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"Wikileaks bringt arabische Welt in Bedrängnis"

29. November 2010

Nach dem jüngsten Wikileaks-Coup geraten viele arabische Regierungen in Bedrängnis. Welche Auswirkung die aufgedeckten Dokumente für die arabische Welt haben, erklärt Israel-Korrespondent Gil Yaron im Interview.

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Irans Präsident Mahmoud Ahmadinejad (links) beim offiziellen Pressentermin mit Libanons Premier Saad Hariri am 14. Oktober 2010 (Foto: AP)
Wird dem iranischen Präsidenten seine Forderung an die USA erklären müssen: Saad Hariri (re.)Bild: AP

DW-WOLRD.DE: Die deutschen Politiker sind nicht allzu gut weggekommen in den Beurteilungen der US-Diplomaten. Wie ist es denn in Israel? Haben die Politiker dort auch ihr Fett wegbekommen?

Gil Yaron: "Im Großen und Ganzen sind die Politiker hier im Augenblick sehr zufrieden mit den Veröffentlichungen bei Wikileaks. Wie sagte es schon bei der Kabinettssitzung der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu: 'Insgesamt haben die Veröffentlichungen die israelische Weltanschauung bestätigt.' Zwar wird Israel in Wikileaks öfters dargestellt als der Staat, der immer 'Alarm' schreit und bereits seit den 1990er Jahren sagt, der Iran habe in wenigen Monaten die Atombombe. Aber inzwischen deckt sich die geheime Weltanschauung der arabischen Welt fast exakt mit der israelischen Weltanschauung, die sagt: Der Iran ist die größte Gefahr nicht nur für den Nahen Osten, sondern für die gesamte Welt."

DW-WORLD.DE: Das ist doch eigentlich sehr beruhigend zu wissen, dass der größte und wichtigste Partner die eigene Einschätzung teilt. Wird sich denn trotzdem an den diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und Israel etwas ändern?

Gil Yaron: "Alle Diplomaten sprechen davon, dass sich an der Technik der Beziehung viel ändern wird. Dass man mehr aufpassen muss, wenn man miteinander spricht und wie man miteinander kommuniziert. Ich glaube, an der israelisch-amerikanischen Beziehung dürfte sich aufgrund der Veröffentlichung von Wikileaks nichts ändern. Was da schon peinlicher ist, das sind die Veröffentlichungen, die von amerikanischen Diplomaten über arabische Politiker jetzt bekannt geworden sind. Die fordern nämlich ganz unverfroren von den Vereinigten Staaten, den Iran zu bombardieren. Das tun sie allerdings nur im stillen Kämmerlein. Öffentlich sagen sie immer, man müsse das Palästinenser-Problem lösen. Die stecken jetzt also tief in der Bredouille."

DW-WORLD.DE: Aber das wäre doch die Gelegenheit, jetzt neue Partner zu finden.

Gil Yaron: "Das dürfte aber wahrscheinlich für viele arabische Führer ein völliges Umdenken nicht nur im stillen Kämmerlein erfordern. Sie müssten auch ihrer eigenen Bevölkerung erklären, dass der große Feind jetzt nicht mehr das kleine Israel ist, sondern der ehemalige angebliche Partner Iran. Und ob sie dazu imstande sind, das ist die große Frage im Augenblick. Vielleicht das peinlichste Beispiel dafür ist Saad Hariri, der amtierende Premierminister des Libanon. Der sagte den Amerikanern im Jahr 2006 nur: 'Der Angriff auf den Irak war überflüssig. Der Angriff auf den Iran ist notwendig.' Und er befindet sich in diesen Stunden, in denen das veröffentlicht wird, in Teheran und verspricht den Iranern libanesische Hilfe für ihr Atomprojekt. Das ist natürlich für ihn sehr peinlich, wenn jetzt bekannt wird, dass er eigentlich den Amerikanern geraten hat, die Iraner zu bombardieren."

DW-WORLD.DE: Ist der Iran denn jetzt in die Bredouille geraten? Man sieht sich ja jetzt eher von Feinden als von Freunden umzingelt.

Gil Yaron: "Ich glaube, die Iraner wussten davon. Sie können das jetzt natürlich gegenüber der eigenen Bevölkerung medial ausschlachten und sagen: 'Guckt mal, wie isoliert wir sind. Die ganze Welt ist gegen uns.' Viele meinen, das könnte für das iranische Regime sogar hilfreich sein. Und die Iraner wollen auch weiter an die arabische Welt appellieren und sie beginnen jetzt schon damit, indem sie sagen: 'Schaut mal, eure Führer belügen euch die ganze Zeit. Sie hintertreiben das gemeinsame muslimische Interesse.' Das ist ja eigentlich auch der Grund, warum die arabischen Führer im stillen Kämmerlein genau das Gegenteil von dem sagen, was sie offiziell denken."

DW-WORLD.DE: Woran liegt es, dass auf der einen Seite so geredet wird und hinter verschlossenen Türen dann ganz anders? Ist das einfach Diplomatie?

Gil Yaron: "Das ist nicht nur Diplomatie. Ich glaube, in den vergangenen 65 Jahren wurde der israelisch-palästinensische Konflikt in der arabischen Welt so hochstilisiert und so kultiviert, dass er im Prinzip für alle der symbolhafte Konflikt geworden ist. Und man muss hier der öffentlichen Meinung einen gewissen Tribut zollen. Nur wenn die Tür zu ist, dann kann man schon mal die Wahrheit sagen und das tatsächliche Problem benennen. Das ist aber in vielen arabischen Staaten immer noch nicht salonfähig. Da muss ein Umdenken stattfinden, wenn die amtierenden arabischen Regierungen nicht noch stärker in eine Glaubwürdigkeitskrise abrutschen wollen."

DW-WORLD.DE: Im Moment wird in der Öffentlichkeit gestritten: Was ist das jetzt eigentlich, was Wikileaks da veröffentlicht hat? Eines kann man schon jetzt sagen: Für die USA ist es ein Datenschutz-GAU. Was ist es für Ihre Region, für den Nahen Osten?

Gil Yaron: "Es ist noch zu früh, das abzuschätzen. Es sind ja schließlich mehr als 250.000 Dokumente, von denen die meisten noch gar nicht veröffentlicht wurden. Wir müssen noch abwarten, wohin sich das Ganze entwickelt. Dabei sind allerdings zwei Entwicklungen möglich: Zum einen sind da die Iraner, die von einem zionistischen Komplott sprechen und behaupten, dass alles fabriziert sei und nur wenig davon stimme. Und die haben tatsächlich Leute, die ihnen das glauben. Es könnte aber auf der anderen Seite auch zu einem Umdenken führen. Aber: Wohin das letztlich hinführt, das werden erst die Historiker in wenigen Jahren berichten können."

DW-WORLD.DE: Wagen Sie eine Prognose: Wieviel Brisanz steckt da noch drin?

Gil Yaron: "Ich glaube, da steckt noch viel Brisanz dahinter. Und viele Menschen werden sich jetzt vor den arabischen oder den israelischen Medien erklären müssen. Ich denke da beispielsweise an den geheimen Plan des Mossad-Chefs, der den USA angeboten hat, die Regierung im Iran zu stürzen. Das wird er sicherlich erklären müssen und da sind auch die Israelis eine Erklärung schuldig, warum der Mossad bereit ist, sich auf solche Spielchen einzulassen. Das ist aber eine Sache, die eigentlich auch nicht verwundern sollte. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass ein Geheimdienst versucht, Weltpolitik zu betreiben."

Das Interview führte Jörg Brunsmann

Redaktion: Stephanie Gebert