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Wie wird man Umwelthauptstadt?

Sonya Diehn / bo18. Juni 2015

Die Europäische Kommission hat Essen im Ruhrgebiet zur Umwelthauptstadt Europas ernannt. Für viele eine Überraschung. Was macht eine Stadt "grün", und warum ist das überhaupt erstrebenswert?

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Essen wird European Green Capital 2017
Bild: picture alliance/blickwinkel/A. Held

Eine deutsche Stadt ist Umwelthauptstadt 2017: Am 18. Juni gab die Europäische Kommission bekannt, dass der Titel an Essen geht. Grund waren nach Angaben der Kommission, seine "beispielhafte Praktiken zum Schutz der Natur und der Biodiversität sowie seine Bemühungen, den Wasserverbrauch zu reduzieren." Außerdem nehme die Stadt im Ruhrgebiet an einer Vielzahl von Initiativen zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes teil.

Essen, einstige Hauptstadt der Stahlindustrie, wurde besonders dafür gelobt, seine industrielle Geschichte hinter sich gelassen zu haben und sich als grüne Stadt neu erfunden zu haben. Das mache sie zu einem Vorzeigebeispiel für andere Städte.

Europas Vorzeigestädte

Jedes Jahr stellt die Auszeichnung Errungenschaften in Umweltschutz und Nachhaltigkeit heraus. Seit 2010 wird der Titel an eine europäische Stadt mit einer Einwohnerzahl von mindestens 100.000 verliehen - immer zwei Jahre im voraus.

Für das Jahr 2017 waren neben Essen noch 's-Hertogenbosch und Nimwegen in der Niederlande sowie Umea in Schweden in der engeren Auswahl. Insgesamt hatten sich 12 Städte aus ganz Europa beworben.

Umwelthauptstadt 2016 ist Ljubljana in Slowenien. Für 2015 holte sich Bristol im Vereinigten Königreich den Titel, letztes Jahr war es Kopenhagen. Aber warum sind diese Städte "grün" und damit Umwelthauptstadt?

Einfallsreichtum für das Klima

Beim Wettbewerb beurteilt ein laut europäischer Kommission "internationales und unabhängiges" Expertengremium die Städte, die sich bewerben. Sie schauen auf Schlüsselindikatoren wie Luftqualität, Nahverkehr, grüne Stadtgebiete und darauf, wie die Städte mit dem Klimawandel umgehen.

George Ferguson, Bürgermeister von Bristol, beschrieb den Klimawandel als die "größte Herausforderung", mit der europäische Städte konfrontiert sind. Das anzugehen, erfordere die Einführung von Neuerungen - und auch ein Gefühl für Spaß. Beides kam zusammen, um Bristols "Aa"-Bus zu erschaffen. "Das ist Buslinie Nummer 2, und sie läuft mit menschlichen Ausscheidungen", sagte Ferguson im DW-Interview. "Es riecht übrigens nicht", fügte er hinzu.

George Ferguson Bürgermeister von Bristol Foto: DW/Sonya Diehn
Bristols Bürgermeister George FergusonBild: DW/S. Diehn

Der "Aa-Bus" ist ein Teil von Bristols Plan, seine CO2-Bilanz bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu reduzieren. Auch die Förderung erneuerbarer Energie und die Reduzierung des Energieverbrauchs sollen dazu beitragen.

Umweltschutz soll Spaß machen

Lykke Leonardsen, Direktorin von Kopenhagens Klimareferat, gab die Meinung wieder, dass raffinierte Ideen mit Spaß Hand-in-Hand gehen müssen. Kopenhagen, Bristols Umwelthauptstadt-Vorgänger, hat ein noch ehrgeizigeres Klimaziel: Bis 2025 klimaneutral zu sein. Über das letzte Jahrzehnt hinweg, hat Kopenhagen seinen CO2-Fußabdruck bereits um 40 Prozent reduziert. Verantwortlich dafür waren Bemühungen, die erneuerbaren Energien auszubauen und auch die Infrastruktur für Fahrradfahrer.

So eine Infrastruktur ist nicht immer nur äußerlich. Leonardsen beschreibt Kopenhagens "Rad-Diener"-Programm: Wenn Leute ihr Fahrrad an ungeeigneten Stellen abstellen, nehmen die Diener das Fahrrad weg. Aber wenn die Fahrradfahrer es dann abholen kommen, müssen sie keine Strafe bezahlen - stattdessen empfängt man sie freundlich, und ihr Fahrrad hat eine frisch geölte Kette und aufgepumpte Reifen.

"Durch solche Lösungen für Fahrradfahrer, wird das Radfahren viel reizvoller", sagte Leonardsen der DW. "Dann ist es nicht mehr etwas, für das ich mich aufopfern muss - ich mache es, weil es Spaß macht und cool ist." Offensichtlich hat das geklappt: Inzwischen fahren 45 Prozent aller Kopenhagener mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zur Schule.

Fahrräder in Brüssel Foto: DW/ Sonya Diehn
Viele Städte haben öffentliche Mietfahrräder - so wie Brüssel, Kandidat für die Umwelthauptstadt 2015Bild: DW/S. Diehn

Grüne Infrastruktur

Eine "grüne" Stadt ist aber auch buchstäblich grün - und das heißt nicht nur, dass es viele Parks gibt. Das neue Schlagwort heißt "grüne Infrastruktur", grob definiert als Landschaftgebiete mit einer Vielzahl von Funktionen. Ronan Uhel von der europäischen Umweltagentur beschrieb grüne Infrastruktur als eine "naturbasierte Lösung", die auch zum Schutz der Artenvielfalt beitragen kann. "Das kann die Energieeffizienz von Gebäuden beeinflussen, es kann die Zerstückelung unserer Landschaft verringern, es kann auch hilfreich sein, um die Zugänglichkeit zu Flüssen wiederherzustellen", sagte er der DW.

Ein Projekt in Kopenhagen bestand darin, ein Netzwerk von grünen Gebieten zu erschaffen, das das Regenwasser aus Stürmen ableitet. Das Projekt war das Ergebnis eines Umdenkens nach einem noch nie da gewesenen Regenbruch im Jahr 2011, der massive Schäden an der Infrastruktur der Stadt verursachte und zahlreiche Menschenleben gefährdete.

Jetzt leiten diese grünen Gegenden das Regenwasser um, helfen, die Luft zu säubern und dienen gleichzeitig als Erholungsorte für die Menschen. "Die Stadt wird grüner und gesünder - und dadurch auch attraktiver", sagte Leonardsen.

High Line Park in Manhattan Foto: Spencer Platt/Getty Images
Grünflächen nützen nicht nur Insekten und anderen Tieren, sondern auch Menschen.Bild: Spencer Platt/Getty Images

Auch gut für die Wirtschaft

Martin Powell, Direktor der Stadttentwicklung bei Siemens im Vereinigten Königreich, unterstrich, wie wichtig Umweltschutz ist: "Eine grüne Stadt ist absolut unerlässlich, um menschliches Kapital anzuziehen, das dort arbeiten und wohnen will."

Powell glaubt, sowohl Städte als auch private Bauunternehmer können solche grüne Infrastruktur "huckepack" nehmen. Wenn wichtige Gebäude eine Energie-Sanierung benötigen, kann das Umweltschutz-Merkmale einschließen, sagte er DW. "Warum nicht ein grünbewachsenes Dach einbauen und draußen ein Vorplatz, in dem das Oberflächenwasser ablaufen kann", schlug Powell vor. Statt eines Betonbodens also lieber ein Boden aus Kacheln, zwischen denen Wasser in die Erde sickern kann.

'Labor für den Wandel'

Ferguson, der Bürgermeister von Bristol, beschrieb Städte als die Quelle "einer Menge Probleme, aber auch einer Menge Lösungen". Die Idee sei, "dass Städte ein Labor für den Wandel werden, dann können sie die Ideen über ganz Europa verbreiten." Und er fügt hinzu: "Eine Stadt alleine wird nciht die Welt verändern. Aber wenn wir Ideen austauschen und unsere Probleme sowie die Antworten darauf teilen, dann können wir die Welt sehr wohl verändern."