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Abzug aus Afghanistan

29. Juni 2011

Mit dem Beginn des Truppenabzugs aus Afghanistan am 1.Juli muss die internationale Staatengemeinschaft Bilanz ziehen. Welche Ziele wurden mit dem Militäreinsatz zur Absicherung des zivilen Wiederaufbaus erreicht?

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Bundeswehrsoldaten gehen am 30.09.2008 auf einer Marktstraße in Talokan bei Kundus, im Norden von Afghanistan, auf Streife. (dpa)
Deutsche Soldaten auf Streife bei KundusBild: picture alliance/dpa

Der deutsche Afghanistaneinsatz verfolgte im Bündnis mit den USA und den anderen beteiligten Staaten von Beginn an im Wesentlichen drei Ziele: Das Terrornetzwerk der Al Kaida im Lande sollte zerstört werden. Ein Staatswesen, das demokratischen und rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügt, sollte aufgebaut und das regionale Umfeld Afghanistans sollte stabilisiert werden. Johannes Pflug ist Sprecher der 'Task Force Afghanistan' in der SPD-Bundestagsfraktion. Mit der Vertreibung des Terrornetzwerks aus Afghanistan und der Tötung Bin Ladens sieht er das erste dieser drei Ziele noch am ehesten erreicht. Zwar sei Al Kaida schon seit längerem ein dezentrales Netzwerk, dessen Aktionen nicht mehr von Afghanistan aus geplant würden, dennoch biete der Tod Bin Ladens jetzt auch "perspektivisch die Chance, dass die Taliban sich deutlich vom Terror und von terroristischen Organisationen distanzieren".

Aufständische zum Verhandeln zwingen

Lieutnant General Bruno Kasdorf, a German military commander of NATO's International Security Assistance Force (ISAF), in Kabul Afghanistan on 07 February 2010. (dpa)
Generalleutnant Bruno KasdorfBild: picture-alliance/dpa

Für Generalleutnant Bruno Kasdorf, stellvertretender Heeresinspekteur und in den Jahren 2007 und 2010 Chef des ISAF- Stabes in Kabul, gehört die Terrorabwehr in Afghanistan nach wie vor zu den vorrangigen Zielen im Sicherheitsbereich, gerade jetzt, vor dem Hintergrund des beginnenden Truppenabzugs. "Es ist weiterhin notwendig, dass wir Terrorismusbekämpfung machen. Wir üben dadurch den Druck aus, den wir auf Seiten der Aufständischen erzeugen müssen, damit sie bereit sind, zu verhandeln, oder sich zu versöhnen und sich in die Gesellschaft zu integrieren."

Germany's special representative for Afghanistan and Pakistan Michael Steiner Oct 18, 2010.
Michael Steiner, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für AfghanistanBild: AP

Dass es in Afghanistan keine militärische, sondern nur eine politische Lösung geben kann, die auch die Taliban mit einschließen muss, gilt unter deutschen Afghanistanexperten inzwischen als Konsens. Allerdings müsse eine solche Lösung an Bedingungen geknüpft sein, sagt Michael Steiner, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Afghanistan: "Eine politische Lösung muss die bestehende Verfassung akzeptieren. Jeder, der Teil einer solchen Lösung sein will, muss die Beziehungen zum internationalen Terrorismus kappen und Gewaltverzicht üben", so Steiner auf einer Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn Anfang Juni.

Doch davon kann gegenwärtig in Afghanistan nicht die Rede sein. In keinem Jahr seit Beginn des Afghanistaneinsatzes hat es in der ersten Jahreshälfte so viele Selbstmordanschläge gegeben wie 2011. Militärs und Diplomaten glauben den Grund hierfür zu kennen. Da die von General Petraeus befehligten ISAF- Truppen die Aufständischen immer mehr in die Defensive gezwungen hätten, griffen diese immer häufiger zu anderen Kampfmethoden wie Selbstmordanschlägen.

Asymmetrische Kriegsführung

Die Zahl der seit 2002 im Afghanistaneinsatz getöteten Bundeswehrsoldaten ist inzwischen auf über 50 angestiegen. Das Risiko im Einsatz wächst und immer Menschen in Deutschland zweifeln, ob der Tod so vieler Soldaten noch mit dem Ziel des Einsatzes zu rechtfertigen ist. Am Ende der Übergangsperiode im Jahr 2014 wird auch die Bundeswehr alle Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen haben. Bis dahin jedoch will man mit dazu beitragen, dass eine Situation entsteht, die Generalleutnant Kasdorf so umreißt: "Es darf dort keine Rückzugsgebiete mehr für Terroristen geben und die Aufständischen dürfen nicht mehr in der Lage sein, die afghanische Regierung herauszufordern oder zu stürzen."

Spätestens dann sollen die afghanische Armee und die Polizei die Sicherheit im Lande in vollem Umfang gewährleisten können. Schon bis zum November dieses Jahres sollen insgesamt 172.000 afghanische Soldaten und 134.000 Polizisten ausgebildet sein. Eine Zielmarke, die nach Auskunft von Generalleutnant Kasdorf auch erreicht werden dürfte. "Jetzt müssen wir sehen, dass die ihre Aufgaben dann auch bewältigen können. Dafür sind schon gute Grundlagen gelegt und deshalb denke ich, wir können es in der Tat schaffen."

Fehlende Rechtssicherheit und Nahrungsmittel

Neubau des Sicherheitsgebäudes der Polizei in Herat, Afghanistan; 25.04.2011
Neubau des Sicherheits-gebäudes der Polizei in HeratBild: DW

Kritischer beurteilen viele Experten das bisher Erreichte beim Aufbau der Zivilgesellschaft. Auch nach zehn Jahren zum Teil massiver Förderung durch die internationale Staatengemeinschaft sind nach Angaben der UN noch immer fast acht Millionen Afghanen auf externe Nahrungshilfe angewiesen. Immerhin gehen heute sieben Millionen Kinder in Afghanistan regelmäßig in eine Schule, darunter zwei Millionen Mädchen. Trotzdem sehen Entwicklungsfachleute wie Matthias Mogge, Vorstandsmitglied der in Afghanistan stark engagierten deutschen Welthungerhilfe, immer noch erheblichen Nachholbedarf. Auch beim Aufbau staatlicher Strukturen. So sei der Rechtstaat zwar in der Verfassung von 2004 theoretisch verankert, in Wirklichkeit jedoch fehle eine "verlässliche Rechtssicherheit für die afghanische Bevölkerung, ebenso wie transparente staatliche Strukturen bei den Behörden auf Provinz- und Distriktebene. All das ist leider nach wie vor in weiten Teilen des Landes nicht vorhanden."

Engagement ohne Waffen

Innerhalb der nächsten 12 Monate werden die USA rund 30.000 Soldaten aus Afghanistan abziehen. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Umfang des deutschen Kontingents, das sich ebenfalls verkleinern wird. Wie viele deutsche Soldaten schon in diesem Jahr aus Afghanistan abgezogen werden, ist gegenwärtig noch unklar. Man will dem Feind möglichst nicht zu früh Einblick in die eigenen Planungen gewähren. Dies bedeute jedoch nicht, dass Afghanistan, wie schon einmal nach dem Abzug der Sowjets im Jahr 1989, danach wieder sich selbst überlassen werde. Auf einer großen Afghanistan-Konferenz auf dem Bonner Petersberg am 5. Dezember 2011 sollte ein deutliches Zeichen in diese Richtung gesetzt werden, wünscht sich Sonderbotschafter Michael Steiner: "Auch nach 2014 bleiben wir in dem Land engagiert, wenn auch mit anderen Mitteln."

Autor: Daniel Scheschkewitz
Redaktion: Hans Spross