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"Wir brauchen Eigensinn"

Rick Fulker8. September 2012

Mit einer sicheren finanziellen Grundlage, originellen Ideen und hoher Konzertauslastung verzeichnet die Intendantin des Bonner Beethovenfestes Erfolge. Ilona Schmiel zum diesjährigen Programm.

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Die Intendantin des Bonner Beethovenfests, Ilona Schmiel,Foto: Horst Galuschka
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Das Beethovenfest Bonn hat diesmal "Eigensinn" als Motto, entnommen aus einem Zitat Beethovens. Wo kommt das Zitat her, und wie spiegelt sich der Begriff im Programm wider?

Ilona Schmiel: Beethoven war seiner Zeit immer voraus. Er hat immer provoziert, schockiert, ist als Revolutionär in die musikalische Geschichte eingegangen. Wir leben in einer Welt, die globalisiert, digitalisiert, zum Teil virtuell stattfindet, manchmal fast entpersonalisiert. Die allergrößte Leistung ist aber die künstlerische Leistung, sich live vor einem Publikum den höchsten Anforderungen zu stellen und mit einer sinnlichen, rührenden Botschaft etwas sehr Lebenswertes zu vermitteln.

Ich denke, im 21. Jahrhundert brauchen wir diesen künstlerischen Eigensinn umso mehr, denn künstlerische Höchstleistung kann nur entstehen, wenn man seinen eigenen Weg durchsetzen kann und will. Die Geschichte zeigt, dass gerade die Künstler, die ihr Leben lang bei ihrer Linie geblieben sind, am Schluss die Erfolgreichsten sind. Sie sind es nicht immer unbedingt zu Lebzeiten.

Sie organisieren aber ein Festival mit Künstlern, die noch unter uns weilen. Welche eigensinnigen Künstler, die ihren eigenen Weg gehen, treten jetzt beim Beethovenfest auf?

Der Ungar András Schiff zum Beispiel: Was er in Beethovens 32 Klaviersonaten zu erzählen und zu interpretieren hat, ist für mich einzigartig.

Ein weiterer Prototyp im Hinblick auf einen komplett eigenwilligen Zugriff zum Musizieren ist der lettische Dirigent Andris Nelsons, der mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra das Festival eröffnet. Er stammt aus der ganz jungen Generation und hat ganz Großes vor sich.

Durch die Live-Übertragung des Konzerts auf den Marktplatz kann man sehen: Andris Nelsons schafft nicht nur schöne Musik, sondern es ist schön, ihm beim Dirigieren zuzuschauen. Er scheint keine Knochen im Körper zu haben.

Das stimmt. Er ist auch ein großes Bewegungstalent. Wenn man ihm zuschaut, möchte man sofort unter ihm singen und spielen. Das ist Energie pur.

Ein anderer Typus, genauso eigensinnig und eigenwillig und mitten in einer Spätkarriere stehend, ist Herbert Blomstedt. Er ist 85 Jahre alt. Er hat weltweit ganz große Erfolge gezeitigt, und ich muss sagen, in den letzten fünf Jahren ist etwas hinzugekommen, was den ganz großen Erfahrungsschatz aufblitzen lässt. Ich freue mich ganz besonders, weil er das zweite Mal in seinem Leben mit der deutschen Kammerphilharmonie Bremen zusammenarbeitet, dem "Orchestra in Residence" des Beethovenfestes seit 2004. Diese Musiker haben mir im Vorhinein gesagt, sie lieben und schätzen und fürchten zugleich die Arbeit von Herbert Blomstedt, und es wird richtig hart. Die Kammerphilharmonie Bremen steht wiederum für Eigensinn pur. In diesem Orchester ist jeder Musiker Gesellschafter. Dieses eigenwillige Prinzip hört man auch.

Blomstedt dirigiert Gewandhausorchester Leipzig . (LEI456-020102)
Kapellmeister Herbert Blomstedt ist für seinen Eigensinn bekanntBild: dpa

Wir haben auch ein choreographisches Konzert, wo wir "Die vier Jahreszeiten" von Vivaldi mit der Geigerin Midori Seiler und der Akademie für Alte Musik Berlin vertanzen lassen. Das ganz Besondere hier: Das Orchester lässt sich in zwei Bereiche aufsplitten und ist damit auch mitchoreographiert worden. Auch die Solistin ist mit in den Tanz eingebunden.

Was kann sich das vielleicht wichtigste Beethovenfest in der Welt leisten? Es gibt zum Beispiel die zyklische Aufführung aller Klaviersonaten und Streichquartette Beethovens, auch wieder einen Sinfonienzyklus, aber diesmal mehr als nur einen Vortrag der Repertoirewerke.

Wir haben uns mit dem Philharmonia Orchestra London im Jahre 2012 etwas Besonderes ausgedacht - und zwar, die fünf Kontinente quasi symbolisch für die fünf Ringe der Olympischen Spiele aus London mit in unser Festival zu integrieren. So erklingen zusammen mit den Beethoven-Sinfonien fünf Kompositionen aus den fünf Erdteilen.

Sie erwähnten vorhin das choreographierte Konzert. Was gibt es sonst noch an ungewöhnlichen Konzertformen bei Ihnen?

Wir widmen uns dem Komponisten John Cage, viele seiner Werke werden in den drei Museen der Bonner Museumsmeile aufgeführt. Dabei sind nicht alle Konzerte so, dass man fest sitzt oder steht. So kann das Publikum sich quasi Klänge "erwandern".

John Cage (Photo: H V Drees/Getty Images)
Auch John Cage wird beim Beethovenfest gewürdigtBild: Getty Images

Wir haben auch eine wunderbare junge klassische Band namens "Sparks": zwei Blockflötenspieler, die aber mindestens 25 Instrumenten spielen. Und wir haben zum Beispiel ein "Gemüseorchester" aus Wien. Diese Musiker zeigen, wie man auf Zucchini und Kohl wirklich fantastisch musizieren kann. Sie spielen auch, das ist ganz wichtig, Musik des 21. Jahrhunderts: nämlich Techno, es fängt aber in der Klassik an.

Wenn wir von ungewöhnlichen Formaten reden: Eines der ungewöhnlichsten jüngsten Orchester ist die dritte Generation des Youth Orchestra of Caracas aus Venezuela – 180 Jugendliche und Kinder auf der Bühne. Wenn die Tschaikowskys 4. Sinfonie spielen, sprengt es fast die Halle vor Energie.

Das Gespräch führte Rick Fulker