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Winzlings Wissenschaft

2. Januar 2004

Ein Nanometer - das ist ein tausendstel Mikrometer, also ein tausendstel eines tausendstel Millimeters. Dennoch wird der Nanotechnologie eine riesige Zukunft voraus gesagt. Und inspiriert Dichter und Denker.

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Die kleinste Gitarre der Welt, ganze zehn Micrometer langBild: Cornell University/D. Carr and H. Craighead


Schon vor Jahren haben Visionäre die "Nano-Ära" ausgerufen: Von einer zweiten "industriellen Revolution" der Weltwirtschaft ist da die Rede oder - nüchterner betrachtet - von der Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Denn die Nano-Technologie ist inzwischen schon weit verbreitet und auch duchaus bereits alltagstauglich.

Die Leseköpfe für Computerfestplatten etwa funktionieren nur, weil es gelingt, nahezu atomgenau dünne Schichten verschiedener chemischer Elemente und Verbindungen übereinander zu legen. Diese wandeln dann die winzigen magnetische Bit-Muster der Festplatte in verlässliche elektrische Signale um. Und wie immer, wenn eine Technik "unglaublich", "seltsam" oder "unheimlich" anmutet, beflügelt sie die Phantasie von Phantasten und Philosophen.

Natur nachmachen

"Die Natur baut sich Sachen Atom für Atom Sachen zusammen - und jetzt machen wir das auch", sagt Alfred Nordmann, Professor für Wissenschaftsphilosophie an der TU Darmstadt. Aber er wäre nicht Professor für Philosophie, wenn er es bei derart lakonischen Worten bewenden ließe. "Zuerst konstruiert man die Natur als eine Art Ingenieur. Dann sagen wir uns: 'Wir machen die Natur jetzt nach'. Und überholen damit ingenieurshaft die Natur." Die Nanotechnologie ist also nichts anderes als ein Hilfsmittel, um die Welt nachträglich neu zu erschaffen?! Dass das nicht gut ausgehen kann, kann man sich schon fast denken. Was diese Technik in den Händen und Hirnen von Schriftstellern alles anrichten kann, auch.

"Beute" und "Graue Schmiere"

Auf jeden Fall haben sich schon einige Science-Fiction-Autoren des Themas angenommen. Ihr Ausblick ist - wie so oft - eher negativ. Technik, die sich vom Menschen nicht beherrschen lässt, beherrscht am Ende ihn. In Michael Crichtons Buch "Beute" zum Beispiel schließen sich Schwärme smarter Nano-Partikel zu halbintelligenten Wesen zusammen. Dann rücken sie ihren Schöpfern auf den Leib, um sich bei ihnen einzunisten. Selbstredend übernehmen sie das Kommando über die Leiber. Das ist aber immer noch erfreulicher als die Vision des amerikanischen Populärwissenschaftlers und Nano-Propheten Eric Drexler von der "Grauen Schmiere" (Gray Goo).

In seinem Buch "Engines of Creation" lässt Drexler die Erde von einer "Grauen Schmiere" überwuchern. Zunächst ist sie kaum sichtbar, aber sie wächst stetig: Erst ist sie ein Stecknadelkopf, dann ein Fünfmarkstück. Und bald ist klar, dass sie nicht aufhören wird, sich zu vermehren. Denn "Gray Goo" besteht aus winzigen "Nano-Assemblern". Das sind wenige Millionstel Millimeter große Maschinen, die jedes Material aus einzelnen Atomen zusammenlöten können und obendrein sich selbst reproduzieren. Die Welt wird sukzessive in graue Schmiere verwandelt.

Solche Horrorvisionen halten Fachleute glücklicherweise für wenig wahrscheinlich - obwohl es inzwischen tatsächlich selbstreproduzierende Nano-Komplexe gibt. Aber es kann halt nicht jedes Element mit jedem reagieren und sich neu verbinden. Richard Smalley, Chemienobelpreisträger des Jahres 1996, ist davon überzeugt, dass sich die Gesetze der chemischen Reaktionen nicht ohne weiteres aushebeln lassen. Die Furcht, dass sich über kurz oder lang Heerscharen missratener Nano-Maschinen über die Welt hermachen werden, ist also unbegründet. Aber so ganz überzeugend klingt es nicht ...

Die mythische Dimension

Selbstverständlich habe die Nanotechnologie eine mythische Dimension, meint Rosalyn Berne, Assistant Professor für Religion und Moralphilosphie an der University of Virginia. Sie hat alte Sehnsüchte hinter der Begeisterung für die Technik ausgemacht. „Die Nanotechnologie nimmt geradezu den Charakter einer wissenschaftlichen Revolution an", sagt sie. Und sie liefert auch gleich noch eine 'historisch-wissenschaftliche Begründung': In der technischen Entwicklung habe es immer wieder Höhepunkte gegeben, "wo man denkt, aha, jetzt haben wir's, jetzt werden unsere Träume wahr". Elektrizität, Kernenergie und jetzt die Nanotechnologie wurden euphorisch gefeiert.

Aber wird die Nano-Technologie die Menschen auch glücklicher machen? Berne ist skeptisch. Zunächst einmal wird sie die Gesellschaft umformen, und das nicht unbedingt zum Besten, vemutet die Philosophin. Schließlich haben ja auch so nützliche Dinge wie der Kühlschrank, die Mikrowelle und das Fertigessen ihre unangenehmen Schattenseiten. "Zunächst formen wir die Technologie, und dann formt die Technologie uns", ist sich Berne sicher. Hoffentlich bleibt nicht nur "graue Schmiere". (arn/sams)