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"Wir brauchen mehr Gerechtigkeit"

2. November 2003

James Wolfensohn, Präsident der Weltbank warb vor der UN-Vollversammlung in New York für internationale Hilfe für den Irak geworben. Die Deutsche Welle sprach mit Wolfensohn darüber und über Fragen der Weltwirtschaft.

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Eine Weltbank nah bei den Menschen will James WolfensohnBild: AP

DW-WORLD: Mal abgesehen von Finanzhilfen, was braucht der Irak im Moment ?

James Wolfensohn: Ich denke das wichtigste Thema ist die Sicherheit, das haben wir an den Anschlägen gegen die UN und das Rote Kreuz im Irak gesehen. Das zweite große Thema sind natürlich die Schulden über die verhandelt werden muss. Der Irak hat 140 Milliarden Dollar Auslandsschulden, das ist zehn mal soviel wie die jährlichen Staatseinahmen. Und was auf kurze Sicht wichtig ist, ist die Machtübergabe an eine gewählte irakische Regierung.

Sie haben über die Auslandsschulden gesprochen, die Schätzungen liegen zwischen 120 und 140 Milliarden Dollar. Empfehlen sie der internationalen Gemeinschaft, also den Kreditgebern, die Schulden zu erlassen ?

Ich empfehle ihnen, dem Irak etwas entgegen zu kommen. Im ehemaligen Jugoslawien gab es eine Abmachung über den Erlass von zwei Drittel der Schulden. Das ist nicht nur eine Frage der Wohltätigkeit, sondern auch eine Frage der Zukunftschancen des Landes. Selbst wenn der Irak seine Einkünfte auf der Basis von Öl verdoppelt, kann er seine Schulden nicht bezahlen. Das ist eine unmögliche Bürde. Ich habe keinen Zweifel, dass es im nächsten Jahr ernsthafte Verhandlungen über einen Schuldenerlass geben wird.

In dieser Woche haben sie im Hinblick auf das Missverhältnis zwischen arm und reich gesagt, dass die Welt aus der Balance geraten ist. Was bringt sie zu diesem Urteil und was muss geschehen um etwas mehr Gerechtigkeit in der Welt zu schaffen ?

Egal ob Deutschland, Amerika oder Australien, wir können nicht so tun als gäbe es eine Mauer um uns herum, die uns von jeglichem Geschehen in den Entwicklungsländern abschneidet. Wir sind mit diesen Ländern eng verflochten durch Handel, durch Finanzen und durch Einwanderung aber auch durch Kriminalität und Terrorismus. Wir müssen also einsehen, dass wir Teil einer globalen Familie sind. Und wenn in dieser Familie fünf Milliarden Menschen nur 20 Prozent des Weltvermögens besitzen und eine Milliarde Menschen 80 Prozent besitzen, dann ergibt das ein Ungleichgewicht, das nicht ewig bestehen bleiben kann.

Vor einiger Zeit haben sie gesagt "Armut stiehlt die Hoffnung", Armut schliesst Menschen aus und schafft Wut, Gewalt und Terrorismus. Sehen sie eine direkte Verbindung zwischen Armut und Terrorismus?

Ja das tue ich. Es zwar nicht so das jeder Arme hergeht und ein Gebäude in die Luft sprengt. Ich möchte Sie aber daran erinnern, dass von sechs Milliarden Menschen heute knapp drei Milliarden unter 23 Jahre alt sind. Wenn diese jungen Menschen keine Aussicht auf einen Job haben, keine Hoffnung haben und Stabilität nie kennenlernen konnten ist es doch offensichtlich das sie leicht zu Opfern von Leuten werden die sie für Terror oder Kriminalität missbrauchen. Das ist die direkte Verbindung und es ist keine Überraschung das Terroristen ihre grössten Rekrutierungserfolge in armen Ländern haben. Das trifft zum Beispiel auf den Gaza-Streifen und die West-Bank zu, wo die Arbeitslosenquote bei 50 Prozent liegt. Wenn ihnen nach ihrem Tod ein besseres Leben versprochen wird und ihre Familien von ihrem Tod profitieren und sie keine Hoffnung haben, ist es nicht überraschend, dass die Menschen so reagieren, wie sie es tun.

Heisst das, dass der Krieg gegen den Terror, den der Westen gegenwärtig führt, zu kurz greift?

Meiner Meinung kann man alle Terroristenführer dieser Welt umbringen, aber solange man nicht sich nicht mit den grundlegenden Fragen von Gerechtigkeit und Stabiliät auseinandersetzt, wird es immer wieder eine neue Generation von Terroristen geben. Man kann das Problem nicht einfach dadurch lösen das man hundert, tausend oder fünftausend Menschen umbringt.

Sie sind jetzt seit 8 Jahren an der Spitze der Weltbank, die sich in dieser Zeit stark gewandelt hat – inwiefern?

Ich denke, dass meine Mitarbeiter und ich die Bank auf ganz menschliche Art und Weise neu ausgerichtet haben. Das wichtigste in der Entwicklungsarbeit ist die menschliche Ebene. Es ist keine Frage der Theorie oder der ökonomischen Analyse. Es geht darum nahe bei den Menschen zu sein. Darüberhinaus dürfen wir nicht arrogant sein und so tun als seien wir allwissend. Wir sind bei den Menschen angekommen. Fast ein Drittel unserer Mitarbeiter sind jetzt vor Ort, also in den Entwicklungsländern selbst unterwegs.

Die Fragen stellte Udo Bauer, DW-TV