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Politik

Will sich der IS in Kaschmir festsetzen?

Emran Feroz21. Juni 2016

Kann der "Islamische Staat" von dem weiterhin ungelösten Kaschmir-Konflikt profitieren? Manche Experten sehen Grund für Sorge, andere sind eher skeptisch, dass der IS in Kaschmir Fuß fassen kann.

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Trauerfeier für den getöteten Separatisten Bilal Ahmed Bhat in Srinagar (Foto: Getty Images/AFP/T. Mustafa)
Bild: Getty Images/AFP/T. Mustafa

Der ungelöste Kaschmir-Konflikt besteht nicht nur in der Konfrontation zwischen den Atommächte Indien und Pakistan. Sondern im indischen Teil, in Jammu und Kaschmir, stehen sich die indische Armee und die mehrheitlich muslimische Bevölkerung sowie separatische terroristische Gruppen gegenüber, die für Unabhängigkeit beziehungsweise die Eingliederung Kaschmirs nach Pakistan kämpfen.

Dabei ist es zu vielfach dokumentierten massiven Menschenrechtsverletzungen der indischen Armee in den vergangenen Jahrzehnten gekommen. Schätzungen sprechen außerdem von rund 60.000 Todesopfern überwiegend unter der Bevölkerung. Allerdings ist deren Zahl kontinuierlich zurückgegangen. Vor zehn Jahren waren es noch etwa 1.100, in der jüngsten Auflistung der indischen Regierung kamen 2015 über 190 Personen,darunter 47 Sicherheitskräfte, infolge des Konflikts ums Leben.

Als Anzeichen einer gewissen Entspannung innerhalb Jammu und Kaschmirs kann die jüngste Entscheidung der Regierung in Neu Delhi gewertet werden, separatistischen Politikern Gespräche mit dem pakistanischen Botschafter (High Commissioner) in Indien zu erlauben. Hardliner innerhalb der Separatisten sehen das als irrelevant, sie bestehen auf der Umsetzung einer UN-Resolution von 1949, die eine Volksabstimmung in Kaschmir über die Zukunft der Region vorsah. Eine solche Abstimmung steht jedoch für Indien nicht zur Debatte. Und solange zwischen Islamabad und Neu Delhi nicht wieder Bewegung in der Kaschmir-Frage kommt - und danach sieht es derzeit nicht aus -, wird die Region weiterhin Nährboden für (islamistischen) Extremismus sein.

IS-.Flagge mit Kindersoldaten in Afghanistan (Foto: picture-alliance/dpa/G. Habibi)
In Teilen Afghanistans hat der IS bereits seine "Provinz Chorasan" etabliert, will man den Propaganda-Fotos glauben.Bild: picture-alliance/dpa/G. Habibi

IS in Südasien

Viele Beobachter stellen sich deswegen die bange Frage, ob auch der sogenannte "Islamische Staat" (IS) im Zuge seiner globalen Rekrutierungskampagne nach Kaschmir ausgreifen könnte. In der Region ist er definitiv in Afghanistan präsent. Dort verübt der IS im Osten des Landes unter dem Namen "Islamischer Staat in Khorasan" bzw. "Provinz Khorasan" (unter Anspielung auf die historische islamische Provinz dieses Namens) Anschläge und ist seinerseits Ziel amerikanischer Luft- und Bodenoperationen. Gleichzeitig kämpft der IS in Afghanistan gegen die dortigen Taliban um die Vorherrschaft beim Kampf gegen die Regierung in Kabul und gegen die ausländischen Truppen.

Über die Präsenz des IS in Pakistan und in Indien ist dagegen weniger bekannt. Ein Überfall auf einen Bus mit ismailitischen Passagieren in Karatschi im Mai 2015, mit 44 Todesopfern, wurde sowohl dem IS wie auch Al Kaida zugeschrieben. Pakistanische Quellen erklärten vor kurzem gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, dass die Behörden im Zuge einer Operation zur Aushebung eines IS-Netzwerks zur Rekrutierung von Anhängern "Hunderte Verdächtige" festgenommen hätten. Experten halten jedoch die Erfolgsaussichten für signifikante Erfolge des IS, in Pakistan oder gar in Indien Anhänger zu gewinnen, für gering.

Kaschmir-Separatistenführer Syed Ali Shah Geelani (Foto: Getty Images/AFP/S. Hussain)
Laut Syed Ali Shah Geelani, Veteran des politischen Hardliner-Lagers innerhalb der Separatisten, ist in Kaschmir kein Platz für den ISBild: Getty Images/AFP/S. Hussain

"Rache für Vergehen an Muslimen in Indien"

Im Mai wandte sich der IS in einer Videobotschaft direkt an die Muslime in Indien. In der Botschaft hieß es unter anderem, dass man die Opfer in Kaschmir sowie jene der Gujarat-Pogrome rächen werde. 2002 kam es in der Provinz Gujarat zu Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen. Mindestens 1.000 Personen, mehrheitlich Muslime, wurden dabei getötet. Narendra Modi, Indiens Ministerpräsident, war zum damaligen Zeitpunkt Chefminister der Provinz. Bis zum heutigen Tage wird ihm vorgeworfen, dass Massaker an der muslimischen Minderheit toleriert zu haben.

Anfang 2016 verkündete der IS in seiner Online-Publikation "Dabiq", dass Kämpfer im indischen Teil Kaschmirs dem "Kalifat" unter Abu Bakr al-Bagdadi die Treue geschworen hätten. Dies meldete die Türkische Agentur Anadolu. Sie zitierte zugleich Syed Ali Shah Geelani, einen prominenten Separatistenführer, dass der IS keinen Platz und Einfluss in Kaschmir habe. "Derartige Behauptungen nutzen nur Indien, das weiterhin versucht, den aufrichtigen Unabhängigkeitskampf der Menschen in Kaschmir zu diffamieren", so Geelani laut Anadolu.

Im pakistanischen Teil Kaschmirs tragen Angehörige den Sarg mit dem Opfer eines Feuergefechtes an der pakistanisch-indischen "Line of control" (Foto: Getty Images/AFP/S. Qayyum)
Im pakistanischen Teil Kaschmirs tragen Angehörige den Sarg mit dem Opfer eines Feuergefechtes an der pakistanisch-indischen "Line of control"Bild: Getty Images/AFP/S. Qayyum

Indischer Ölmanager will IS-Flagge in Kaschmir hissen

Tatsächlich lenkte die "Times of India" in einem Artikel vom 11. Juni die Aufmerksamkeit auf Ambitionen des IS, in Kaschmir Fuß zu fassen. Das Blatt beruft sich auf die Anklageschrift gegen einen leitenden Angestellten des Konzerns "Indian Oil Corporation", Mohammad Sirajuddin. Dieser war im vergangenen Dezember von der Anti-Terror-Behörde National Investigation Agency (NIA) festgenommen worden. Der Ölmanager wurde laut der indischen Agentur PTI beschuldigt, muslimische Jugendliche per Whatsapp und Facebook einer "Gehirnwäsche unterzogen zu haben" und die Ideologie des IS zu verbreiten.

Jetzt wurde offiziell Anklage erhoben. Unter den Dokumenten der Anklage befinden sich laut "Times of India" Webchats von IS-Mitgliedern aus verschiedenen Ländern mit Sirajuddin. Dieser zeigte sich zwar begeistert über das Projekt, den IS in Kaschmir zu verankern, gab aber zu bedenken, dass der IS dabei einen Zweifrontenkrieg führen müsse: Einen gegen die indische Armee und einen gegen separatistische Gruppen wie Laschkar-e Taiba, Jaish-e Mohammed oder Hizbul Mujahideen. Denn letztere bezögen ihre Ideologie aus Nationalismus beziehungsweise Patriotismus und würden niemals einem Zusammenschluss mit dem IS und einem übernationalen Kalifat zustimmen. Immerhin hielt der radikale Ölmanager das Projekt "IS in Kaschmir" nicht für völlig abwegig, denn er hatte bereits eine 20-Rupien-Banknote mit der Aufschrift "IS in Kaschmir willkommen" konzipiert.

Indischer Ministerpräsident Narendra Modi zu Besuch in Lahore mit MP Sharif (Foto: picture-alliance/dpa/Press Information Bureau)
Die angebliche "gute Chemie" zwischen Modi und Sharif hat bislang zur Lösung der Kaschmir-Frage nichts beigetragenBild: picture-alliance/dpa/Press Information Bureau

Experten uneins über Erfolgsaussichten

Ebenfalls skeptisch über die Erfolgsaussichten des IS in Kaschmir äußerte sich der pakistanisch-amerikanische Politikwissenschaftler Hassan Abbas von der National Defense University in Washington gegenüber der DW: "Ich halte die Wahrscheinlichkeit des IS-Einflusses auf militante Kämpfer in Kaschmir für sehr gering. Die Natur der Militanz in diesem Konflikt hat hierfür einfach zu unterschiedliche Dynamiken", so Abbas. Anders lautet die Einschätzung von Bruce Riedel, ehemals CIA-Mitarbeiter und Berater der US-Regierung und heute Südasien-Experte bei der Denkfabrik Brookings Institution in Washington. Angesichts der langen Geschichte der Gewalt in der Region und der Tatsache, dass der Konflikt seit Jahren festgefahren sei, bezeichntete er Kaschmir gegenüber der DW als "reif für den IS".