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Gemeinsam sind sie stark

19. Oktober 2011

Der deutsche Wein-Jahrgang 2011 wird von guter Qualität sein. Ein Drittel des Rebensaftes wird von Genossenschaften erzeugt. Die gibt es seit 140 Jahren.

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Winzer lesen auf einem Weinberg des Weingutes Schloss Proschwitz bei Meißen Frühburgunder-Trauben. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Gemessen an den großen europäischen Weinnationen ist die Rebfläche Deutschlands mit etwas mehr als 100.000 Hektar eher klein. Frankreich und Italien bringen es jeweils auf rund 900.000 Hektar. Spanien sogar auf 1,2 Millionen Hektar. Dennoch hat der Weinbau in Deutschland eine starke Tradition und ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: Wegen des Weines selbst und durch den Reiz, den die Weinberge touristischen Regionen verleihen.

Genossenschaften - aus der Not geboren

Kleine Gärtanks im Badischen Winzerkeller Breisach (Foto: DW/Birkenstock)
Die Tanks sind gut gefüllt in BreisachBild: DW/G.Birkenstock

"Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele." Formuliert hat diesen Grundsatz der Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen Mitte des 19. Jahrhunderts. Anders gesagt: Gemeinsam sind wir stark. Raffeisen versuchte als Kommunalbeamter das Leiden der bäuerlichen Landbevölkerung zu lindern, das durch Missernten oft auf Wucherer angewiesen war. Er gründete wohltätige Vereine, die den Bauern halfen, Notzeiten zu überbrücken. Das von ihm entwickelte Genossenschaftsmodell hat sich früh auch im Weinbau etabliert. 1868 wurde in Mayschoss an der Ahr die erste Winzergenossenschaft Deutschlands gegründet. Vor allem im Süden Deutschlands folgten rasch weitere Zusammenschlüsse.

Der Weinhandel lief bis Mitte des 20. Jahrhunderts vorwiegend über Weinkommissionäre. Die Weinbauern lieferten ihren Wein an den Handel. Der diktierte die Preise. Das Ziel der Genossenschaften war es, dieses Preisdiktat abzuschaffen.

Obwohl die Weinbaugebiete Baden-Württembergs keineswegs zu den größten in Deutschland gehören, finden sich hier dennoch die bei weitem meisten und größten Genossenschaften. So stehen im kathedralenhaften Weinkeller der Winzergenossenschaft Breisach in der Nähe von Freiburg gigantische Gärtanks - der größte fasst 1,2 Millionen Liter. Bis zu 2,5 Millionen Kilogramm Trauben können hier während der Erntezeit pro Tag verarbeitet werden. Die Einlagerung im Vorratskeller liegt bei jährlich 20 bis 25 Millionen Liter.

Traubenernte (Foto: AP)
Der Konkurrenzkampf ist hart auf dem deutschen MarktBild: AP

Ein Großbetrieb kann leichter investieren

Nicht alle Winzer-Genossenschaften sind so groß wie der Badische Winzerkeller in Breisach. Auch Kooperativen von 80 bis 100 Hektar können schon leistungsfähig sein. Das Grundprinzip liegt auf der Hand: Ein Großbetrieb kann leichter investieren. Maschinen, die größere Mengen verarbeiten, sind wirtschaftlicher als die in Kleinbetrieben. Dass Genossenschaften vor allem in Süddeutschland stark verbreitet sind, hat historische Gründe. Das Erbrecht der sogenannten "Realteilung" führte zu einer Parzellierung der Weinberge, deren Bewirtschaftung sich für den einzelnen nicht mehr lohnte.

"Die Realteilung besagt nichts anderes, als dass das vorhandene Erbe unter allen Nachkommen gleichmäßig aufgeteilt wurde. Und in jeder Generation wurde erneut geteilt", erklärt Dieter Weidmann, Vorstandsvorsitzender der Württembergischen Weingärtner-Zentralgenossenschaft die schwäbische Besonderheit. In anderen Regionen hingegen galt das so genannte Erbhofprinzip. Hier übernahm meistens der älteste Sohn das Erbe und konnte die Fläche weiterhin lukrativ bewirtschaften.

Die Zeit für deutsche Winzer wird schwerer

Tankgrößen des Badischen Winzerkellers Breisach. (Foto: DW/Birkenstock)
Da passt was rein...Bild: DW/G.Birkenstock

202 Winzergenossenschaften gibt es heute in Deutschland. Von ihnen stammt rund ein Drittel der deutschen Weinerzeugung. In Frankreich und Italien liegt die Rate noch höher, bei rund 50 Prozent. Derzeit arbeiten noch 50.000 Genossenschaftswinzer in den deutschen Weinbergen. In Frankreich sind es mit 95.000 zwar fast doppelt so viele. Gemessen an der fast neunmal so großen Weinbau-Fläche Frankreichs jedoch sind es dort prozentual deutlich weniger.

Nicht nur deshalb sprechen in Deutschland viele von einem anstehenden massiven Strukturwandel. Der Weinkonsum weltweit ist zurückgegangen, Deutschland ist einer der attraktivsten Märkte für ausländische Weinproduzenten. Das bedeutet massive Konkurrenz. Die Zeiten für deutsche Winzer werden also nicht besser.

Traubenanlieferung in der Winzergenossenschaft Oberkirch (Foto: DW/Birkenstock)
Anlieferung der TraubenBild: DW/G.Birkenstock

Im Weinbau generell findet deshalb derzeit eine große Welle von Fusionen und Übernahmen statt. Betriebe müssen größer werden, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Die Zahl der Genossenschaften hat stark abgenommen, während die bewirtschaftete Rebfläche gleich blieb. Doch auch kleinere Betriebe mit hohem Niveau haben nach wie vor gute Chancen auf einem Markt, der nicht mehr wächst und nur von der Verdrängung der Mitbewerber lebt.

Genossenschaften wie Privatwinzer versuchen mit besseren Qualitäten und ausgefallenen Marketing-Konzepten neue Kundenkreise zu erreichen, im In- und Ausland. Nach zwei schwachen Erntejahren fehlt vielen für notwendige Investitionen jedoch das Kapital. Das dürfte die Fusionswelle und den Zulauf zu den Genossenschaften in der kommenden Zeit noch deutlich verstärken.

Autor: Günther Birkenstock
Redaktion: Henrik Böhme