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Wie weiter in Syrien und dem Irak?

Bettina Marx16. September 2014

Der "Islamische Staat" bedroht den Irak, Syrien und die Nachbarländer. Die Politik ist alarmiert, die Menschen sind beunruhigt. In Berlin diskutierten vier Experten über die Schreckensherrschaft der Terrormilizen.

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Islamistische Demonstranten in der irakischen Staat Mossul schwenken die Fahne des "Islamischen Staats", Foto: AP
Bild: picture alliance / AP Photo

"Assad ist das Hauptproblem. Alles andere sind Metastasen" – mit diesen Worten beschreibt der Botschafter der Syrischen Nationalen Koalition in Deutschland, Bassam Abdullah, die Lage in Syrien und im Irak. Der syrische Präsident sei der Hauptverursacher der blutigen Krise, die seit drei Jahren die Region erschüttere. Auch der Aufstieg der Terrormiliz "Islamischer Staat" sei letztendlich seine Schuld. Für die Opposition gegen Assad sei der IS eine gefährliche Bedrohung, denn er lehne ihren Wunsch nach einem modernen säkularen syrischen Staat vollkommen ab. Statt dessen habe er die gemäßigte und demokratische syrische Opposition zu Ungläubigen erklärt, die er bekämpfe. "Wir erkennen die Organisation weder als Staat noch als islamisch an", so Abdullah.

Dieser Einschätzung stimmt auch Elias Perabo zu, Gründer der deutsch-syrischen Initiative "Adopt a revolution". Der "Islamische Staat" sei ein Problem für die Menschen in Syrien, aber eben nur ein Problem unter vielen. Derzeit seien die IS-Kämpfer nur im Norden und Nordosten Syriens aktiv, in einer Region, die das Regime in Damaskus ohnehin bereits aufgegeben habe. Dort hätten sie sehr schnell die Institutionen der Zivilgesellschaft zerschlagen und zentrale Wirtschaftszweige übernommen. Politische Abweichler würden rigoros verfolgt, gefoltert und getötet. Für die Zivilbevölkerung im Süden des Landes und rund um die Hauptstadt Damaskus seien dagegen nach wie vor lokale Milizen und die Truppen Assads das größere Problem.

Elias Perabo vor der Bundespressekonferenz in Berlin Foto: DAPD
Elias Perabo, Gründer von "Adopt a revolution"Bild: dapd

Diskussion in Berlin

Abdullah und Perabo sprachen bei einer gut besuchten Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin über die "Schreckensherrschaft des Islamischen Staats". In den großen Veranstaltungssaal mussten noch zusätzliche Stühle hineingebracht werden, so groß war der Andrang des Publikums. Zahlreiche Zuhörer fanden dennoch keinen Platz mehr und mussten stehen. Offenbar verursacht die Bedrohung durch den "Islamischen Staat" vielen Menschen in Deutschland Sorgen. "Wir haben auch früher schon Veranstaltungen zu Syrien gemacht. Die fanden nicht annähernd so viel Anklang", stellte daher Elias Perabo fest. Seine Erklärung: die Gewalttaten des syrischen Regimes spielten sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab, in den Folterkellern des Geheimdienstes. Der "Islamische Staat" dagegen morde und brandschatze in aller Öffentlichkeit und prahle auch noch mit seinen Gewalttaten. Dies löse bei vielen Menschen verständlicherweise Ängste aus.

Der maskierte IS- Mörder des amerikanischen Journalisten von James Foley hält ein Messer in der Hand (Foto: Reuters)
Der "Islamische Staat" verbreitet mit Mord und Totschlag Angst und SchreckenBild: Reuters

Mit oder ohne Assad?

Assad selbst habe dieses Szenario vorhergesehen, erinnerte Friederike Stolleis, Leiterin des Syrien-Projekts der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er habe in seiner ersten Rede nach Beginn des Aufstands gegens seine Herrschaft im Februar 2011 das Schreckgespenst einer islamistischen Terror-Herrschaft an die Wand gemalt. "Die Versuchung liegt nun nahe zu sagen, er hat recht gehabt", so die Expertin. Dies sei jedoch eine Fehleinschätzung, denn Assad habe die Islamisten bewusst gewähren lassen, ja, er habe sie sogar unterstützt. Sein Interesse sei es, sich selbst als säkularer Staatschef zu positionieren, der die religiösen und ethnischen Minderheiten schütze. "Dennoch wäre es falsch, ihn als Partner zu sehen", so Stolleis. Sie kritisiert, dass die internationale Staatengemeinschaft sich nicht darauf geeinigt habe, den Sturz Assads zu betreiben. Mit ihm sei eine Lösung für Syrien nicht zu finden, sagte sie. Außerdem habe man zu lange gezögert, in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. Man hätte die "Freie Syrische Armee" bewaffnen müssen, um zu verhindern, dass ein Vakuum entstehe. Da dies nicht geschehen sei, habe die Terrororganisation "Islamischer Staat" in dieses Vakuum in Nordsyrien und im Irak vorstoßen und es ausfüllen können.

Zögerliche Staatengemeinschaft

Diese Sicht teilt auch der Journalist Yassin Musharbash. Der Experte für Terrorismus und Dschihadismus bei der Wochenzeitung "Die Zeit" sagte, der Westen habe immer wieder Gelegenheiten verpasst einzugreifen. "Jedes Mal, wenn wir wieder eine Gelegenheit verpassen, weil wir uns nicht trauen, weil wir denken, es ist noch zu früh, weil wir denken, wir sollten das doch besser nicht tun, wird der Einsatz exponentiell höher." So habe der Westen etwa ein halbes Jahr nach Ausbruch des bewaffneten Kampfes in Syrien die Chance verstreichen lassen, von der Türkei aus eine befreite Zone auf syrischem Gebiet zu schaffen, von wo aus die "Freie Syrische Armee" hätte operieren können. Damals habe man eine goldene Gelegenheit verpasst, die nie wieder gekommen sei. Auch als der "Islamische Staat" entstanden sei, habe man die Bedrohung zunächst nicht ernst genommen. "Man hat gehofft, dass es von alleine wieder vorbei geht", so Musharbash.

Terror-Experte Yassin Musharbash Foto. Annika Langosch
Terror-Experte Yassin MusharbashBild: Annika Langosch/Fotodesign Lichtblick

Die internationale Gemeinschaft habe im Nahen Osten sehr gemischte Erfahrungen mit der Bekämpfung sowohl von Armeen als auch von Terrorgruppen gemacht. Bei dem "Islamischen Staat" handele es sich um eine Mischform aus beidem, einer hybriden Gruppe, die gleichzeitig wie eine Armee und wie eine Terrorgruppe agiere. Vor allem aber lebten die "IS"-Kämpfer völlig vermischt mit der Bevölkerung. "Mir ist nicht ganz klar, wie man die aus der Luft bekämpfen will. Mir ist überhaupt nicht klar, wie man eine Stadt wie Mossul vom IS befreien will."

Keine Lösung für die Krise

Optimistisch waren alle vier Redner des Abends nicht. Seit dem Scheitern der Genfer Syrien-Konferenz im letzten Februar gebe es keinen politischen Prozess mehr, bilanzierte Perabo. Ein Auseinanderfallen Syriens sei inzwischen längst Realität. Und auch den aktuellen Bemühungen, den "Islamischen Staat" zu stoppen und einzudämmen, werden keine großen Erfolgsaussichten eingeräumt. Der Zusammenschluss von 30 Staaten zu einer neuen Koalition gegen die Ausbreitung des "IS" in Paris klinge zwar gut, so Musharbash. Er sehe jedoch kein gemeinsames Projekt dieser Staaten. Und Friederike Stolleis ergänzte, dass es eine militärische Lösung nicht geben könne. Nur Botschafter Abdullah wollte sich Pessimismus an diesem Abend nicht erlauben. Er glaube nicht, dass Syrien zerfallen werde. "Wir kämpfen weiter für die Freiheit Syriens", versprach er.

Gruppenfoto der Teilnehmer der Internationalen Konferenz für frieden udn Sicherheit im Irak in Paris Foto: Reuters
Internationale Konferenz für Frieden und Sicherheit des Irak in ParisBild: Michel Euler/Reuters