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"Wie viele Tote können wir noch ertragen?"

16. April 2010

Knapp zwei Wochen nach dem letzten tödlichen Angriff auf die Bundeswehr in Afghanistan haben vier weitere Soldaten durch einen Anschlag ihr Leben verloren. Ihr Tod beschäftigt die Kommentatoren der deutschen Zeitungen.

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Bild: dpa

Frankfurter Rundschau:

"Der Tod eines Menschen, eines jungen zumal, ist immer tragisch. Eine besondere Bedeutung bekommt er, wenn jemand stirbt, weil er anderen helfen will. Und auf dieses Motiv reduziert sich letztendlich die Begründung für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan: Die Soldaten sind dort, um zu helfen. Und sie sterben bei dieser Aufgabe. Sie sterben bei Unfällen, werden bei Anschlägen getötet, fallen in Gefechten. Auch wenn die Taliban Bundeswehrsoldaten angreifen und töten, damit wir uns genau diese Frage stellen, so wird sie doch mit jedem Gefallenen drängender: Wie viel Leben setzen wir für die Hilfe ein? Denn ganz sicher werden in Afghanistan noch mehr, noch viel mehr Soldaten sterben. Auch deutsche."

Süddeutsche Zeitung, München:

"Bevor nun wieder schrille Abzugsdebatten geführt und Details der Ausrüstung der Prüfung durch die Nation unterworfen werden, sollten das Land und seine politische Führung kurz innehalten. Denn um dem verständlichen Wunsch nach einem schnellstmöglichen Abzug aus Afghanistan nachzukommen, muss das größte, den Einsatz überschattende Übel beseitigt werden: Die Soldaten und ihre Kommandeure müssen von dem politische Druck befreit werden, der den Einsatz seit der ersten Minute belastet. Denn die Angst vor dem politischen Fehlverhalten, vor der Gefährdung eines Ministers oder einer Koalition hat inzwischen zur Gefährdung der Soldaten geführt. Wären die Kommandeure frei gewesen, die Truppe und ihre Ausrüstung den tatsächlichen Bedürfnissen für Afghanistan anzupassen, dann hätte die Bundeswehr viel früher abschreckend wirken und womöglich eine Eskalation der Kämpfe im Einsatzgebiet verhindern können. So aber kämpft eine nachholende Truppe, deren Zuschnitt, deren Rotationsprinzip, deren Ausrüstung und deren Einsatzregeln den Bedürfnissen des politischen Betriebs in Berlin, nicht aber der militärischen Situation in Kundus oder Baghlan angepasst sind. Zwar wurde diese Zwangsjacke in den vergangenen Monaten kontinuierlich gelockert, aber immer nur unter Druck und in kleinen Dosen. Noch immer reagieren Parlament und Ministerium mit gefährlicher Zeitverzögerung, die am Ende Leben kostet."

Die tageszeitung, Berlin:

"Momentan eskaliert der "gefühlte" Konflikt für die skeptische deutsche Öffentlichkeit viel schneller, als der schneidige Bundesverteidigungsminister rhetorisch wie militärisch aufrüsten kann. Trotzdem passiert jetzt eigentlich nur das, was längst voraussehbar war und was allzu gern überhörte Stimmen vorausgesagt hatten. So war nicht nur das Wiederaufflammen der Kämpfe im Frühjahr absehbar gewesen, sondern auch, dass die im letzten Jahr beschlossene Aufstockung der internationalen Truppen zu einer weiteren Eskalation des Konflikts führen würde. Manche Militärs hatten das auch nie beschönigt, sondern immer gesagt, der Weg zum erhofften Frieden führe erst einmal über mehr Krieg. Genau diese Eskalation findet jetzt statt, wobei der Frieden allerdings in den Sternen steht."

Frankfurter Allgemeine Zeitung:

"Den Aufständischen dürfte die öffentliche Meinung in Deutschland - und der Hebel, den sie darstellt - nicht verborgen geblieben sein. Das alles spricht aus Sicht der Taliban dafür, die Angriffe auf die Bundeswehr zu verstärken. Wie lange wird Deutschland das ertragen und „vereint“ hinter seinen Soldaten stehen, wie es ihnen Außenminister Westerwelle zusagte? Nach der Linkspartei, die den Abzug fordert, macht sich nun zunehmend auch die SPD zum Sprachrohr des Zweifels. Die „messbaren Ergebnisse“ im Sinne einer wenigstens partiellen Befriedung Afghanistans dürfen nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Leider wissen das auch die Taliban."

Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Essen:

"Zynischer kann ein Triumph nicht sein. Karl-Theodor zu Guttenberg war auf dem Heimweg von einem Trauerbesuch, als ihn der Tod wieder zurückholte nach Afghanistan. Die Taliban haben mit ihrem Raketenangriff nicht nur die Reisepläne des Verteidigungsministers durchkreuzt. Sie haben ihn auch auf das Menschenverachtendste beim Wort genommen. Guttenbergs Mahnung nach dem schwarzen Karfreitag, dass weitere Verluste für die Bundeswehr in der Natur der schrecklichen Sache liegen können, hat sich ohne Zeitverzug bewahrheitet. Und das in exakt dem Fahrzeugtyp, den Guttenberg gerade eilends 60-fach nachbestellen ließ, um der Truppe schon bald mehr kriegstaugliche Schutzausrüstung im Norden des umkämpften Landes zu bieten. Welchen Eindruck das auf den Gegner macht, hat man gestern gesehen. Wir kriegen euch - wann und wo immer wir wollen. Diese Botschaft wird in Berlin Widerhall finden. Die Feinde Afghanistans zwingen der deutschen Öffentlichkeit und den deutschen Politikern im Bundestag eine Frage auf, die mit jedem weiteren Sarg, der auf dem Bundeswehrflughafen in Köln-Wahn landet, nur noch mit Notlügen zu beantworten ist: Wie viele Tote wollen wir, können wir in dieser hoffnungsarmen Mission noch ertragen?"


Autorin: Esther Broders
Redaktion: Miriam Klaussner