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"Wir waren Schoko-Kinder und Negerküsse"

Sandra Petersmann21. Dezember 2004

Kolonialherrschaft und Herero-Aufstand - Deutschland und Namibia verbindet eine leidvolle Geschichte. Anders die Geschichte der 450 SWAPO-Flüchtlingskinder, denen in der DDR geholfen wurde. Andreas Shiyoo gehörte dazu.

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Andreas Shiyoo: zwischen DDR und NamibiaBild: presse

Dezember 1979: Shyioo hat keine Wahl. Die namibische Volksbefreiungsbewegung SWAPO sucht den vierjährigen Waisenjungen für den ersten Kindertransport in die DDR aus. Der Kleine erfüllt alle Kriterien: Seine Oma ist das einzige Familienmitglied in seiner Nähe und zu schwach, um für ihn zu sorgen. Seine Mutter und seine Geschwister hat er auf der Flucht Richtung Angola verloren, sein Vater kämpft für die SWAPO gegen Südafrika.

Rassismus gab es nicht

Die ersten Jahre seines neuen DDR-Lebens verbringt der kleine Shiyoo in einem Kinderheim im heutigen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Die DDR-Behörden sind bemüht, die Kinder aus Namibia von der Dorfbevölkerung fernzuhalten. Aber im Alltag gibt es immer wieder Begegnungen und Berührungspunkte. Zum Beispiel in der Dorfschule in Zehna, die alle SWAPO-Kinder im schulpflichtigen Alter besuchen, auch wenn sie in getrennten Klassen lernen müssen. Shyioo berichtet: "Ich denke, es verlief ziemlich gut, obwohl natürlich viele versucht haben, uns abzuschotten. Man muss das so sehen: Die DDR-Bürger haben in uns Exoten gesehen und uns Schoko-Kinder und Negerküsse genannt." Rassismus aber habe er eigentlich nie mitbekommen.

Später nimmt der ideologische und militärische Drill für die zukünftige Führungselite des freien Namibia zu. "Wir wurden dahin gebracht, weil wir später das Land aufbauen sollten. Die haben zu uns gesagt, der soll SWAPO-Kämpfer werden, der soll Diplomat werden. Ich wurde als Diplomat auserkoren. Doch es kam ganz anders. Und deswegen war die Enttäuschung für uns ganz groß, weil wir urplötzlich zurückfliegen mussten."

Verloren im "Wende"-Wirrwarr

Die deutsche Wiedervereinigung besiegelt das Schicksal der namibischen DDR-Kinder. Die Bundesregierung in Bonn fühlt sich nicht verantwortlich, als die letzte DDR-Regierung alle Solidaritätsverträge mit der SWAPO kündigt. Und weil die deutsche "Wende" zeitlich mit der Unabhängigkeit Namibias zusammenfällt, müssen die Kinder über Nacht in ihre fremde Heimat zurück. Im August 1990, keine sechs Wochen vor dem offiziellen Ende der DDR, verlassen die letzten SWAPO-Kinder Ostdeutschland.

Andreas Shiyoo ist zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt. Er hat elf Jahre in der DDR gelebt. Seine Muttersprache Oshivambo spricht er so gut wie gar nicht. Seine Familie ist unauffindbar. Die Verantwortlichen der SWAPO wissen nichts mit ihm anzufangen. Sie stecken ihn in ein Kinderheim und schicken ihn auf die staatliche Deutsche Oberschule in Windhoek.

Hilfe von oben

Die "Allgemeine Zeitung" aus Windhoek berichtet über das Schicksal der SWAPO-Kinder und bittet die deutschen Namibier um Hilfe. Shiyoo hat Glück. Ein Geschäftsmann erklärt sich bereit, für den Teenager zu sorgen. Mit 18 Jahren hat Shiyoo seinen Schulabschluss in der Tasche. Anschließend sorgt die Deutsche Botschaft dafür, dass er eine Ausbildung bei einem kleinen Privatsender machen kann, der auch in Deutsch sendet. Und als dann der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl im September 1995 zum ersten Mal das unabhängige Namibia besucht, schlägt Shiyoos große Stunde. Shiyoo darf Helmut Kohl interviewen.

"Nach dem Interview hat er mich gefragt, woher kommt das, dass Sie so gut deutsch sprechen? Da habe ich gesagt, ich bin in der DDR aufgewachsen. Und er war total überrascht. Und ich habe das Gefühl gehabt, er kannte die Geschichte gar nicht. Und daraufhin hatte er so ein gewisses Schuldgefühl und gesagt, diesem jungen Mann muss ich helfen", erzählt Shiyoo.

Helmut Kohl setzt sich später höchstpersönlich dafür ein, dass der junge Namibier ein 18-monatiges Praktikum bei Radio Bremen machen kann. Als seine Zeit in Bremen abgelaufen ist, fliegt Andreas Shiyoo freiwillig nach Namibia zurück, "um meinem Land zu helfen".

Nach seiner Rückkehr stellt ihn die deutschsprachige "Allgemeine Zeitung" als Sportredakteur ein. Der Rastlose kommt zur Ruhe. Und findet im Dezember 2002 endlich auch seine Familienangehörigen wieder.