1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wiener Gauner mit Blech

Suzanne Cords20. Oktober 2012

Harmonika, Schrammelgitarre, eine jammernde Geige, das Sterben und a Glaserl Wein spielen die Hauptrolle beim Wiener Lied, das längst in die Jahre gekommen ist. "Die Strottern" räumen radikal mit alten Klischees auf.

https://p.dw.com/p/16NgC
Das Duo 'Die Strottern' (Foto: Die Strottern)
Bild: Die Strottern

In Österreich ergriffen junge Menschen bis vor kurzem die Flucht, wenn "Wiener Lied" auf dem Programm stand, hielten sie diesen Musikstil doch für völlig antiquiert. Mittlerweile jedoch bekennt man sich zum kulturellen Erbe. "Die Strottern" gehören zu den Vorreitern der neuen Wiener Lied-Bewegung. Vor 15 Jahren landete das Duo zufällig in dem Genre, wie Sänger und Geiger Klemens Lendl gesteht.

Wie viele junge Männer träumten auch er und sein Partner David Müller davon, Rockstars oder zumindest Jazzgrößen zu werden. Doch dann stand der 70. Geburtstag seines Großvaters an, dem zu Ehren die beiden ein paar alte Wiener Lieder ausgruben. "Und plötzlich spielst du eine Musik, wo du das Gefühl hast, das ist dein Eigenstes, da bist du jetzt wirklich authentisch", erzählt Klemens Lendl. "Wir haben vorher auf 1000 Hochzeiten gespielt, und ich dachte immer: Na ja, richtig swingen werde ich nie können, das steckt halt nicht so in mir. Und dann spielst du einen Walzer und hast das Gefühl, das kann niemand so gut wie ich. Das walzt halt. Das ist einfach unser Groove."

Auf Schatzsuche

'Die Strottern' mit Bläserunterstützung (Foto: Die Strottern)
"Die Strottern" mit BläserunterstützungBild: Die Strottern

So wühlten sich der Geiger Klemens Lendl und Gitarrist David Müller durch einen Berg historischer Notenblätter, um die musikalischen Kleinode alter Zeiten auszugraben, aufzupolieren und wieder zukunftsträchtig zu machen. "Sobald man das weinselige Heurigenlied verlässt, entdeckt man wunderschöne zeitlose Lieder", stellten sie fest.

Entdeckungen machen – damit hat auch der Name des Duos zu tun. "Ein Strotter ist laut Wiener Mundartwörterbuch ein Gauner und ein Landstreicher - einer, der im kilometerlangen Kanalnetz unter der Stadt nach Verwertbarem sucht", übersetzt Klemens Lendl. "Wir haben den Namen 'Die Strottern' gewählt, weil wir sozusagen im Wiener Liedschatz nach Verwertbarem suchen." Und mit breitem Grinsen fügt Lendls Partner David Müller hinzu: "Eine andere Bedeutung ist Gelegenheitserwerbsucher. Das ist man ja als Musiker auch immer."

Vom Schmalz befreiter Dreivierteltakt

Statt mit kitschiger Ansichtskartenidylle und Weinseligkeit treten "Die Strottern" mit zeitgemäßem Liedgut in harmonischem Gewand an, erzählen vom Leben in der Donaumetropole und davon, wie die Bewohner dieser Stadt ihren Alltag bewältigen.

Gitarrist David Müller (Foto: Suzanne Cords)
"Strotter" David MüllerBild: DW

Mit tiefgründigem Humor, dadaistischen Zügen und Jazzelementen klingt ihre Musik alles andere als gnadenlos feuchtfröhlich in immer gleicher Schrammelmanier; stattdessen kommt der vom Schmalz befreite Dreivierteltakt witzig, klug und erfrischend daher. Und nicht selten auch bitterböse. "Der Strotter war ja auch einer, der im Kanal den Sud sammelte und zum Seifensieder brachte", erläutert Lendl. "Das ist für uns ein schönes Bild. Das machen wir ja auch. Wir sammeln das, was die Menschen eher verdrängen wollen, die dunklen Seiten, die jeder hat."

Von Struzlern und lieben Madln

Dabei kommt ein Stück wie "Tänzer“ heraus, das die Verlogenheit und Selbstverliebtheit der Politiker aufs Korn nimmt. "Ois is verdraht“ (Das ist verdreht) erzählt die Geschichte vom Pech Verfolgter. Und bei den "Struzlern" geht es um Leute, die kein eigenes Leben haben und deswegen das der Anderen aussaugen. Nur negativ wollen "Die Strottern" sich allerdings nicht sehen. "Der Unrat zieht uns magisch an", gibt Lendl zu. "Trotzdem versuchen wir, Lieder zu machen, die einen nicht runterziehen. Wir wollen die Idee von einer besseren Welt durchblitzen lassen."

Da wird dann ein "liebes Madl" erwähnt und ein netter junger Mann, aber auf ein Happyend wartet man vergebens. So ist auch das Liebeswerben des Schaffners um einen weiblichen Fahrgast im Stück "U 1" nicht von Erfolg gekrönt. Das sei typisch wienerisch, stellt Klemens Lendl klar. "Man schleicht um den heißen Brei herum, lässt sich nicht zu sehr auf eine Sache oder einen Menschen ein, weil man sich sonst schnell wehtut und verkühlt. Und deswegen sollte man nie zu viel riskieren. Denn wer hoch steigt, der fällt auch tief."

Raunzen im letzten Kaff

'Die Strottern' auf der Bühne (Foto: Suzanne Cords)
Das Wiener Lied kommt heute konzertant daherBild: DW

Über den Wiener Pessimismus und den ausgeprägten Hang zur Melancholie gebe es sogar eine wissenschaftliche Arbeit, sagt Lendl. "Da wird politisch begründet, dass das Selbstbewusstsein der Wiener gebrochen wurde, als die Monarchie zerbrach", sagt er. "Wien war einmal die mächtige Hauptstadt eines großen Kaiserreiches. Wir waren mal das New York der Welt. Und dann ist es mit einem Schlag einfach das letzte Kaff vorm Eisernen Vorhang geworden."

So ein Schicksal, da sind sich "Die Strottern" einig, färbe auch auf die nachfolgenden Generationen ab. "Das sitzt einfach tief in einem Volk. Wir sind in Wien sozialisiert und aufgewachsen. Eine gewisse Schwere kriegt man da unweigerlich mit."

Kein Wunder also, dass bei den "Strottern" ordentlich "geraunzt" wird. "Raunzen ist eine Wiener Eigenschaft, das bedeutet jammern", erklärt Klemens Lendl. "Und das kann der Wiener sehr gut. Das macht er sehr gern. Also man kann sich nicht wirklich freuen, weil man eh schon weiß, dass etwas nicht von Dauer ist. Und das kommt auch in diesen Liedern immer heraus."

Blecherne Experimente

Seit fast 20 Jahren arbeiten Klemens Lendl und David Müller jetzt zusammen. Und wenn Lendl frotzelt, dass er eine Solokarriere anstrebe und den "depperten Geiger" bald nicht mehr brauche, nimmt das keiner ernst. Am wenigsten David Müller selbst: "Also ich bin der Arbeiter, ich mache den ganzen technischen Kram und die Organisation, und der Klemens ist das Genie. Aber wenn ich älter bin, werde ich auch eins."

Beide Musiker kommen aus Klosterneuburg, dem 25sten Bezirk Wiens, der offenbar nur durch Zufall nicht eingemeindet wurde. "Ein echter Wiener kommt ja nicht aus Wien, sondern der ist wie Klemens halb Steirer und halb Tscheche", erklärt David Müller, "oder wie ich halber Italiener. Wien war als Kaiserstadt immer so ein Schmelztiegel der Kulturen. Aus allen Teilen des Reiches sind sie nach Wien gekommen und haben natürlich auch ihre Musik mitgebracht. Das Wiener Lied nimmt insofern auch Einflüsse aus dem Balkan, aus Frankreich oder dem Alpenland auf und ist im Laufe der Zeit urbanisiert worden."

Ordinäres, Intellektuelles, Charmantes und Alpenländisches – es gibt nichts, was der Wiener Lied-Fundus nicht bietet. Nur Blasmusik war dem Genre bisher fremd. Aber auch das hat sich jetzt geändert: Das neueste Spielzeug der "Strottern" ist aus Blech. Schon lange hatte das Duo mit dem Gedanken geliebäugelt, Blasmusik in ihr Wiener Lied einzubauen, ein ganz neues Instrument in dem alt gedienten Genre.

Die Strottern mit dem Ehrenpreis RUTH 2012 (Foto: Suzanne Cords)
Beim Tanz-und Folkfestival Rudolstadt wurden die Strottern mit dem RUTH ausgezeichnetBild: DW

Jetzt haben sie sich endlich mit einem Trompeter und einem Posaunisten verbündet, die sich dem launischen Strottern-Experiment freiwillig unterwerfen. "Sie müssen sich ja wahnsinnig reduzieren, wenn sie mit uns spielen", betont Lendl. "Sie müssen ganz leise spielen, jeder Ton ist schon zu viel. Und nur wenige Musiker lassen das mit sich machen. Gerade Blechbläser geben ja gerne Vollgas."

Dass man auch ohne laute Töne Erfolg haben kann, beweisen die zahlreichen Preise, die sich mittlerweile auf den Regalbrettern der "Strottern" drängeln. Vom Jazz Award bis zum Weltmusikpreis scheint das Wiener Lied in jede Schublade zu passen. Und so wurde das Duo mit seinem aktuellen Programm "Gauner mit Blech" jetzt auch in Deutschland mit dem "Musikpreis RUTH 2012" geehrt. Da haben "Die Strottern" wohl wieder einen neuen Schatz gehoben.