mehr benötigten. Osama Dorra sieht auch die seit Dezember 2012 immer wieder sichtbar gewordene Gewalt von Anhängern der Organisation gegen Demonstranten in diesem Licht: "Selbst wenn es keine Entscheidung der Bruderschaft war: Es gibt viele junge Anhänger, die an die Ideologie des 'heiligen Krieges' glauben. Es kann also durchaus sein, dass diese auch ohne offizielle Anweisung mit Gewalt gegen Demonstranten vorgehen."

Yasser Mehrez erklärt die Gewalt von einigen Anhängern der Muslimbruderschaft erwartungsgemäß anders: Die Demonstranten vor dem Präsidentenpalast im Dezember 2012 schienen Vertreter der Gegenrevolution. Aus Angst vor dem Fall von Präsident Mursi hätten einige Muslimbrüder daher zur Gewalt gegriffen.

Für Osama Dorra war nach zehn Jahren in der Gruppe eines klar: Ihre Strukturen und ihre Mentalität sind nicht demokratisch. Am Ende bleibt für ihn eine Frage: Wie kann ein Präsident, der aus dieser Organisation kommt, in Ägypten echte Demokratie einführen?