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Kanzlerin Merkel im Interview

Das Interview führte Christian F. Trippe29. Juni 2007

Christian F. Trippe von DW-TV hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Verlauf und ihrer persönlichen Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft befragt.

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Kanzlerin Merkel im Interview mit DW-TV
Kanzlerin Merkel im Interview mit DW-TVBild: DW-TV

DW-TV: Sechs Monate EU-Ratspräsidentschaft, der G8-Gipfel in Heiligendamm, dann der Verhandlungsmarathon von Brüssel - all das liegt jetzt hinter Ihnen. Freuen Sie sich auf den Urlaub?

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Also, ich freue mich erstmal über das, was wir während der Präsidentschaft erreicht haben. Das war eine unglaublich spannende, herausfordernde Zeit, in der nicht nur ich, sondern auch alle Mitglieder des Kabinetts neue Eindrücke bekommen haben, sich eingesetzt haben, und wir haben da auch ganz prima zusammengearbeitet. Aber natürlich, ist die Aussicht auf ein paar Tage Urlaub nach so einer Phase der Arbeit auch nichts Schlechtes, aber die Zeit hat wirklich Spaß gemacht.

Sie sind gefeiert worden als Miss World, Ihr Verhandlungsgeschick ist gelobt worden im Inland wie im Ausland. Wie zufrieden sind Sie persönlich, was ist Ihre persönliche Bilanz der letzten Monate?

Ich persönlich bin auch sehr zufrieden, weil ich die Erfahrung machen konnte, bei all diesen Verhandlungen, dass wir immer wieder Freunde, Partner, Unterstützer getroffen haben. Sie können weder in der G8-Gruppe noch in der EU mit 27 Mitgliedstaaten alleine irgendetwas machen. Wenn die anderen nicht auch glauben, dass die Zeit reif ist, bestimmte Entscheidungen zu fällen, dann steht man auf verlorenem Posten. Das habe ich nie getan, und das war eigentlich die wesentliche gute Erfahrung. Die EU hat verstanden, auch die Gruppe der G8-Länder hat verstanden, dass in der Welt so vieles in Bewegung ist, und wenn wir unsere Interessen durchsetzen wollen, wenn wir auch Vorreiter sein wollen in bestimmten Gebieten, dann müssen wir einig auftreten, und diese Erinnerung wird immer bleiben, weil man daraus auch Kraft schöpfen kann für die Lösung neuer Probleme.

Bei dieser gigantischen Tagesordnung, die EU-Verfassungsreform wieder in Gang zu bringen, Klimaschutz, Hilfe für Afrika, da gibt es doch sicher Punkte, wo Sie sich mehr versprochen hatten, wo Sie gerne mehr erreicht hätten. Welche waren das?

Es ist ja so, dass wir als Europäer zum Beispiel bei G8 auch durchaus ambitioniertere Ziele haben, aber mein Hauptpunkt ist jetzt gar nicht zu sagen, ob ich mir persönlich mehr versprochen hätte und andere sich wieder weniger oder aus ihrer Sicht auch mehr. Der Punkt, der mich mit Befriedigung erfüllt, ist, dass man von sehr unterschiedlichen Positionen kommt, doch durch persönliche Begegnung, all das wäre über Videokonferenzen zum Beispiel nicht möglich, weder das Ergebnis des Europäischen Rates noch das Ergebnis des G8-Treffens, dass durch persönliche Begegnung dann doch ein Klima entsteht, in dem man sagt, wir müssen, obwohl wir unterschiedlicher Meinung sind, zu gemeinsamen Dingen kommen. Jeder muss einen Kompromiss eingehen, und da hadere ich dann hinterher nicht damit, was musste ich aufgeben oder was nicht. Wir sind gesamtheitlich ein Stück vorangekommen, und das ist das, was für mich zählt.

Christian F. Trippe mit Angela Merkel
Christian F. Trippe mit Angela Merkel

Der Kompromiss, den die EU sich gegeben hat, ist ein sehr kompliziertes Regelwerk, das einzelnen Staaten auch erlaubt, beiseite zu stehen. Wird das nicht zwangsläufig dazu führen, dass sich die EU in unterschiedlichen Geschwindigkeiten entwickelt?

Wir haben ja mit diesem neuen Vertrag eine Situation in der EU, in der das EU-Parlament gleichberechtigter oder fast gleichberechtigter Gesetzgeber wird neben dem Rat. Das Vorschlagsrecht hat die Kommission, und jetzt muss man sich vorstellen, in der Kommission sind 27 Kommissare, jedes Land schickt einen Kommissar. Im EU-Parlament sind Abgeordnete aus allen Ländern. Wir können auf der Grundlage der Verträge Dinge vereinbaren, wo nicht sofort alle mitmachen. Das ist beim Euro zum Beispiel so, das wird bei der Innen- und Rechtspolitik in Zukunft so sein, dass immer wieder die Möglichkeit besteht, dass Bremsen angezogen werden und Länder sagen können, hier machen wir nicht mit. Aber das kann nicht dazu führen, dass die EU jenseits der vertraglichen Grundlagen immer in Gruppen noch andere Dinge macht, denn das wäre dann der parlamentarischen Kontrolle entzogen. Ich kann ja nicht die Hälfte der Parlamentarier rausschicken zum Abstimmen, weil sie gerade nicht zu der Gruppe der Länder gehören, die etwas gemeinsam machen. Das heißt, wir brauchen schon eine gemeinsame vertragliche Grundlage, und wenn wir zum Beispiel abstimmen wollen miteinander, dann müssen wir schon wissen, wie die Regeln sind, und da kann man nicht zwei Gruppen von Ländern bilden, die das unterschiedlich machen. Also, das Europa der zwei Geschwindigkeiten kann punktuell mal sein, aber es ist wirklich nicht die Lösung für die Frage, wie entwickelt sich die EU weiter. Und Klimaschutz bekämpfen, Welthandelsrunde, Interessen Europas vertreten, geistiges Eigentum schützen auf der Welt, das kann man nur als EU gemeinsam, und nicht mit zwei Geschwindigkeiten.

Frau Bundeskanzlerin, nach der Sommerpause ist es erst mal ein bisschen vorbei mit der Weltpolitik, dann hat die deutsche Innenpolitik sie voll und ganz zurück. Wie regiert es sich zur Zeit mit dem Koalitionspartner, mit der SPD? Wie ist das Klima in der Großen Koalition?

Also, ehrlich gesagt, finde ich diese Unterscheidung zwischen Außenpolitik und Innenpolitik inzwischen zum Teil sehr kurzsichtig. Es gibt kaum noch Dinge, die wir so einfach aufteilen können. Wenn ich in Deutschland Patentrecht mache, wenn ich Exzellenzinitiativen unterstütze, wenn ich mich darum kümmere, dass drei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts in Forschungsausgaben gehen, dann kann ich nicht sagen, das ist Innenpolitik, aber ich kümmere mich um den Schutz unseres geistigen Eigentums überhaupt nicht. Das heißt, Innen- und Außen-Europapolitik greifen unheimlich zusammen. Wenn wir fragen, ist das Briefmonopol bei uns aufgehoben, dann hat das unbedingt Auswirkungen, wie die europäischen Regelungen sind, wie die anderen europäischen Länder sich verhalten. Das heißt also, ich finde, hier wird oft sehr kurzsichtig einfach geguckt und gesagt, da, bei dem einen liegen die roten Teppiche, beim anderen nicht, das ist so in der realen Politik überhaupt nicht mehr. Zweitens, wir haben, was die Kernpolitik dessen, was man jetzt durch Gesetzgebung allein in Deutschland regeln kann, noch eine Menge vor. Wir haben uns jetzt geeinigt auf eine Pflegereform. Wir werden im nächsten Halbjahr diskutieren über die Möglichkeit, wie wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am Unternehmensgewinn auch beteiligen können, ein Riesenprojekt. Wir müssen die Unfallversicherung noch regeln. Wir werden jetzt einen Energiedialog haben, das ist zum Teil sehr schwierig, Energiepolitik und Klimaschutzziele zusammenzubringen. Wir haben einen Integrationsgipfel, wo wir zum ersten Mal auch kohärente Pläne von Ländern und des Bundes vorlegen, wie wir die bessere Integration in unserem Land machen. Also, die Koalition hat noch viel zu tun, und da freue ich mich natürlich drauf, dass wir das auch umsetzen werden, genauso wie wir uns in Europa weiter intensiv einbringen werden.

In meiner letzten Frage würde ich gern noch einmal da nachhaken. Ihr Koalitionspartner ist im Umfragetief, zugleich bedroht die Linkspartei rein rechnerisch den Bestand ihrer Regierung, indem die Linkspartei der SPD Avancen macht, in eine Linksregierung einzutreten. Bereitet Ihnen das Kopfzerbrechen?

Ich kümmere mich jetzt einmal darum, dass wir mit einer wirklich guten Mehrheit im Deutschen Bundestag als unsere Regierung der Großen Koalition das erfüllen, worauf die Menschen warten. Die Arbeitslosigkeit sinkt, wir haben jetzt unter 3,8 Millionen Arbeitslose, das ist ein Riesenerfolg. Die Jugendarbeitslosigkeit ist um 25 Prozent zurückgegangen, und je mehr Erfolge wir vorweisen können, je mehr wir auch als Koalition gemeinsam auftreten, umso stärker wird auch das Signal sein, dass andere viele Dinge versprechen, die sie nicht halten können, und ich glaube, das wird sich beim Bürger rumsprechen. Also, ich empfehle Konzentration auf die eigene Arbeit, die Wünsche und die Erwartungen der Bürger auch erfüllen, sich an die Menschen im Lande richten, und dann werden wir Erfolg haben, und zwar nicht nur eine Partei in der Regierung, sondern beide Parteien.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, vielen Dank.