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Wo ist denn nun die EM-Stimmung in Polen?

Peter Wozny6. Juni 2012

Gastfreundschaft und Herzlichkeit – die ur-polnischen Eigenschaften scheinen optimale Zutaten für die richtige EM-Stimmung zu sein. Doch wie steht es wirklich um die Vorfreude in Polen, DW-Reporter Peter Wozny?

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Polnische Fans. (Foto: dapd)
Bild: dapd

Zum ersten Mal trägt Polen ein derart großes Fußballturnier wie die EURO 2012 aus, und viele Polen können es noch gar nicht fassen, dass es in dieser Woche losgeht. Tatsächlich aber sind die Stars schon da, auch aus Deutschland. Jogis DFB-Elf hat Anfang der Woche ihr EM-Quartier an der Ostseeküste bei Danzig bezogen. Auch ich habe mich dorthin aufgemacht.

"Gość w domu, Bóg w domu" – "Ein Gast im Haus ist Gott im Haus", sagt ein altes polnisches Sprichwort – aber egal ob Gast oder Gott, bei Tag haben alle mit Licht zu fahren. Diese Erkenntnis mache ich schon kurz hinter der Grenze. Die Polizisten scheinen um Neutralität bemüht, als sie mich mit starrer Miene und blinkender Kelle von der Straße winken. Nach einer intensiven Sichtkontrolle des Fahrzeugs und eine gründliche Überprüfung ALLER Papiere sind die Mienen immer noch starr, die Ermahnungen auf Polnisch klingen wie Drohungen, aber ich darf weiterfahren. EM-Stimmung und die sprichwörtliche polnische Gastfreundschaft – erst einmal Fehlanzeige…

Ankunft der deutschen Nationalmannschaft im Bus in Danzig, eskortiert von der Polizei (Foto: dpa)
Mit Licht: Ankunft der DFB-Auswahl in DanzigBild: picture alliance / dpa

STATT ÖZIL GRÜSST JOHANNES PAUL II.

Fünf Stunden später in Danzig –  wo ist denn nun die EM-Stimmung? Ein paar Alibi-Fähnchen am Straßenrand, einige beklebte Straßenbahnen, das war es dann auch schon. Keine Scharen ausländischer Fans und auch die Polen, mit denen ich ins Gespräch komme, interessieren sich kaum für Fußball. Außerdem ist es kalt, die Stimmung unterkühlt. Wo in Berlin 2006 vor der Weltmeisterschaft noch Brasiliens Star Robinho überdimensional über eine Hausfassade dribbelte, grüßen hier nicht etwa Lewandowski oder Özil von der fensterlosen Seite eines Plattenbaus, sondern Karol Wojtyla. Zwar war Johannes Paul II. Mitglied von Schalke 04 und damit ein ausgezeichneter Kenner des deutschen Fußballs. Doch mit dieser EM hatte er nun wirklich nichts mehr zu tun. Und das riesige Wandbild scheint auch schon einige Jahre alt zu sein, immerhin ist es gut gepflegt.

Gut gepflegt ist auch das alte Stadion von Erstligist Lechia Danzig. Und das, obwohl der Verein seit einem Jahr in der neu errichteten EM-Arena spielt. Doch für das erste Training der deutschen Nationalmannschaft wurde der Rasen noch einmal nach UEFA-Richtlinien gemäht. Und plötzlich sind sie da, die Fußball-Fans: 11.000 Polen stehen vor dem Stadion, die Tickets für das einzige öffentliche Training waren nach einer knappen Viertelstunde vergriffen. Im Stadion machen gleich zwei Moderatoren Stimmung – auf Deutsch und auf Polnisch. Fähnchen, Tröten, Trikots – wahlweise in weiß-rot für Polen oder in den deutschen Farben, 25 Kamerateams, 50 Fotografen. Das polnische Fernsehen überträgt live.

Lukas Podolski schreibt Autogramme nach dem öffentlichen Training in Danzig (Foto: dpa)
Autogramme von Lukas Podolski sind in Polen heiß begehrtBild: picture-alliance/dpa

PODOLSKI HEBT DEN DAUMEN

Die Nationalmannschaft wirkt ungerührt, als sie den Rasen betritt. Kein Winken ins Publikum, kein Gruß an die Fans. 90 Minuten Training mit Tunnelblick, während die Stimmung auf den Rängen weiter steigt. Lukas Podolski ist schließlich der erste, der zaghaft einen Daumen hebt, als  die polnischen Fans ihm ein Ständchen zum Geburtstag singen. Und dann tauen auch die anderen Nationalspieler auf. Nach dem Training bricht schließlich das Eis. Das Team von Joachim Löw schießt Bälle ins Publikum, schreibt hunderte Autogramme. Podolski gibt scheinbar jedem Lokalreporter ein Interview auf Polnisch, seiner Muttersprache. Er lobt immer wieder die Menschen, das Stadion, die Stimmung.

Am Abend in den polnischen Fernsehnachrichten ist das Training der Deutschen die erste Meldung. Die Kommentare sind voller Superlative. Dabei war es doch nur ein Training. Irgendwie überkommt mich das Gefühl, dass die Polen es mit ihrer EM-Stimmung jetzt ein wenig übertreiben.