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Wolff: "Musikgeschichte vorantreiben."

Peter Zimmermann21. Juni 2013

Professor Christoph Wolff ist seit 2001 Direktor des Bach-Archivs Leipzig und Mitglied des künstlerischen Direktoriums des Bachfestes. Seine Ansichten zu alter und neuer Musik im DW-Interview.

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Christoph Wolff ist der künstlerische Leiter des Bachfests. Rechte: Bach-Archiv Leipzig/Gert Mothes, Undatierte Aufnahme, Eingestellt 20.06.2013
Christoph Wolff Bachfest LeipzigBild: Bach-Archiv Leipzig/Gert Mothes

DW: Was macht das Bachfest Leipzig für Sie zu einem ganz großen Festival?

Christoph Wolff: Zunächst einmal der Ort. Hier war die Stätte, wo Bach 27 Jahre lang gearbeitet hat und wo seine großen und bedeutendsten Werke entstanden sind. Man muss sich das immer wieder neu ins Bewusstsein rufen:

Hier ist Bach aus- und eingegangen, etwa in den beiden großen Kirchen, in der Thomaskirche und in der Nikolaikirche. Und hier gibt's als lebendige Komponente den Thomanerchor, der seit nunmehr 800 Jahren aktiv ist und den Bach eben für 27 Jahre geleitet hat. Da war der Thomanerchor aber schon 500 Jahre alt!

Blick auf die Nikolaikirche in Leipzig mit der Friedenssäule (davor), aufgenommen am Abend des 20.06.2010. Foto: Waltraud Grubitzsch
Nikolaikirche in LeipzigBild: picture-alliance/dpa

Die großen Werke von Bach sind weltweit bekannt. Selbst der Thomanerchor zeigt seine Brillanz auf Tourneen in aller Welt. Würden Sie sagen, dass der Standort Leipzig in den Konzerten des Bachfestes hörbar wird, dass es hier zu einer anderen Qualität einer Bach-Aufführung kommt als anderswo?

Das würde ich abstreiten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand einbildet, hier in Leipzig hört man Bach besser und richtiger und schöner als anderswo. Das geht nicht! Ich denke, es ist einfach die emotionale Beziehung zu diesem Umfeld. Und ich glaube, das bringt eine ganze Menge Leute nach Leipzig, die das erleben wollen und sich einfach auch mal ein wenig auf den Spuren Bachs bewegen möchten - und natürlich auch Dinge sehen möchten, die man anderswo nicht sehen kann.

Hier im Bach-Museum stellen wir Handschriften und andere Dokumente aus, die eine Beziehung zu Bachs Leben haben, so dass sich die Besucher tatsächlich konkret mit der Geschichte verbunden fühlen können.

Ein vom Bach-Archiv Leipzig am Dienstag, 7. Juni 2005 herausgegebenes Bild zeigt einen Teil eines Faksimiles einer bisher unbekannten Komposition von Johann Sebastian Bach. Der Wissenschaftler Michael Maul vom Leipziger Bach-Archiv hat den sensationellen Fund gemacht: Er entdeckte in den Bestaenden der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek eine bislang unbekannte Komposition von Johann Sebastian Bach aus dem Jahr 1713. Wie die Stiftung Bach-Archiv am Dienstag in Leipzig mitteilte, handelt es sich bei dem Vokalwerk um eine Strophenarie, die anlasslich des 52. Geburtstags von Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar entstand. (AP Photo/Bach-Archiv Leipzig) ** NURZUR REDEKTIONELLEN VERWENDUNG UNTER NENNUNG DER QUELLE: BACH-ARCHIV LEIPZIG ** ** zu APD1721 **
Komposition von Johann Sebastian BachBild: AP/Bach-Archiv Leipzig

Bach war ein streitbarer Geist. Er hatte hohe Ansprüche - nicht nur an sich selbst. Er hat sich oft über seine Arbeitsbedingungen, über die Politik und über die Musiker, mit denen er arbeiten musste, beschwert. Der heutige Thomaskantor Georg Christoph Biller tut das auch ein bisschen. Er sagt zum Beispiel: Natürlich haben wir hier das Gewandhaus Orchester, aber die wollen nicht auf historischen Instrumenten spielen. Die machen so was nicht mit. Gibt es hier Möglichkeiten, durch das Bachfest neue Impulse für die Leipziger Musikwelt zu geben?

Wir versuchen bei der Bachfest-Planung jegliches “Schubkastendenken“ zu vermeiden - historische Instrumente oder moderne Instrumente etwa. Sondern wir versuchen, was man am schönsten auf Englisch ausdrücken kann: "best practice". Man kann Bach in verschiedener Weise gut oder schlecht darbieten. Und uns geht es um die Qualität der Darbietung. Ich bin nicht für "Bach darf nur auf dem Cembalo gespielt werden!" Ich meine allerdings: Wenn man Bach auf dem Flügel spielt, muss man das nicht mit russischer Emotionalität tun, sondern dann eher wie Andras Schiff, oder auch - weil ich nun gerade mal einen Russen genannt habe - Sviatoslav Richter. Da gibt es hervorragende Beispiele, Bach auf dem Klavier plausibel darzustellen. Und mir ist ein guter Pianist lieber als ein schlechter Cembalist! Und ein schöner, klangvoller Steinway ist besser als eine Tragkommode, die nicht dem entspricht, was Bachs Cembalo hätte sein sollen.

Pressefoto http://www.barockorchester.de/presse/biographien-fotos/ Copyright: Marco Borggreve www.marcoborggreve.com all rights reserved
Das Freiburger BarockorchesterBild: Marco Borggreve

Das Bachfest Leipzig hat in diesem Jahr mit dem Freiburger Barockorchester erstmals ein "Orchestra in Residence". Werden Sie das fortsetzen?

Wir versuchen das als Muster für spätere Bachfeste beizubehalten. Wir haben im kommenden Jahr das kanadische Ensemble Tafelmusik “in Residence“, was uns eine kontinuierlichere Arbeitsmöglichkeit innerhalb des Bachfestes ermöglicht.

Binden Sie die zeitgenössische Musik - egal jetzt ob aus Deutschland oder anderswoher - hier beim Bachfest Leipzig genug mit ein?

Wir versuchen eine ganze Menge Neue Musik einzubringen. Aber das ist nicht so einfach. Wir haben im vergangenen Jahr die 800-jährige Geschichte des Thomanerchors nicht als reine Retrospektive behandelt, sondern haben eine Reihe von Auftragswerken vergeben - Neue Musik, die vielleicht auch noch in 800 Jahren zur Kenntnis genommen werden kann! Und in diesem Jahr bringen wir ein Werk der israelischen Komponistin Chaya Czernowin als Auftragskomposition. Die Schwierigkeit ist auf der einen Seite eine finanzielle: Man kann nicht so ohne Weiteres gute Werke für billiges Geld bekommen. Und zum anderen stellt sich die Frage der Vorbereitung solcher Auftragswerke. Die Thomaner können das nicht so ohne Weiteres bewältigen, weil die in die Schule gehen. Die müssen das ganze Jahr über die Gottesdienste bestreiten, aber eben noch vieles mehr. Es ist ein Ausnahmefall, wenn man ihnen etwas neu Geschriebenes und meistens dann auch sehr Anspruchsvolles, Schwieriges zu proben gibt. Aber wir geben den Mut nicht auf. Wir wollen die Musikgeschichte tatsächlich vorantreiben und nicht nur den Blick aufs Vergangene richten - das halte ich für ganz wichtig.

Bei der BACHmosphäre lauschen Besucher aufmerksam zu. Diese Bilder sind von Stephan Kaempf, DW, der der DW die Rechte überträgt. Fotos gemacht am 14. Juni 2013 in Leipzig
Bachfest LeipzigBild: DW/S. Kaempf

Christoph Wolff ist seit 2001 Direktor des Bach-Archivs Leipzig und Mitglied des künstlerischen Direktoriums des Bachfestes Leipzig. Darüber hinaus ist er Professor der Musikwissenschaft an der Harvard University in Cambridge (Massachusetts), Honorarprofessor an der Juilliard School of Music (New York) und an der Universität Freiburg i. Breisgau. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten erhielt er bedeutende Preise, so auch das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Das Gespräch führte Peter Zimmermann.