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Wirtschaftskrise trifft Osten weniger stark

10. Juni 2009

Ostdeutschland zeigt sich krisenfester als der Westen. Doch bis der Osten eine Wirtschaftskraft wie der Westen erlangt, vergeht wohl noch ein Jahrzehnt. Das besagt der Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit.

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Tiefensee hält Jahresbericht zur Deutschen Einheit in den Händen und lacht (Foto: AP)
Für Wolfgang Tiefensee ein Grund zur Freude: der Bericht zum Stand der Deutschen EinheitBild: picture-alliance/ dpa

Ostdeutschland ist vom Wirtschaftsabschwung offenbar weniger betroffen als die alten Bundesländer. Das geht aus dem Jahresbericht zur Deutschen Einheit hervor, den der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Tiefensee, am Mittwoch (10.06.2009) in Berlin vorgestellt hat. Die bessere Entwicklung könne daran liegen, dass es im Osten mehr Kleinbetriebe gebe, heißt es in dem Bericht. Außerdem sei die ostdeutsche Wirtschaft unabhängiger vom Export.

Die Krise stellt laut dem Bericht aber auch für die neuen Länder eine ernste Herausforderung dar. In den neuen Bundesländern wird für 2009 ein Rückgang der wirtschaftlichen Leistung um fünf Prozent erwartet. Für ganz Deutschland wird mit einem Minus von sechs Prozent gerechnet.

Was ist ein Erfolg?

Frau im Kittel an großer Maschine (Foto: AP)
Das Vorzeigeunternehmen Q-Cells stellt in Thalheim Solarzellen herBild: picture-alliance/ dpa

Der mehr als 200-seitige Bericht dokumentiert, dass sich der Aufholprozess Ostdeutschlands im Vergleich zum Westen auch 20 Jahre nach dem Mauerfall schwierig gestaltet. Das Bruttoinlandsprodukt sei im Osten auf 71 Prozent des westdeutschen Durchschnitts geklettert (2000: 67 Prozent). Bis zum Jahr 2019 strebt die Bundesregierung ein selbsttragendes Ost-Wirtschaftswachstum an. Ende 2019 läuft der Solidarpakt II von Bund und Ländern aus. Dann werde es dem Osten möglich sein, mit der üblichen Förderung aus dem Finanzausgleich zu überleben. Das wäre "ein großer Erfolg", heißt es in dem Bericht, wenn es nach 30 Jahren Aufbau Ost gelänge, die ostdeutschen Länder wirtschaftlich an die westdeutschen Länder heranzuführen.

Lichtblicke

Bei der industriellen Entwicklung habe der Osten den Westen sogar überholt, erklärte Tiefensee. Im Osten sei die Industrie in den vergangenen drei Jahren um 7,5 Prozent gewachsen, im Westen nur um 4,3 Prozent. Dazu komme, dass der Osten auf den Zukunftsfeldern Solar-, Bio- und Mikrotechnologie stark zulege. "Ist der Kuchen nicht verteilt, dann bekommt der Osten ein besonders großes Stück", sagte der SPD-Minister.

Hohe Arbeitslosigkeit

Flur mit Nummerntafeln und Wartenden (Archivfoto: AP)
Arbeitsamt in Halle (Sachsen-Anhalt): die Arbeitslosenquote ist im Osten doppelt so hoch wie im WestenBild: picture-alliance/dpa

Es blieben jedoch noch große Probleme zu bewältigen. So sei die Arbeitslosigkeit im Osten weiterhin doppelt so hoch wie im Westen. Nach Tiefensees Angaben wanderten zudem weiter zu viele junge und kreative Leute aus dem Osten ab, während unter den Rückkehrern vor allem ältere Menschen seien. Seit 1991 ging die Wohnbevölkerung in Ostdeutschland von 18,1 auf 16,6 Millionen (Stand 2007) zurück. Das entspricht einem Verlust von 8,3 Prozent. Bis 2025 wird die Bevölkerung im Osten wohl um ein weiteres Zehntel schrumpfen. "Die soziale Einheit ist noch nicht vollendet", stellte Tiefensee fest.

Opposition: Regierung hat Osten aufgegeben

Die Grünen kritisierten Tiefensees Bericht als irreführend. "Die geringere Anfälligkeit für die Krise liegt auch daran, dass im Osten Deutschlands eine Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau längst zur traurigen Realität der Menschen gehört", bemängelte Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke. Dagegen habe die Bundesregierung keinerlei Rezepte zu bieten. Die Linkspartei warf der Bundesregierung vor, sie habe den Osten aufgegeben. Der Bund habe sich vom Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse verabschiedet und strebe nur noch die Anhebung auf das Niveau strukturschwacher Westregionen an, kritisierte Ost-Koordinator Roland Claus.

Grundlage für den Aufbau Ost ist der Solidarpakt II mit einem Volumen von 156 Milliarden Euro in der Spanne von 2005 bis 2019. Aus den EU-Strukturfonds erhalten die neuen Länder zwischen 2007 und 2013 zudem rund 15 Milliarden Euro.

Im Osten unzufrieden

Die Lebenszufriedenheit in den ehemaligen Ostblockstaaten ist nach Erkenntnissen eines US-Wissenschaftlers nach dem Fall des Eisernen Vorhangs massiv eingebrochen. Das hätten Befragungen von Menschen aus 13 Ländern zwischen den Jahren 1989 und 2005 gezeigt, schreibt Richard Easterlin von der Universität von Südkalifornien im "Journal of Economic Behavior and Organization". Am stärksten sei die Lebenszufriedenheit der Menschen Anfang der 1990er-Jahre eingebrochen. Zwar steige die Lebenszufriedenheit in diesen Ländern seit etlichen Jahren wieder, aber bis 2005 hatte sie das frühere Maß noch nicht erreicht, wie Easterlin berichtet.

Nach Einschätzung des Wirtschaftswissenschaftlers wird der Einfluss der politischen Umwälzungen auf die Lebensqualität der Betroffenen bislang weitgehend ignoriert. Die Befragten hätten vor allem Sorgen über ihren Lebensunterhalt, ihre Familien und ihre Gesundheit geäußert. In diesen Bereichen sei die Unzufriedenheit am größten. Besonders litten darunter die älteren Befragten, die sich in den zusammengebrochenen Staaten beruflich schon etabliert hatten. (mas/SC/ap/afp/dpa/rtr)