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"Brandt war ein Vorbild in der Veränderung"

Torsten Landsberg
12. September 2017

Statt Vorbilder für Veränderung zu sein, fehle es Politikern in diesem Bundestagswahlkampf an Mut zu Visionen, meint Thomas Kliche, Professor für Politische Psychologie. Davon profitieren könnten "politische Models".

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Deutschland historische Wahlplakate Willy Brandt 1972
Wahlkampfplakat mit Bundeskanzler Willy Brandt (1972)Bild: Imago

DW: Es gibt historische Vorbilder unter Politikern, etwa Willy Brandt. Worin unterscheiden sich diese Charaktere von den heute handelnden Politikern?

Jemand wie Willy Brandt war ein Vorbild in der Veränderung. Herausforderer Martin Schulz und Bundeskanzlerin Angela Merkel setzen dagegen auf Unbeirrbarkeit und Weitermachen und sie spiegeln damit eine Verblendung von Mehrheiten, die vor allem ihre Ruhe haben wollen und ein bisschen mehr Wohlstand. Im Grunde betreiben wir die Entpolitisierung politischer Entwürfe.

Dafür sind diese beiden Führungspersonen Vorbilder: für Postdemokratie. Die Menschen, die wir geschichtlich als große politische Persönlichkeiten erleben, sind immer auch die Verkörperung einer großen Idee, eines Entwurfs gewesen: Brandt, Mandela, Palme, Roosevelt, Lincoln – das waren Menschen, die sich für einen Fortschritt an Menschlichkeit eingesetzt haben, die eine Vorstellung vermittelt haben, wie man leben sollte. Ohne so eine Idee nutzen Tugend, individuelle Zuverlässigkeit und Ruhe nur als Übergangslösung. Und das ist nicht, was gute Führung in Krisen ausmacht.

Thomas Kliche
Thomas KlicheBild: Alexej Woronzow

Ist es die Fülle an überwältigenden globalen Problemen, die das Ausformulieren einer Idee so schwierig macht?

Nein, es ist eher der Mut, der fehlt. Wir stehen unter Zeitdruck und die Lösungen, die uns die Parteien vorstellen, sind erkennbar nicht tragfähig. Was sie aus psychologischer Sicht brauchen, ist Veränderungskommunikation. Wir haben eine weltweit einheitliche Aufgabe: Wir müssen den Kapitalismus zähmen, der unsere Gemeingüter und die wirtschaftliche Sicherheit vernichtet. Im Sozialstaat haben wir den Kapitalismus national gezähmt. Das müssen wir jetzt international hinkriegen, sonst fliegt uns die Welt mit immer größeren Ungleichheiten und Spannungen um die Ohren.

Es sind weniger als zwei Wochen bis zur Bundestagswahl. Haben sich alle Parteien schon mit einer eventuellen Neuauflage der Großen Koalition abgefunden?

Das finde ich sehr deutlich. Es gibt ja keine Bemühungen, etwas anderes zusammenzubringen, ein mehrheitsfähiges und durchdachtes Projekt als Alternative zur Großen Koalition oder zu einer Kanzlerin Merkel zu entwickeln. Das wäre eine Aufgabe des letzten Jahres gewesen, vor allem eine Aufgabe von Martin Schulz. Das ist versäumt worden. Die SPD hat historisch versagt, weil sie sich verweigert hat, eine Alternative auf die Beine zu stellen. Zu sagen: „Ich will Kanzler werden", reicht nicht, um Politik zu machen. Politik bedeutet, dass man für einen Entwurf des guten Lebens genug Bündnispartner und Unterstützer gewinnt und ihn gegen Widerstände durchsetzen kann. Das hat Schulz nicht mal in Ansätzen versucht.

Bei den Wahlplakaten sticht vor allem die Kampagne der FDP heraus, die einen Ein-Personen-Wahlkampf vollzieht und Christian Lindner als eine Art James Bond inszeniert: schwarz-weiß, Schatten werfend, gedankenverloren nach unten oder fokussiert in die Kamera blickend. Ist es das, was uns anspricht?

Deutschland | Wahlplakate - Bundestagswahl 2017
Spitzenkandidat Christian Lindner auf einem Wahlplakat der FDPBild: picture-alliance/dpa/Revierfoto

Ja, ausgesprochen geschickt. Nicht so sehr, um Wähler direkt anzusprechen, sondern vor allem, um Dinge vergessen zu machen. Die FDP ist ja seinerzeit regelrecht gemobbt worden, sie hatte einen Ruf naiver Klientelpolitik und Hartherzigkeit. Durch die Neugeburt der Partei in der Person von Christian Lindner wird dieser alte Ruf völlig überspielt und ersetzt durch männlich konnotierte Härte und eine Personifizierung von Durchsetzungsfähigkeit. Um was es dabei inhaltlich geht, rutscht aus dem Blick. Lindner ist eine Art politisches Model.

Politisches Model - ist das die Inszenierung eines Vorbilds, das vorangeht?

Genau. Die Menschen haben ein großes Unbehagen, in eine Zukunft zu gehen mit Wirtschaftskrisen, Umweltkrisen, internationalen und Bündniskrisen, ohne Zukunftsentwurf und ohne veränderungsgerichtete Führung. Sie wünschen sich Anführer, die sie durch diese Krisen führen. Das politische Personal müsste dafür eine Vision verkörpern und einen neuen Problemlösungsweg anbieten. Weil aber die Zukunftsentwürfe ausbleiben, treten die Personen an ihre Stelle, es geht mehr um die Vermittlung von Stil und Atmosphäre als um politische Entscheidungen und Lösungen.

Sind solche Inszenierungsversuche nicht leicht durchschaubar ?

Das politische Model bricht mit den Seriositätsnormen einer Politik, die uns dermaßen vereinheitlichte Formate andreht, dass wir die Partei austauschen und die Plakate noch mal neu kleben können. Es gibt bei den großen Parteien eine wachsende Überlagerung der Sympathiewerbung mit Allgemeinplätzen und Selbstdarstellungskonventionen. Die FDP macht es anders und wird davon profitieren.

Muss man die Dinge in schweren Zeiten nicht nüchtern sehen und fragen: Wer ist der beste Manager durch die Krisen?

Gute Manager haben aus psychologischer Sicht ein Repertoire: Sie gehen auf Situationen, die Aufgabenstellung und eigene Ressourcen ein und reagieren unterschiedlich. Insbesondere verbinden sie konventionelle und umformende Führungsansätze. Sie sind dabei automatisch auch Vorbilder, denn sie haben einen Zukunftsentwurf, sonst geht der Laden pleite. Ebenso zieht Führung von Menschen generell ihre Kraft aus der Verbindung von Vision und Vorbild, Führung dient uns allen zur Problemlösung. Sie hat eine soziale Funktion. Gutes Management lässt sich von Emotion nicht trennen.

Thomas Kliche ist Professor für Bildungsmanagement an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Sein Arbeitsschwerpunkt ist die Politische Psychologie.

Das Gespräch führte Torsten Landsberg.