1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie im Krimi - die Arbeit eines Gerichtsmediziners

13. Oktober 2009

Alle zwei, drei Tage wird er zum Tatort gerufen: Michael Tsokos, Professor an der Charité, Deutschland bekanntester Rechtsmediziner. Seine Arbeit ist spannend, manchmal sogar so wie im Krimi. <i>Von Mabel Gundlach</i>

https://p.dw.com/p/K50R

Tatortarbeit ist ein zentraler Bestandteil der Rechtsmedizin, sagt Tsokos. Doch das, was seine Kollegen im Fernsehen tun, habe mit seiner Arbeit nur wenig zu tun. Die Hand an die Leiche legen und den Todeszeitpunkt bestimmen, das funktioniert im wahren Leben nicht. "Dazu gehören Geräte und Untersuchungen", erklärt Tsokos.

Michael Tsokos am Tatort (Foto: DW-TV)
Am Tatort dabei - Der Rechtsmediziner Michael TsokosBild: DW-TV

Asiaten morden anders

Stirbt in Berlin ein Mensch eines unnatürlichen Todes, wird er an der Charité untersucht, im Institut für Rechtsmedizin, dessen Leiter Tsokos ist. Es ist das größte in Deutschland. Zweitausend Obduktionen werden hier im Jahr durchgeführt. Insgesamt sei die Obduktionsrate in Deutschland aber niedrig, so der 42jährige. Nur fünf Prozent aller Verstorbenen werden untersucht. In skandinavischen Ländern sind es viermal soviele. Was den Gedanken nahelegt, dass in Deutschland wahrscheinlich so manches Tötungsdelikt unentdeckt bleibt.

Die Obduktionsproben, zum Beispiel das Blut, werden direkt am Institut untersucht: Suizid - oder Mord? Bei Mord, sagt Tsokos, gibt es interessante geografische Unterschiede: "In Deutschland sind es am häufigsten Stichverletzungen, selten Schussverletzungen, in den USA dominieren Schußverletzungen bei Tötungsdelikten, und in Asien, insbesondere in Indien, sind Giftmorde gerade mit Pflanzenschutzmitteln und Insektiziden an vorderster Stelle."

Rechtsmediziner sind Naturwissenschaftler, ihr Arbeitsplatz ist der Obduktionssaal

Michael Tsokos im Obduktionssaal (Foto: DW-TV)
Am Arbeitsplatz - Michael Tsokos im ObduktionssaalBild: DW-TV

Tsokos ist aber nicht nur der bekannteste Rechtsmediziner in Deutschland, sondern auch ein Bestseller-Autor. Er will in seinem Buch mit falschen Vorstellungen von seinem Beruf aufräumen: "Drei große Irrtümer werden in den Fernsehserien über Rechtsmediziner verbreitet. Zum einen, dass wir Pathologen sind. Ein Pathologe und ein Rechtsmediziner haben ungefähr soviel gemein wie ein Augenarzt und ein Gynäkologe, nämlich nur ein Medizinstudium, mehr nicht."

Der zweite große Irrtum sei, dass die Identifizierung von Angehörigen im Gerichtsmedizinischen Institut stattfindet: "Wir haben mit Angehörigen keinen Kontakt." Und der dritte Irrtum schließlich: "Dass wir mit einer Waffe am Schulterhalfter oder an der Hüfte langlaufen und Verdächtige festnehmen."

In Berlin Tötungsdelikte zu untersuchen, ist nur ein Teil von Tsokos' Job. Der andere: Tote zu identifizieren. Vor fünf Jahren schickte ihn die Bundesregierung nach Thailand, um die Opfer des Tsunami zu identifizieren. "Das macht man vor allem anhand der Zähne oder der Haare." Konkret hieß das: Massenobduktionen unter freiem Himmel. Was für viele kaum vorstellbar ist - Tsokos erträgt es: "Man muss das professionell sehen, den Reiz der Aufgabe und des Unbekannten."

Schwer erträglich seien für ihn dagegen sterbende krebskranke Kinder oder Patienten, die während der medizinischen Behandlung sterben.

Eine Arbeit, die Spuren hinterlässt

Mordwerkzeuge, Messer, Schlingen (Foto: DW-TV)
Am Pranger - Werkzeuge der untersuchten VerbrechenBild: DW-TV

Seit 15 Jahren macht Tsokos seine Arbeit. Übermäßig zu belasten scheint sie ihn aber nicht. "Ich nehme das nicht mit nach Hause oder in meine Träume. Das, was ich gesehen habe, sehe ich im naturwissenschaftlichen Kontext."

Der Arbeitsalltag des Michael Tsokos - das ist ein ständiges Leben mit dem Tod, eine Konfrontation mit Menschen, die sich oder andere töten. So ein Leben hinterlässt Spuren: "Ich lebe intensiver und geniesse die Zeit mit meiner Familie viel mehr als früher. Aber die Arbeit hat meinen Blick auf die Gesellschaft nicht verändert. Ich bin kein Misanthrop geworden, der denkt, die Gesellschaft sei von Grund auf schlecht - nein, mit Sicherheit nicht." Und seine Arbeit findet er immer noch spannend wie im Krimi. Jeden Tag aufs Neue.

Autorin: Mabel Gundlach

Redaktion: Klaus Dartmann

Den Videobeitrag sehen Sie bei Projekt Zukunft, dem Wissenschaftmagazin auf DW-TV.

Die weiteren Themen: s.u.

Hilfe für Ersthelfer - Was tun, wenn das Herz stillsteht?

Müde Ballerinen - Schlafforscher machen mobil

Die Medizin von morgen - ein Interview mit Prof. Karl Max Einhäupl, Vorstandschef der Charité