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Wird Haiti zum "Schurkenstaat"?

Frantz Thebaud 25. Februar 2004

Die internationalen Vermittlungsbemühungen in der Unruhe-Republik Haiti laufen auf Hochtouren. Den Friedensplan lehnt die demokratische Opposition weiter ab. Wohin steuert Haiti? Frantz Thébaud kommentiert.

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Politisch am Rande des Bürgerkriegs, wirtschaftlich ruiniert und von bewaffneten Banden terrorisiert - die Republik Haiti steht vor dem Zusammenbruch. Der seit 200 Jahren unabhängige Karibik-Staat ist heute ein Kriegsfall. Im Norden herrschen die "Kannibalen-Armee" - Drogen-Banden, die vor kurzem noch im Dienste Jean-Bertrand Aristides standen - und die berüchtigten Todesschwadronen der Militärjunta, die 1991 gegen Aristide geputscht hatte und 1994 in die benachbarte Dominikanische Republik geflüchtet waren.

Opposition zwischen Gewalt und Frieden

Diese unselige Allianz aus Mördern und Banditen - rund 700 Mann stark - will nun Aristide gewaltsam aus dem Amt vertreiben und in Port-au-Prince die Macht übernehmen. Das Regime ist aber gegen die Rebellion machtlos, denn Aristide hatte seine Armee 1994 aufgelöst. Die neu strukturierte Polizei gilt als korrupt und unfähig.

Den Rücktritt des Staatspräsidenten mit friedlichen Mitteln fordert dagegen die "Convergence démocratique" - die Demokratische Konvergenz. Diese aus Unternehmern, Gewerkschaftlern, Intellektuellen und Institutionen der zivilen Gesellschaft bestehende Opposition will auf keinen Fall mit Aristide verhandeln. Der harte Kern der Aristide-Anhänger in der Haupstadt will auch keinen Kompromiss über die Teilung der Macht, wie dies im Friedensplan der internationalen Gemeinschaft vorgesehen ist.

Vom Jubel zum Hass

Angesichts der monatelangen landesweiten Protest-Aktionen und Demonstrationen gegen das Regime kann die Staatspartei "Fanmi Lavalas" nicht mehr mit der Unterstützung der Bevölkerung rechnen. Dem Präsidenten, dem einst als Befreier und "Armen-Priester" in den Slums der Republik zugejubelt wurde, schlägt heute der blanke Hass der Haitianer entgegen. Nach den manipulierten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 hat Haiti einen Staatschef, der wenig politische Legitimität besitzt; hinzu kommen ein Parlament und eine Regierung, die jeglicher demokratischer Grundlage entbehren.

Aus diesem Grund fordert die "Demokratische Konvergenz" einen demokratischen Wandel im Sinne der Verfassung: eine Übergangsregierung mit Beteiligung aller politischen Kräfte, die binnen 18 Monate Neuwahlen organisiert.

Jetzt bleibt abzuwarten, wie der von der Opposition und den Rebellien verworfene internationale Friedensplan von den Vermittlern modifiziert wird, damit er umgesetzt werden kann. Eine wichtige Komponente des Plans sieht vor, dass die Rebellen entmachtet werden. Nichts allerdings dürfte schwieriger sein. Das Regime hatte den Terror der Drogenbanden gefördert und gedeckt und die Todeskommandos der "Chimeres" - der Kindersoldaten - gegen die Opposition losgelassen. Jetzt wenden sich dieselben Kräfte offen gegen Aristide.

Zerbrechliche Zukunft

Der drohende Bürgerkrieg könnte auch in einen Krieg zwischen rivalisierenden Gangs ausarten. Denn seit Aristides umstrittener Wiederwahl entwickelte sich Haiti zu einem rechtsfreien Raum und zu einer Hochburg der kolumbianischen Drogenmafia. Für Aristide selbst ein sehr einträgliches Geschäft, das ihm den Zorn seiner Anhängerschaft eingebracht hat. So wird es nach der Entmachtung Aristides in erster Linie um die Kontrolle der Gangs und das Drogengeschäft gehen. Und umso wichtiger könnte dann die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe werden, die - wie von Frankreichs Präsident Jacques Chirac vorgeschlagen - den Auftrag hätte, Gangster und Rebellen zu entwaffnen.

Sollte allerdings die Zerschlagung der mafiösen Kräfte nicht gelingen, droht Haiti endgültig das Los eines "Schurkenstaates". Für die im Falle Haiti auffallend zögernd agierende Bush-Administration dürfte das im Wahljahr eine Horrorvision sein. Deshalb ist zu erwarten, dass Washington den Druck auf Aristide und Opposition erhöhen wird, um einen Ausweg aus der Krise zu finden.