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Wie geht es weiter beim Suhrkamp-Verlag?

Petra Lambeck6. Februar 2013

Er war einst Deutschlands wichtigster Verlag, doch seine Existenz scheint ernsthaft gefährdet. Ein Machtkampf droht den Suhrkamp-Verlag zu ruinieren. Alle Vermittlungsversuche blieben bislang erfolglos.

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Schild des Suhrkamp-Verlags (Foto: Paul Zinken/dpa)
Suhrkamp-Verlag (Schild)Bild: picture-alliance/dpa

Für viele scheint das Szenario eindeutig: Ein windiger Investor will ein Traditionsunternehmen an sich reißen, mehr Rendite rausschlagen und irgendwann ist der Laden dann kaputt – oder zumindest nicht mehr das, was er mal war oder wofür er stand. Das Traditionsunternehmen heißt in diesem Fall Suhrkamp, der Investor ist der Minderheitsgesellschafter Hans Barlach. Er hält 39 Prozent am Verlag. Warum macht er so etwas? Vielleicht, weil er habgierig und gewissenlos ist, ein "Unhold" eben - als einen solchen bezeichnete ihn zumindest kürzlich der Schriftsteller Peter Handke. - Nun ist die Wirklichkeit aber in der Regel komplizierter und daher muss man wohl etwas mehr ins Detail gehen, wenn man verstehen will: Was ist los beim Suhrkamp-Verlag?

Ein brisantes Thema

Suhrkamp ist derzeit in der Hand von zwei Gesellschaftern, und die Zusammenarbeit zwischen den beiden stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Der eine Gesellschafter ist eine Stiftung - die Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung. Deren Vorsitzende ist Ulla Unseld-Berkéwicz, die Witwe des einstigen Verlegers Siegfried Unseld. Der andere Gesellschafter ist die Medienholding AG Winterthur, an deren Spitze der Medienunternehmer Hans Barlach steht. Letzterer kaufte sich im Jahre 2006 gegen den Willen der Familienstiftung in den Verlag ein, indem er die Anteile des vorherigen Mitgesellschafters übernahm. Seitdem herrscht dort eine Art Kriegszustand, denn man scheint gegenseitig nicht sonderlich viel voneinander zu halten. Es folgte eine Klagewelle, die schließlich darin gipfelte, dass beide Gesellschafter vor Gericht den Ausschluss des jeweils anderen beantragten. Hans Barlach toppte das dann noch, indem er - für den Fall, dass er mit seinem Antrag nicht durchkommt - die Auflösung der Verlagsgesellschaft verlangte. Ein Gericht sollte darüber am 13. Februar entscheiden, doch die Entscheidung wurde - mit Verweis auf die Vermittlungsbemühungen - auf Ende September vertagt.

Die Suhrkamp-Villa in Berlin (Foto: Michael Kappeler/dpa)
Die Suhrkamp-Villa in Berlin - Ort für AutorenabendeBild: picture-alliance/dpa

Unterdessen sind in der deutschen Medienöffentlichkeit die Emotionen in den letzten Wochen hochgekocht. Fast täglich erschienen Artikel, Interviews und Kommentare zu dem Thema, Journalisten beschuldigten sich gegenseitig der einseitigen Berichterstattung, so ungefähr jeder schien etwas dazu zu sagen zu haben. Und das ist nicht zum ersten Mal so: Als Hans Barlach vor rund sechs Jahren bei Suhrkamp einstieg, war die Resonanz in den Medien ähnlich groß, und auch im Jahre 2002, als der langjährige und legendäre Verleger Siegfried Unseld starb und seine Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz die Leitung übernahm. Auch damals wurde in den deutschen Medien tagein und tagaus gestritten, geschimpft und spekuliert: Was wollte Siegfried Unseld wirklich, wer hat wem was wann unterstellt und so weiter und so fort. Der Begriff "Suhrkamp-Soap" machte die Runde.

Suhrkamp – intellektuelles Zentrum der alten Bundesrepublik

Um die Reaktionen auf den Streit bei Suhrkamp zu verstehen, muss man einen Blick auf die Geschichte des Verlages werfen. In der alten (westdeutschen) Bundesrepublik war er tonangebend, wer intellektuell etwas auf sich hielt, der wurde bei Suhrkamp verlegt. Seine Blütezeit hatte der Verlag in den 1960er und 1970er Jahren, eine Zeit, in der er das "Leitmedium aller intellektuellen Diskurse" war, wie es die Literaturkritikerin Sigrid Löffler formuliert. Hier wurden Philosophen wie Theodor W. Adorno, Ernst Bloch und Jürgen Habermas verlegt, junge Schriftsteller wie Martin Walser oder Peter Handke – Autoren, die heute berühmt sind – und auch viele internationale Größen, darunter Marcel Proust, T.S. Eliot und Samuel Beckett. Eine Liste, die noch um viele weitere bekannte Namen ergänzt werden könnte. Der amerikanische Literaturwissenschaftler George Steiner prägte Anfang der siebziger Jahre eigens den Begriff der "Suhrkamp-Kultur" (suhrkamp culture). Hinzu kommt die lange Liste der Klassiker, die bei Suhrkamp verlegt werden: Autoren wie Herman Hesse oder Max Frisch, die dem Verlag die Kassen füllen.

Die Witwe des Verlegers Siegfried Unseld, Ulla Berkewicz, vor dem Porträt ihres Mannes Siegfried Unseld (Foto: Frank May/dpa)
Zur Zeit nichts zu lachen: Ulla Unseld-Berkewicz vor dem Bildnis ihres verstorbenen Mannes Siegfried UnseldBild: picture-alliance/dpa

Doch die Zeiten haben sich geändert. Eine solche Monopolstellung, wie Suhrkamp sie einst hatte, wäre in der heutigen globalisierten und vernetzten Welt nicht mehr möglich, bestätigt auch Sigrid Löffler im Gespräch mit der Deutschen Welle. Nichtsdestotrotz ist Suhrkamp nach wie vor ein wichtiger deutscher Verlag und das nicht nur aufgrund seiner historisch bedeutsamen Vergangenheit, zumal er einer der wenigen mittelständigen Verlage ist, die noch nicht Teil eines Großkonzerns sind. Neben den deutschen spielen auch internationale Autoren eine große Rolle. "Was mir sehr gefällt an Suhrkamp", so Löffler, "dass man sehr früh einen Schwerpunkt auf die sogenannte globale Literatur gelegt hat. Das sind Autoren aus Afrika, aus dem Libanon, aus Pakistan - Autoren, die wichtig sind in der Gegenwartsliteratur, aber schwer verkäuflich. Sie machen dem Verlag Ehre, bringen aber nicht viel Geld."

Unterstützung durch die Autoren

Das liebe Geld ist - wie sollte es anders sein - auch einer der Streitpunkte unter den Gesellschaftern. Hans Barlach zufolge muss das Unternehmen mehr Gewinne erwirtschaften, Suhrkamps Pressestelle weist wiederholt darauf hin, dass die Verlagsgruppe keineswegs wirtschaftlich gefährdet sei. Auch das könnte sich jetzt durch das aktuelle Urteil vom März ändern.

Ulla Unseld-Berkewicz (Suhrkamp-Chefin), Uwe Tellkamp (Gewinner des Deutschen Buchpreis 2008 für seinen Roman "Der Turm") und Petra Roth (Oberbürgermeisterin von Frankfurt/M.) am 13.10.2008 bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises in der Paulskirche in Frankfurt am Main (Foto: picture alliance)
Triumph 2008: Uwe Tellkamp (Mitte) gewinnt den Deutschen BuchpreisBild: picture-alliance

Währenddessen gehen die Autoren auf die Barrikaden, die meisten stellen sich hinter die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz. Bekannte deutsche Schriftsteller wie Uwe Tellkamp, Hans Magnus Enzensberger oder Sybille Lewitscharoff haben angekündigt, den Verlag zu verlassen, wenn Hans Barlach die Macht übernehmen sollte.

Auch der amerikanische Autor Louis Begley, dessen Bücher in deutscher Übersetzung bei Suhrkamp verlegt werden, schätzt die Zusammenarbeit mit dem Verlag. Das machte er in einem Interview mit der DW deutlich: "Ich habe eine sehr glückliche Karriere als Schriftsteller in den Vereinigten Staaten gehabt, aber ich habe noch nie erlebt, dass ein ganzer Verlag so hinter einem steht, so wie das bei Suhrkamp der Fall war und immer noch ist. Und damit will ich nicht meinen Verlag hier in den USA schlecht machen, aber die Zusammenarbeit mit Suhrkamp war einfach immer außergewöhnlich gut."

Schwierige Aufgabe für die Vermittler

Doch das alles nützt natürlich nichts, wenn die Gesellschafter nicht in der Lage sind, den Verlag gemeinsam zu führen. Anfang Dezember erst hatte ein Gericht die Geschäftsführung des Suhrkamp-Verlags, der Ulla Unseld-Berkéwicz ebenfalls angehört, abgesetzt. Hans Barlach hatte geklagt, weil bestimmte Ausgaben nicht mit ihm abgesprochen worden waren. Geschäftsfördernd sind diese Prozesse sicherlich nicht. Den vielbeschworenen "Untergang" des Verlages fürchtet Suhrkamp-Anwalt Peter Raue allerdings nicht. Für eine Auflösung der Verlagsgesellschaft gebe es keine Rechtsgrundlage, "weil das Gesellschaftsziel trotz des Stresses und des Streites nach wie vor erreicht wird", sagte er der Deutschen Welle Ende Januar.

Der Mitbesitzer des Suhrkamp Verlag, Hans Barlach, aufgenommen 1999 (dpa)
Hans BarlachBild: picture-alliance/dpa

Doch wie weitermachen, wenn die Vorstellungen der Gesellschafter über das "wie" dermaßen auseinanderklaffen? Das ist die schwierige Frage, die die Vermittler der beiden Parteien in diesem Streit beantworten sollen. Und mit ein bisschen Glück gelingt ihnen das ja vielleicht doch noch. Auf jeden Fall haben sie jetzt noch einmal Zeit dafür bekommen. Der neue und wohl entscheidende Gerichtstermin ist für den 25. September angesetzt.