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Wirtschaft als Schulfach

Insa Wrede3. Mai 2013

Der Wirtschaftsunterricht ist an deutschen Schulen eher Mangelware. Dort, wo Ökonomie unterrichtet wird, greifen Lehrer gerne auf Material von Verbänden und Konzernen zurück. Das stößt auf Kritik.

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Symbolbild Unterricht Deutschland WirtschaftBild: Fotolia/yuryimaging

Die meisten jungen Leute in Deutschland ahnen es bereits: Die gesetzliche Rente wird im Alter vermutlich nicht ausreichen, sie müssen sich zusätzlich absichern. Warum aber ist das so und wie sollen sie jetzt reagieren? "Die jungen Leute haben das Gefühl, dass sie die Angebote nicht durchschauen, dass sie die Mechanismen, mit denen man Geld für das Rentenalter zur Seite legen kann, nicht nachvollziehen können", sagt Klaus Hurrelmann, Professor an der Hertie School of Governance.

Dass Jugendliche zu wenig über Finanzen wissen, hat auch die Kreditauskunftei Schufa in einer aktuellen Studie festgestellt. Dabei müssten Jugendliche immer komplexere Finanzentscheidungen treffen. Das sei ihnen auch bewusst, immerhin wünschten sich 60 Prozent der Jugendlichen mehr Aufklärung zu Wirtschaftsthemen durch eine neutrale Stelle - wie etwa die Schule.

"Da stehen einem die Haare zu Berge"

"Wenn man sich das genauer anschaut, dann können einem wirklich die Haare zu Berge stehen", beklagt der renommierte Sozialwissenschaftler Hurrelmann. Trotz eines breiten Fächerkanons in den allgemeinbildenden Schulen tauchten ausgerechnet die Sektoren Wirtschaft, Verbrauch, Konsum, Finanzen nicht als reguläres Unterrichtsfach auf.

Klaus Hurrelmann, Soziologe, Foto: Karlheinz Schindler
Klaus Hurrelmann ist für ein Unterrichtsfach "Wirtschaft"Bild: picture alliance/ZB

Dabei sei es gar nicht notwendig, Wirtschaft als eigenes Fach zu unterrichten, meint Reinhold Hedtke, Professor an der Universität Bielefeld. Denn in der Schule sollten gerade die Zusammenhänge zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft herausgearbeitet werden. Dabei ist es laut Hedtke ein Problem an deutschen Schulen, "dass wir leider gerade in Fächern wie Politik, Wirtschaft und Gesellschaft einen ganz hohen Anteil an fachfremdem Unterricht haben, also an Lehrerinnen und Lehrern, die das nicht studiert haben."

Lobbyismus im Klassenzimmer

Durch die mangelnde Qualifikation der Lehrer würde oft der Bereich Wirtschaft nur am Rande gestreift, würden Zusammenhänge schlechter erklärt und die Lehrer griffen häufig auch noch auf die Expertise von Unternehmen und Verbänden zurück. Tim Engartner, Experte für sozialwissenschaftliche Bildung an der Universität Frankfurt warnt vor dem Kampf um die Köpfe der Kinder, der insbesondere von Unternehmen und Stiftungen aus dem Finanzwesen angestoßen werde.

Prof. Dr. Tim Engartner Professur für Didaktik der Sozialwissenschaften Goethe-Universität Frankfurt am Main Rechte:
Tim Engartner: Kinder sollten an der Schule nicht zu Kunden von morgen erzogen werden.Bild: T. Engartner

"Es gibt zahlreiche Initiativen, Stiftungen und Verbände, die sich der Frage annehmen, wie sich von Unternehmensinteressen geleitete Inhalte in die Schulen transportieren lassen." Zum einen würden unternehmenseigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Schulen geschickt, zum anderen würden selektive, tendenziöse und manipulative Unterrichtsmaterialien gratis zur Verfügung gestellt. Und es gebe auch sogenannte Praxisprojekte. "In Nordrhein-Westfalen haben etwa 45 Prozent der Schulen als vordersten Ansprechpartner das Unternehmen vor Ort."

Kostenlose unterrichtsfertige Broschüren bieten beispielsweise wirtschaftsnahe Institute an, wie das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft, das unter anderem vom Bundesverband der deutschen Industrie finanziert wird. In der Reihe "Handelsblatt macht Schule" vom Institut für ökonomische Bildung der Universität Oldenburg und Partnern aus der Wirtschaft werden auch Konzerne aus der Finanzbranche präsentiert. Vermeintlich neutrale Informationen sollen auch von My Finance Coach kommen - dahinter stehen der Versicherungsriese Allianz, das PR-Netzwerk Grey und die Unternehmensberatung McKinsey. Und das ist nur eine kleine Auswahl.

Schüler als Unternehmer

Umgang mit nicht neutralem Unterrichtsmaterial

"Ich verstehe überhaupt nicht, mit welcher Naivität die Bildungsministerien die Verbände und die großen Unternehmen in die Schulen lassen," sagt der Wirtschaftssoziologe Hedtke. "Es ist ein Klima, das würde ich fast als Kumpanei mit den Wirtschaftsverbänden und den großen Unternehmen bezeichnen." Seiner Ansicht nach hat die Bildungspolitik hier versagt. In der Schule sollten die Jugendlichen kritisch nachdenken können, sich selber entwickeln und sich klar werden können, wie ihr wirtschaftliches Leben aussehen soll. "Das bekomme ich nicht hin, indem ich Verbandsvertreter dahin schicke."

Ein geschulter Lehrer wisse wenigstens noch mit solcher Einflussnahme umzugehen, sagt Hedtke. "Sie fordern die Schüler auf, das zu kritisieren, herauszuarbeiten, wo manipulative Aussagen sind." Das koste allerdings auch viel Zeit, "weil das ja nicht einfach so offene Manipulationen sind, die man auf den ersten Blick erkennt." Da seien zum Teil Formulierungen, die das eine negativ, das andere positiv klingen lassen. Zum Teil werden bestimmte Aspekte einfach ausgelassen, beispielsweise andere Meinungen zu Themen gar nicht genannt. Manchmal seien auch Verweise auf Quellen einseitig.

Wie aber sollte es laufen?

Daher die Forderung von Seiten der Wissenschaftler: Lehrer müssen besser ausgebildet werden. Hedtke hält es zudem für wichtiger, grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge den Jugendlichen zu erklären, anstatt sie auf konkrete Lebenssituationen wie Finanzanlagen, Altersvorsorge oder zukünftige Selbstständigkeit vorzubereiten, die erste Jahre später relevant werden könnten.

Prof. Dr. Reinhold Hedtke, Professor für Soziologie an der Uni Bielefeld
Reinhold Hedtke: Naivität der BildungsministerienBild: Privat

"Und bei den Materialien wäre mein Wunsch, dass man das, was man in den letzten zehn, zwanzig Jahren bewusst abgebaut hat, nämlich Landesinstitute, die Materialien produzieren für die Schulen, dass man das wieder einrichtet," sagt Hedtke. Solche Landesinstitute seien vielerorts im Zuge von Sparmaßnehmen reduziert worden.

Die chronische Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte habe außerdem dazu geführt, dass weniger häufig neue Schulbücher angeschafft würden, sagt der Bildungsexperte Tim Engartner. Deshalb seien viele Schulbücher veraltet. Zudem seien die Kopierkontingente der Schulen in den letzten Jahren immer weiter abgesenkt worden. Um aber aktuelle Materialien zu haben, müssten diese ständig erneuert werden. Und wenn es von staatlicher Seite keine entsprechenden Materialien gebe, würden die Lehrerinnen und Lehrer auf die Gratisangebote von anderer Seite zurückgreifen.

Eine weitere Forderung ist die nach einer Prüfungsstelle für alle Unterrichtsmaterialien. Denn während in den meisten Bundesländern Schulbücher staatlich geprüft werden, steht es jedem Lehrer frei, zusätzlich ungerüfte Materialien im Unterricht zu verwenden.