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Wie viel Kultur kann Thailand riskieren?

Patrick Tippelt, Bangkok11. Juli 2005

"Big Brother" hat in Thailand weniger Fans als erwartet. Doch Reality-TV boomt, obwohl es das Land nur in stark zensierter Form erreicht. Das ist den Kulturhütern nicht genug. Sie befürchten Zustände wie im Westen.

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Ein bisschen kochen, ein bisschen singen, kein bisschen Sex. Die 12 Menschen sind stets korrekt gekleidet, weinen nicht, veranstalten liebend gern niedliche Karaoke-Abende, Ping-Pong-Turniere und manchmal auch Modenschauen. Sie quatschen soviel wie ihre europäischen Gegenparts, doch Lästern ist tabu. Zu den Wochenaufgaben zählen Flaschendrehen, Meditation und Zwangsdiskussionen über Armut. Dennoch erfreuen sich tagtäglich Hunderttausende von Fans an den Bewohnern des ersten "Big-Brother"-Hauses Thailands. Seit mehr als 60 Tagen verfolgen Süchtige das Nicht-Geschehen im adretten Haus, und ein eigens dafür eingerichteter Fernsehkanal versorgt die Voyeure 24 Stunden am Tag.

Der Tsunami der Reality-TV-Shows hat dieses Jahr Thailand erreicht, und "Big Brother" ist nicht einmal der Auslöser – oder gar der Publikumsliebling. Andere Shows, wie "Academy Fantasia" (vergleichbar mit "Deutschland sucht den Superstar") und "Thailands Nächstes Supermodel" sind weitaus erfolgreicher. Auch bei Doku-Dramen wie "Hi-So Bannok", bei dem Blaublütige 30 Tage lang auf Bauernhöfe verbannt werden (Paris Hilton lässt grüβen), schalten viel mehr Zuschauer ein als beim Groβen Bruder.

Der Groβe Bruder des Groβen Bruders

Doch "Big Brother" ist es, der die Kulturhüter Thailands auf die Barrikaden bringt. An der Spitze der BB-Feinde steht Ladda Tangsuchachai, Leiterin des Kulturellen Überwachungsnetzwerkes. Sie fordert seit Wochen eine Absetzung des Programms. Die Gründe für ihre Empörung würden in den übersättigten Augen deutscher TV-Glotzer Nichtigkeiten darstellen. Mal hielt ein Paar Händchen, mal lag es nebeneinander unter der Bettdecke. Dass der Sender solche Szenen ausstrahlt, bedeutet für die Kulturüberwacherin einen Absturz in die Tiefen der sozialen Hölle. Derartige Programme propagierten Lügen, Schummeln, Hintergehen und seien anstöβig für Thais. Ahnungslose Zuschauer würden mehr über schlechtes Benehmen, unangemessene Kleidung, sexuelle Unsittlichkeit und vulgäre Sprache lernen, als es Ladda lieb ist. Und dass der Westen eine solche Art von Fernsehen duldet, beweise nur, dass "der Westen keinerlei Kultur" habe.

Big Brother seitenverkehrt

Der Sender, der "Big Brother" ausstrahlt, zeigt sich trotzig. Derartige Szenen werden nun aus dem Programm geschnitten, aber die Show wird nicht abgesetzt. Die 12 Teilnehmer, die insgesamt 105 Tage ausharren müssen, in der Hoffnung auf den Hauptgewinn (20.000 Euro, ein Mazda und ein Haus), dürfen nun nur noch "privat" Intimitäten austauschen. Die interessierte Öffentlichkeit wird aus dem Haus ausgeschlossen – was das Programm natürlich ad absurdum führt. Null Sex bei Big Brother lockt wohl die wenigsten Zuschauer.

Kulturelle Hölle

Aber nicht nur mit dem Sex im TV hapert es in Thailand. Kundige Kosmopoliten hatten sich vorher schon bei Sendern beschwert. Ihnen ging es in den Reality-TV-Shows nicht weit genug. Wer einmal "Survivor" gesehen hätte, so die Fans von globalem TV-Realismus, würde beim thailändischen Big Brother ein paar Mal kraftig gähnen – und abschalten. Auch fordern sie gewagtere Formate fürs thailändische Fernsehen: Shows, in denen Ehepartner ausgetauscht werden; Shows, in denen ein Dutzend Frauen um einen Mann kämpfen; Shows, in denen ein paar Frischverheiratete auf eine Insel geschickt werden – Ziel: Ehebruch.

Kein bisschen Sex

Doch das ist den Sendern viel zu riskant. Schon die Produzenten der ersten Staffel von "Thailands Nächstem Topmodel" stöhnten intern über die strenge Selbstreglementierung der Sender. Sie hätten viel zu viel zensieren müssen, niemand trug zu offenbarende Kleider, und die Teilnehmerinnen befreundeten sich untereinander zu sehr. Es fehlte schlicht an Wettkampfatmosphäre. Die fehlt offenbar auch in einer ganz neuen Show. Das wöchentliche Programm der Kultusministerin Thailands, Uraiwan Thienthong, in dem sie für Jugendliche relevante Themen bespricht, ist ein ganz groβer Flop.