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Wie weit denkst du, wenn du „Gott“ sagst?

16. März 2013

Menschen können Gott überall auf der Welt begegnen, aber nirgends endgültig. Gerhard Engelsberger spricht für die evangelische Kirche über den wichtigsten Ort, an dem sich Gott finden lässt.

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Wolfgang Huber, ehemaliger Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, spricht am Donnerstag (19.01.12) im Französischen Dom in Berlin
Wolfgang HuberBild: picture-alliance/dpa

Gott ist überall und nirgends in der Welt

Wie weit denken wir, wenn wir Gott sagen? Wir denken vielleicht an die Kirche, 200 Meter weiter, in der man uns getauft hat. Oder wir denken an Wittenberg, Rom, Jerusalem. Ich denke an die drei Pagoden im Süden Chinas, an die Stille der Al-Azhar-Moschee in Kairo, an Gamal, der zwischen Kairo und Alexandria seinen Gebetsteppich ausbreitete und mit mir in einer islamischen „Autobahnkirche“ auf Knien gebetet hat. Ich denke an den hochbetagten Mönch in Xigazê, der Jesus nicht kannte, aber meinte, wenn ich von ihm erzähle und nach ihm frage, dann müsse es ein wichtiger Mensch gewesen sein. Ich denke an den Horeb im Sinai in der Nacht und an den Berg Nebo, von dem aus Mose in die Weite, nach Westen schauen darf. Gott zeigt ihm „das ganze Land“. Aber Mose darf nicht hinübergehen.

Es ist ja eine alte Frage, ob Gott irgendwo zuhause ist. Und vielleicht ist der tiefere Hintergrund die Frage, ob und wo wir selbst eines Tages „echt“ zu Hause sind. Viele haben Gott ein „Gotteshaus“ gebaut. Und wir mussten wie alle erkennen, dass sich Gott weder an Orte nach an Situationen binden lässt.

Gott lässt sich in Worten finden

Sind es nicht die kurzen Gebete, das kleine Lied am Bett des Kindes? Die offene, freundliche und gute Nachricht des Arztes? Die wenigen lieben Worte spätabends im Bett von zweien, die müde vom Tag und noch belastet mit Fragen nebeneinander liegen? Ich bin seit vielen Jahren auf der Suche nach diesem bergenden Wort.

Es reicht nicht, wenn ich das Wort lese. Es reicht nicht, wenn ich es mir selbst vorlese. Das bergende Wort muss mir ein anderer sagen. Mich dabei vielleicht in den Arm nehmen. Das Wort braucht ein Gesicht, vielleicht auch zwei Arme und ein lauteres Herz, wenn es mich bergen soll.

Mein Leben bedarf erklärender, deutender Worte, wenn es zumindest zum gelegentlichen „Vorbild“ für die Enkel taugen soll. Wir können auf Bilder zeigen, aber wir müssen sie deuten, damit sie verstanden werden. Wir übernehmen Verantwortung, wenn wir deuten, wenn wir erklären und erzählen. Wir zeigen auf ein Kreuz, vielleicht auf einen Regenbogen. Und unsere Deutung wird vom Enkelkind gehört und verbindet sich mit dem Bild vom Kreuz oder mit dem Eindruck des Regenbogens. Mag sein, dass Regenbogen und Kreuz zentrale Bilder aus der Bibel sind. Wirklich – für die Enkelkinder wirksam – werden sie durch unsere Erzählung.

Wie auch immer man es formuliert: Wir bergen mit unserem Glauben, unserer Lebenserfahrung und auch mit unserem Zweifel - Gottes Wort.

Die Reformatoren haben sich nicht auf die Schlosskirche zu Wittenberg oder eine der beeindruckenden Kirchen von Nürnberg, auch nicht auf den Hamburger Michel, auch nicht auf deine oder meine Kirche verpflichtet, sondern auf das Wort. „Allein die Schrift!“ war mehr als eine „Losung“, mehr als ein kämpferischer Bibelvers, das war eine Einstellung, eine Haltung, ein Grundsatz. „Unsere Worte kommen aus den Worten und Bildern der Bibel“. Und wenn wir erzählen, dann lebt das biblische Wort auf.

Gott lässt sich in Menschen finden

Aber das Wort muss ausgesprochen werden. Das Wort braucht Menschen, die es in sich tragen und weitertragen. Menschen haben Gott erlebt und davon erzählt. Menschen haben Jesus Christus erlebt und davon erzählt. Sie stehen mit ihrem Leben, mit ihren Zweifeln und ihrem Glauben auf die Länge gesehen stabiler als die Sandstein- oder Granitquader. Sie mögen irren, sie mögen zweifeln. Doch dann findet sich links ein Mensch oder rechts; steht eine davor oder einer dahinter. Und erzählt, singt, betet oder schreibt.

So ist das weltweit. Der Mönch in den Höhen Tibets, der Muslim auf seinem Gebetsteppich, die Jüdin an der Klagemauer: Alle denken wir an Gott. Er lässt sich auf kein endgültiges Bild ein. Wir finden ihn im Wort und er uns. Und durch das Wort werden die Menschen zu einem Ort Gottes (Johannes 14,20).

Zum Autor:
Gerhard Engelsberger (Jahrgang 1948) ist seit vielen Jahren Gemeindepfarrer: zunächst in Mannheim, und seit 1981 in Wiesloch. Daneben hat er aber auch immer wieder Bücher veröffentlicht, sowie Radio- und Fernsehsendungen gestaltet. Im KREUZ - Verlag gibt er zudem die »Pastoralblätter« und die »Kasualblätter« heraus. Er ist verheiratet und hat vier Kinder – kein schlechtes Training auch für seinen Kinderchor, mit dem der Komponist und Texter bereits auf mehreren CDs zu hören ist.

Pfarrer Gerhard Engelsberger, Wiesloch
Pfarrer Gerhard EngelsbergerBild: GEP/Engelsberger