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Wirtschaftskorridor Indien-Europa: Werben um die Golfstaaten

21. September 2023

Der geplante Handelskorridor von Indien nach Europa ist auch ein Versuch, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate stärker an den Westen zu binden.

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Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, der indische Premier Narendra Modi und US-Präsident Joe Biden auf dem G20-Gipfel in Neu-Delhi, September 2023
Zukunft im Blick: Wer profitiert am meisten vom geplanten Handelskorridor?Bild: Pib/Press Information/IMAGO

Für den saudischen Investitions-Minister ist es ein Projekt der Superlative: die geplante Handelsroute, die sich von Indien über den Nahen Osten bis nach Europa strecken soll. Die Route sei so bedeutend wie Seiden- und die Gewürzstraße in einem, erklärte Khalid Al-Falih Mitte September am Rande des Saudi-India Investment Forum in Neu-Delhi.

Auf dem G20-Gipfel in der zweiten Septemberwoche hatten die USA, die EU, Indien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und andere Mitgliedstaaten der Gruppe erklärt, einen Korridor von Bahnstrecken, Häfen und Flughäfen errichten zu wollen, der von Indien bis nach Europa reichen soll - dazu digitale Verbindungen und ein Energienetz. Insgesamt erstreckt sich dieser Korridor über eine Strecke von rund 4800 Kilometern. Eine östliche Trasse verbindet Indien mit dem Arabischen beziehungsweise Persischen Golf, während die nördliche sich vom Golf bis nach Europa zieht. 

Ein neue Route für den globalen Handel

Die geplante Handelsroute sei "historisch", so Al-Falih. Ihre Bedeutung gehe über die klassischen Handelsrouten hinaus. Denn bei ihr gehe es um gleich mehrere Projekte, so etwa Energie, Datenverkehr, Verbundenheit, Humanressourcen, Flugrouten. Zugleich, so der Minister weiter, vereine sie "sich aufeinander einstellende Länder mit derselben Geisteshaltung und Weltsicht."

Al-Khalils Worte dürften eher motivierenden als beschreibenden Charakter haben. Denn so sehr die wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Länder auch beieinander liegen, so sehr unterscheiden sie sich doch im Einzelnen, vor allem in politischer Hinsicht.

Worum es bei dem Projekt letztlich geht, deutete auf dem G20-Gipfel der stellvertretende nationale Sicherheitsberater der US-Regierung, Jon Finer, an. Das geplante Abkommen werde Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen in der Region zugutekommen und dem Nahen Osten eine wichtige Rolle im globalen Handel ermöglichen, erklärte er.

Es geht auch um Politik beim Indien-Europa-Korridor

Allerdings deutete Finer auch an, dass es um mehr gehe als reine Wirtschaftsbeziehungen. "Wir haben einen Ansatz für den Nahen Osten, den wir seit dem ersten Tag dieser Regierung umgesetzt haben und der sich darauf konzentriert, die in einigen Fällen seit vielen Jahren bestehenden Konflikte zu deeskalieren", sagte Finer - offenbar in Anspielung auf das Verhältnis der USA zu den Golfstaaten, allen voran zu Saudi-Arabien. Dieses hatte sich spätestens seit dem Mord an dem saudischen Regierungskritiker Jamal Khashoggi 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul zunehmend verdüstert.

Durch den geplanten Korridor versuche das Weiße Haus einerseits, ein Gegengewicht zum chinesischen Seidenstraßenprojekt voranzutreiben, sagt Christian Hanelt, Nahost-Experte bei der Bertelsmann-Stiftung. Zum anderen versuche es, die Länder des Nahen Ostens in dieses Projekt einzubinden und als Partner bei der Stange zu halten. "Die USA versuchen durch den Transportkorridor eine Art neue geostrategische Ordnung zu etablieren, in die sich dann auch der Nahe Osten integriert", so Hanelt gegenüber der DW.

Blick auf saudische Förderanlagen im Persischen Golf
Zwischen alter und erneuerbarer Energie: Blick auf saudische Förderanlagen im Persischen Golf Bild: Saudi Aramco/dpa/picture alliance

Staaten, die jenseits der Ost-West-Logik handeln

Dies sei allerdings ein schwieriges Unterfangen, so Hanelt. Denn die beteiligten Lander im Nahen Osten - neben den Golfstaaten als Unterzeichnerländern soll laut unter anderem Israel beteiligt werden - handelten jenseits der alten Block-Logik. "Sie schauen, welche Vorteile sich für sie aus der Konfrontation des Westens mit Russland und China ergeben können", so der Experte mit Blick auf die Golfstaaten. "Darum müssen die westlichen Staaten erhebliche Angebote machen, um sie weiter auf ihrer Seite halten."

In diesem Kontext ist sicher auch der von den USA geförderte Annäherungsprozess zwischen Saudi-Arabien und Israel zu sehen, von dem Riad sich nicht nur eine politische Aufwertung, sondern wirtschaftliche, technologische und sicherheitspolitische Vorteile verspricht.

Bildkombo aus den Flaggen Israels und Saudi Arabiens
Wie sehr können sich Israel und Saudi Arabien annähern?

Die Golfstaaten stärker im "westlichen Lager" zu verankern, dürfte dennoch schwierig werden. Faktisch wollen sie sich weder dem östlichen noch dem westlichen "Lager" zurechnen lassen. Erkennbar wird das unter anderem daran, dass Saudi-Arabien und die VAE trotz des Ukraine-Kriegs weiterhin mit Russland kooperieren und nächstes Jahr dem stark von China geprägten BündnisBRICS beitreten möchten.

Es gehe den Golfstaaten erkennbar darum, ihre Beziehungen zu diversifizieren und sich nicht in der internationalen Arena einseitig festlegen zu lassen, sagt Hanelt: "Saudi-Arabien will zwar zum Beispiel militärisch intensiver mit den USA und technisch mit Israel zusammenarbeiten. Zugleich will das Land aber auch seine Erdölexporte nach China und Indien stärken - und vor allem auch erhalten."

Die Saudis seien auch weiterhin offen für Investitionen aus China, etwa mit Blick auf alternative Energien. "Dementsprechend attraktiv müssen dann auch die westlichen Angebote an Saudi-Arabien sein." Ähnliches gelte sogar für den US-Partner Israel, wo China in den vergangenen Jahren intensiv in Startups und innovative Branchen investiert habe, meint Hanelt.

Blick auf die Skyline von Dubai
Dynamisches Wirtschaftszentrum: Dubai Bild: Kamran Jebreili/AP Photo/picture alliance

Ähnlich sieht es Marcus Schneider, Leiter des Regionalprojekts für Frieden und Sicherheit im Mittleren Osten der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut. Riad und Abu Dhabi dächten längst nicht mehr in einer Blocklogik. Die Golfstaaten pflegten Beziehungen in alle Richtungen. "Man pflegt Kontakte nach Washington genauso wie nach Peking. Jetzt holt man noch Indien näher zu sich und fördert gleichzeitig eine bessere Anbindung an Europa."

Ziel der Politik von Saudi-Arabien und den VAE sei es, die Großmächte so weit zu bringen, dass sie alle um den Golf wetteiferten - ohne dass dieser selbst sich exklusiv an eine Großmacht binde, so Schneider im Gespräch mit der DW.

Insbesondere der im Westen wegen des Khashoggi-Mordes lange Zeit gemiedene saudische Kronprinz Mohammed bin Salman ("MbS") versuche, zu einer "zentralen Gestalt der Weltpolitik zu werden - gewissermaßen der weltweit einzige, der zu Biden, Xi, Modi, Putin und von der Leyen gleichermaßen gute Beziehungen pflegt", so Markus Schneider.

Indien-Europa: Lockere Bindung an Partner in unsicheren Zeiten

Der insgesamt eher offene Charakter des Indien-Europa-Korridors sei es, der interessierten Staaten den Beitritt leichter mache und sie damit zumindest teilweise in die Gemeinschaft der beteiligten Staaten integriere, heißt es in einer Analyse des mit Nahost-Online-Magazins Al Monitor. Dadurch unterscheide sich das Netzwerk von dem Seidenstraßenprojet Chinas - und dies sei für Washington ein Erfolg. "Denn diese Alternative zwingt Partner wie die Golfstaaten und Indien nicht in eine Entweder-Oder-Entscheidung", so Al-Monitor.

Blick auf die Fassade des Weißen Hauses in Washington
Wie verlässlich bleibt die US-Politik auch unter einer neuen Regierung in Washington?Bild: Mandel Ngan/AFP

Das dürfte auch daran liegen, dass diese Staaten sich inzwischen auf steigende politische und ökonomische Unsicherheit eingestellt haben. "In den Hauptstädten der Golfstaaten weiß man nicht, ob man sich auf das Weiße Haus letztlich verlassen kann", so Experte Hanelt. Ziehe dort wieder jemand wie Ex-Präsident Donald Trump ein, könnte sich der Kurs Washingtons auch wieder ändern, in welche Richtung auch immer. "Dagegen wollen sie gewappnet sein", meint Hanelt.

Hinzu komme: Die Golfstaaten sähen sich auch wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber. "Für sie ist der Übergang zu erneuerbaren Energien eine große Herausforderung. Zum einen wollen sie für die nächsten 20, 30 Jahre noch ihre Erdöl-Exporte sichern", so Hanelt. "Gleichzeitig wollen sie aber die Transformation zu den neuen Energien in die Wege leiten. Dafür brauchen sie die Zusammenarbeit mit den Europäern. Darum empfiehlt es sich, mit ihnen noch stärker zusammenzuarbeiten als bislang schon."

Klar erscheint jedoch, dass in Riad und Abu Dhabi auch weiterhin viele Türen nach Moskau und Peking offen bleiben werden. 

Indien – die neue Wirtschaftsmacht?

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika