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Wenn Äffchen säen

Rachel Stern
2. Januar 2018

Kolumbianische Pinchéaffen, und auch einige andere Arten, spielen eine entscheidende Rolle beim Erhalt ihres Ökosystems. Allerdings sind sie durch Abholzung und Landwirtschaft stark bedroht.

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Ein Lisztaffe sitzt auf einem Ast in einem Zoo
Bild: Colourbox

Roseamira Guillen ist mit neun Geschwistern aufgewachsen. Der Kolumbianerin ist bei ihrem ersten Kontakt mit Pinchéaffen deshalb einiges bekannt vorgekommen. Denn Familie ist für die nur eichhörnchengroßen Äffchen sehr wichtig. Um sich mit anderen aus ihrer Sippe zu verständigen, nutzen sie beinahe 40 verschiedene Pfeif- und Zirplaute.

Man erkennt die Tierchen gut an ihren dichten, weißen Mähnen. Weil sie deshalb einem deutschsprachigen Komponisten ähnlich sehen, sind sie auch unter dessen Namen bekannt, Lisztäffchen.

"Es gibt immer Mutter, Vater und Kinder", sagt Guillen. Sie leitet "Proyecto Tití", eine gemeinnützige Organisation, die sich dem Schutz der kleinen Primaten verschrieben hat. Die Tiere leben nur im Regenwald im Norden Kolumbiens. "Der Nachwuchs lernt von seinen Eltern, was er wissen muss. Und es gibt immer ein Äffchen in der Familie, das nach Gefahren Ausschau hält."

In Kolumbien, wo man die Tierchen Titís nennt, beschützen sie nicht nur sich selbst und ihre Familie, sondern vor allem auch den Regenwald, in dem sie leben. Ihre Methode dabei ist einfach und effektiv: Wann immer eines der Äffchen Kot absondert, fallen auch darin enthaltene Pflanzensamen auf den Waldboden, von Papayas oder Mangos und vielen anderen Früchten. Pinchéaffen sind also eine ArtSamenspender für ihren Wald.

Dass die Tiere diese Aufgabe übernehmen, ist besonders wichtig, weil großflächige Landwirtschaft, Wasserkraftwerke und Abholzung für Feuerholz und für Kohleminen in den letzten Jahren große Lücken in den dichten Regenwald gerissen haben. Zählt man neu entstandene Palmöl-Plantagen mit dazu, sind heute beinahe 95 Prozent der ursprünglichen Waldfläche verschwunden. Wo einmal neun Millionen Hektar Wald standen, gibt es jetzt nur noch verstreute Waldflecken von insgesamt 290.000 Hektar Größe.

Mit dem Wald sind auch die Primaten verschwunden. Die Pinchéaffen gehören heute zu den am stärksten bedrohten Affenarten. In freier Wildbahn leben nur noch knapp 7000 Exemplare.

Bildung für die Allgemeinheit

Hier kommen Organisationen wie Proyecto Tití ins Spiel. Sie versuchen der Bevölkerung des Landes die Bedeutung der Tiere für das Ökosystem zu verdeutlichen. Denn es gibt Wälder, in denen 90 Prozent der Pflanzen mithilfe von Fruchtfressern wie dem Pinchéäffchen ihre Saat verbreiten.

"Wir betonen solche Zahlen in unseren Bildungsprogrammen, damit die Kinder wirklich verstehen, warum wir etwas für den Erhalt tun müssen", sagt Guillen. Sie selbst wusste nichts über die Tiere, als sie aufwuchs. Und den meisten Costeños, den Kolumbianern, die an der Nordküste leben, geht es ähnlich.

"Proyecto Tití" nutzt Spiele, Geschichten und Kunsthandwerk, um Schülern zu vermitteln, wie die bedrohten Tiere geschützt werden können. Seit 2010 haben mehr als 2500 Schüler an den Programmen teilgenommen. Dazu gehört auch, dass sie in den Wald gehen und die Tiere besuchen. Guillen geht davon aus, dass man nur dann eine emotionale Bindung zu den Tieren entwickeln kann, wenn man sie in ihrem ursprünglichen Lebensraum gesehen hat.

Foto eines Pinchéaffen bzw. Lisztaffen
Die Pinchéaffen sind nur so groß wie Eichhörnchen, spielen aber eine wichtige Rolle als Verteiler von Pflanzensamen im RegenwaldBild: Colourbox

"Wir bringen die Kinder zu den Äffchen. Das ist die Hauptverbindung, die wir herstellen wollen", sagt Guillen. "Es geht darum zu verstehen, wie bedroht sie sind und wie kurz sie vor dem Aussterben stehen. Die Jugendlichen sollen beeindruckt sein und sich engagieren wollen."

Kolumbien soll stolz sein, auf seine einzigartigen Tiere, wünscht sich Guillen. Dafür will sie stärker ins Bewusstsein rufen, dass es die Tiere nur hier gibt, im Nordwesten Kolumbiens. Deshalb hat sie sich auch dafür eingesetzt, den 15. August zum "Tag des Pinchéaffen" zu machen, an dem Einheimische in bunten Kostümen in Paraden durch die Städte ziehen.

Die Organisation hat sich auch mit Walt Disneys "Animal Kingdom" zusammengetan, um Hundetrainings zu fördern. Damit soll erreicht werden, dass sich die Menschen statt Äffchen lieber Hunde als Haustiere halten. Viele Pinchéaffen leben in Kolumbien in Gefangenschaft.

Ein dritter, wichtiger Punkt ist die Abholzung der Wälder. Um diese zu vermeiden, sucht die Organisation nach alternativen Einnahmequellen für die Bevölkerung.

Eine Schlüsselrolle

So klein diese Schritte auch zu sein scheinen, so groß ist ihre Wirkung. Sie schützen nicht nur die Pinchéaffen, sondern auch etliche andere Arten des Ökosystems. Wie die Äffchen reagieren auch sie sensibel auf Veränderungen und Störungen.

"Schwindet die Zahl der Fruchtfresser, so hat das direkte Auswirkungen auf die Pflanzen", sagt Carolina Santos-Heredia, eine Naturschutzbiologin von der Universität Santander in Kolumbien. Und so hat das Pinchéäffchen auch Einfluss auf die Erneuerung des Regenwalds und dessen Besiedlung mit bestimmten Pflanzenarten.

Ein Lisztaffe hängt an einem Ast im Zoo
Die kleinen Affen leben in engen Familienverbänden. Trotzdem werden die sozialen Tiere oft gefangen und als Haustiere gehalten, worunter sie sehr leidenBild: Colourbox

"Die meisten Samen verteilenden Tiere haben einen positiven Effekt auf die Artenvielfalt von Pflanzen, weil sie ihnen den Weg in neue Lebensräume ebnen und weil sie durch die Verbreitung verschiedener Arten für Homogenität sorgen", sagt Pablo Roberto Stevenson Diaz, Biologieprofessor an der Universität von Los Andes in Kolumbien.

Wenn die Populationen von Samen streuenden Säugetieren schwinden, dann begrenzt das auch die verfügbaren Ausscheidungen, ergänzt Santos-Heredia. Und damit seien auch Zweitverwerter des Kots betroffen, Mistkäfer zum Beispiel.

Die Insekten mit dem sehr bezeichnenden Namen bauen aus dem Affenkot kleine Dungkugeln, die sie einbuddeln. Die Samen fallen dann in eine Art Ruhezustand und beginnen erst zu keimen, wenn sich die Umgebung verändert, also etwa ein Baum verschwindet, oder Licht auf den Boden fällt.

Lebensraum schaffen

Die Affenschützerin Guillen ist von Hause aus eigentlich Landschaftsarchitektin. Aktuell leitet sie ein Projekt, dass ein Netzwerk von Waldkorridoren in der Nähe der Nordküste Kolumbiens anlegt. Jeder Korridor ist 30 Meter lang und soll es Primaten leichter machen, zwischen einzelnen Waldfragmenten zu wandern.

Einmal fertiggestellt, sollen die Korridore eine Fläche von 2000 Hektar umfassen. Aber bis es soweit ist, muss noch verhandelt werden. Besitzer von Viehweiden und örtliche Regierungen müssen zustimmen.

Sollten sie am Ende leichter durch den Wald kommen, haben die kleinen Äffchen eine größere Überlebenschance - und mit ihnen auch die Wälder, in denen sie die Samen verteilen.

"Wenn wir den Wald für die Pinchéäffchen retten, dann retten wir auch den Lebensraum vieler anderer Arten", sagt Guillen. "Und das muss man sich klarmachen."