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Wirbel in der Bundeswehr - Struck unter Druck

Nina Werkhäuser6. Dezember 2004

Vier Fälle von Misshandlungen in der Bundeswehr sorgen in Deutschland für Wirbel. Wehrpflichtige wurden gefesselt, andere in einen feuchten Keller gesperrt. Was ist los in der Truppe?

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Struck beim Truppen-Besuch in AfghanistanBild: dpa

Obwohl das Nachstellen von Geiselnahmen ausdrücklich nicht zur Grundausbildung der Soldaten gehört, werden immer mehr derartige Fälle bei der Bundeswehr bekannt. So sollen in Nienburg an der Weser Wehrdienstleistende während einer nachgestellten Geiselnahme gefesselt worden sein - das hat das Standortkommando selbst an das Verteidigungsministerium gemeldet. Im bayerischen Kempten sollen Rekruten nach einem Nachtmarsch mit verbundenen Augen in einen feuchten Keller gesperrt worden sein. Außerdem berichtete ein Reservist von einer simulierten Geiselnahme in Ahlen im Jahr 2002.

"Wenige Fälle"

Alle bekannten Fälle würden rücksichtslos aufgeklärt, sagte Verteidigungsminister Peter Struck am Mittwoch (1.12.2004). "Es gibt überhaupt gar keinen Grund, die Vorgänge zu verharmlosen. Gleichwohl gilt", so Struck, "dass bei den vielen Wehrpflichtigen, die wir in der Bundeswehr pro Jahr ausbilden, es sich nach wie vor um einige wenige Fälle handelt und nicht grundsätzlich von Misshandlungen in der Bundeswehr ausgegangen werden kann."

130.000 Wehrpflichtige durchlaufen jedes Jahr die neunmonatige Grundausbildung. Das Training von Geiselnahmen ist aber nur für jene Soldaten vorgesehen, denen ein Auslandseinsatz unmittelbar bevorsteht - und dazu gehören die Grundwehrdienstleistenden nicht. Diese Dienstanweisung haben aber offenbar so viele Ausbilder missachtet, dass Minister Struck die Ausbildungsinhalte jetzt noch einmal genau unter die Lupe nehmen lässt.

Neues Bewusstsein?

Struck stellte sich nach eigenen Worten die Frage, ob Erlebnisse wie beispielsweise Geiselnahmen bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr das Bewusstsein in der Truppe so verändert haben könnten, "dass manch einer, der das erlebt hat oder im Auslandseinsatz zu befürchten hat, hier zu Hause wieder anfängt, solche Situationen zu simulieren. Ich kann das noch nicht beantworten", sagte Struck.

Es könne nicht sein, dass Soldaten in Coesfeld Kabul spielten, sagte Struck in Anspielung auf den schwerwiegendsten Fall, in dem Soldaten mit Strom-Schlägen misshandelt worden sind. Er sei außerdem irritiert darüber, dass die betroffenen Rekruten sich nicht gewehrt hätten.

Zum Rapport

Für diesen Dienstag (30.11.) hat der Minister die Inspekteure von Heer, Luftwaffe und Marine zu einem Gespräch einbestellt. Gleichzeitig hat der Generalinspekteur der Bundeswehr alle Kommandeure in einem Brief aufgefordert, das Schikanieren von Untergebenen zu unterbinden und sich persönlich um die Ausbildung des Führungspersonals zu kümmern.

Auch die Parteien reagierten auf die neuerlichen Verdachtsfälle. Die Grenzen der realitätsnahen Ausbildung seien eindeutig überschritten, sagte Grünen-Chefin Claudia Roth. Sie stellte sich aber hinter den Verteidigungsminister und seine Aufklärungsbemühungen.

Der FDP reichen die bisherigen Informationen nicht aus. Auch das Parlament müsse sich mit den Misshandlungen befassen, möglicherweise in einem Untersuchungsausschuss.