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Wirtschaftskrise in Russland

14. Mai 2009

Die Arbeitslosigkeit in Russland nimmt zu. Die Behörden geben unterschiedliche Zahlen an. Experten wiederum legen eigene Schätzungen vor und kritisieren den Staat für den Umgang mit Statistiken.

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Immer mehr ArbeitssuchendeBild: RIA Novosti

Nach Angaben von Rosstat, dem staatlichen Statistikamt, hat sich wegen der Wirtschaftskrise seit Jahresbeginn die Zahl der Arbeitslosen von fünf auf sieben Millionen erhöht. Somit ist bis Ende März die Arbeitslosenquote auf 9,5 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung geklettert. Andere Behörden aber, so auch das Moskauer Amt für Arbeit und Beschäftigung, erfassen in ihren Statistiken nur diejenigen, die sich bei den Arbeitsämtern gemeldet haben, also nicht alle Bürger ohne Job. So kommt eine Arbeitslosenquote zustande, die dreimal niedriger ist als die von Rosstat. Nach Angaben des Arbeitsamtes sind in Russland offiziell 2,26 Millionen Arbeitslose gemeldet. Hinzukommen 1,3 Millionen Berufstätige, denen die Unternehmen bereits eine Entlassung angekündigt haben.

Fragen der Statistik

Auf internationaler Ebene gibt es Empfehlungen, nach denen die Zahl der Arbeitslosen berechnet werden soll. Nach Angaben der Moskauer Vertretung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) basieren aussagefähige Statistiken zur Erfassung der Arbeitslosigkeit auf Umfragen, an denen Menschen beteiligt würden, die bereits arbeitslos gemeldet seien, aber auch solche, die keinen offiziellen Arbeitslosenstatus erhalten hätten.

Tatjana Tschetwerina, Prorektorin der Höheren Wirtschaftsschule in Moskau, sieht einen großen Unterschied zwischen der Anzahl offiziell gemeldeter Arbeitsloser und der Anzahl tatsächlicher Erwerbsloser. "Obwohl auch in unserem Land Studien nach der Methodik der Internationalen Arbeitsorganisation durchgeführt werden, nennen die russischen Behörden nur die Zahlen der gemeldeten Arbeitslosen. Ich gehe davon aus, dass die Arbeitslosenquote bei 9,5 Prozent liegt. Das ist eine realistische Zahl, und das sind Angaben von Rosstat für März", erläuterte Tschetwerina.

Verdeckte Arbeitslosigkeit

Ferner gebe es noch Zahlen, die in keiner Statistik auftauchten. Dabei handele es sich um eine so genannte latente Arbeitslosigkeit, die vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise zunehme. Tschetwerina zufolge gehören zu dieser Gruppe Beschäftigte, die in einen unbefristeten und unbezahlten Urlaub geschickt wurden. In keiner Statistik würden zudem Menschen erscheinen, deren Arbeitszeit und entsprechend der Lohn gekürzt worden seien, oder deren bisheriger Arbeitsumfang für geringeren Lohn bewältigt werden müsse. Die Expertin schätzt, dass verdeckte Arbeitslosigkeit auf bis zu 3,5 Millionen Menschen zutrifft.

Der Vorsitzende der Nationalen Experten-Versammlung für Arbeit und Sozialpolitik, Nikolaj Wolgin, meint, bis zum Sommer würden die realen Zahlen an den Tag kommen. Warum die Behörden die wahren Ausmaße der zunehmenden Arbeitslosigkeit verdecken, darüber können Experten nur spekulieren. Tschetwerina vermutet, es sei eine Gewohnheit aus der Sowjetzeit. "Bei uns werden immer noch Zahlen und nicht Probleme bekämpft. Es ist doch Unsinn, wenn man einerseits zugibt, dass die Produktion in einigen Regionen um 30, 40, sogar um 50 Prozent einbricht und andererseits erklärt, die Arbeitslosenquote halte sich konstant bei drei Prozent", so die Expertin.

Kaum Geld für Unterstützung von Arbeitslosen

Unterdessen ist kaum noch Geld zur Unterstützung Arbeitsloser vorhanden. In Moskau beispielsweise wurden bereits in den ersten vier Monaten des Jahres alle 304 Millionen Rubel ausgegeben, die im föderalen Etat für das ganze Jahr eingeplant waren. Das teilte der Leiter der Abteilung für Arbeit und Beschäftigung bei der Moskauer Stadtverwaltung, Oleg Neterebskij, mit. Unklar ist nach wie vor, ob für diesen Haushaltsposten zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Autor: Jegor Winogradow / Markian Ostaptschuk
Redaktion: Bernd Johann