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„Gefährliche Gratwanderung“

Ralf Bosen27. März 2013

Der Brüsseler Ökonom Guntram Wolff hat Zweifel, ob der Rettungsplan für Zypern auf andere Krisenländer übertragbar ist. Im DW-Interview sagt er, dass im Krisenmanagement vieles falsch gelaufen sei.

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Guntram Wolff, Deputy Directors des Brüsseler Thinktanks Bruegel. Copyright: privat via Daphne Grathwohl, DW Brüssel
Guntram WolffBild: privat

Der Plan für die Zypern-Rettung war kaum beschlossen, als Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem noch mal für Aufregung sorgte. In einem Interview, das er der Nachrichtenagentur Reuters und der "Financial Times" gab, wurde er mit einer Aussage zitiert, derzufolge die Beteiligung von Anteilseignern, Gläubigern und Großkunden an Zyperns Bankenrettung ein Modellfall für die EU sein könnte. Dies verunsicherte die Anleger und löste einen Börseneinbruch aus. Dijsselbloem erklärte zwar anschließend, er sei falsch zitiert worden. Seitdem wird aber in den Medien und in Expertenkreisen darüber spekuliert, ob sich zumindest Teile des Zypernplans auf andere Krisenregionen der Eurozone übertragen lassen könnten.

DW: Herr Wolff, die Rettung Zyperns markiert nach Ansicht von Eurogruppen-Chef Dijsselbloem einen Wendepunkt im Kampf gegen die Schulden- und Bankenkrise in der Eurozone. Würden Sie dem vorbehaltlos zustimmen?

Guntram Wolff: Ja, ein Einschnitt ist es sicherlich. Allerdings bin ich nicht sicher, ob er in die richtige Richtung geht. Ich denke, Zypern befindet sich derzeit in einem äußerst gefährlichen Stadium. Es besteht ein sehr signifikantes Risiko, dass Zypern den Euro verlassen wird. Jede falsche Äußerung in dieser Situation kann das Feuer noch mehr anheizen.

Eurogruppenchef Dijsselbloem hat für Aufregung gesorgt, als er den Restrukturierungsplan für die zyprischen Banken als Modell empfahl. Er ist zwar zurückgerudert, aber seitdem steht der Verdacht im Raum, dass es Dijsselbloem sehr wohl ernst gemeint haben könnte.

Keiner weiß genau, was er gesagt hat und was er nicht gesagt hat und inwieweit er falsch zitiert wurde oder nicht falsch zitiert wurde. Tatsache ist aber, dass die Akteure in den Finanzmärkten sehr heftig darauf reagiert haben. Der Aktienwert von Banken war 24 Stunden nach der Äußerung innerhalb des Euro-Raums um mehr als 25 Milliarden Euro gefallen. Das heißt, die Äußerung hatte sehr negative und schädliche Konsequenzen für den Bankenplatz Europa. Man muss jetzt genau prüfen, ob da falsch zitiert wurde oder falsche Aussagen gemacht wurden.

Der politische Druck auf die Europäische Union ist sehr groß. Viele EU-Bürger wollen nicht für Fehler in anderen Ländern zur Kasse gebeten werden. Könnten die Ereignisse auf Zypern nicht doch die künftige Strategie der EU beeinflussen?

Es ist sicherlich notwendig, die Banken stärker zu beteiligen. Es kann nicht sein, dass Banken in ganz Europa mit Steuerzahlermitteln geholfen wird. Insofern ist da schon etwas Wahres dran, dass man die Banken in der Tat stärker rannehmen muss.

Allerdings sind einige Äußerungen zu weit gegangen. So wie ich das zumindest verstanden habe, hat sich Dijsselbloem dafür ausgesprochen, dass grundsätzlich auch Einlagen belastet werden können, um die Zeche zu zahlen. Das ist natürlich etwas, das als Rollenmodell für ganz Europa weder beschlossen wurde, noch sinnvoll wäre. Insofern erleben wir eine wirklich sehr gefährliche Gratwanderung. Ich glaube nicht, dass es einen politischen Konsens gab, so etwas zu sagen.

Die Sprecherin von EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier in Brüssel sagte, dass Zypern ein einzigartiger Fall sei. Dass es aber durchaus eine Situation geben sollte, in der der Steuerzahler aufhört, für Fehler der Banken zu zahlen. Diese Erklärung zeigt eine gewisse Distanz zu der Übertragbarkeit des Zypernplans. Andererseits verdeutlicht sie den Wunsch der EU, die Steuerzahler zu entlasten.

Ja, das ist richtig. Aber es kommt eben auch auf Nuancen an und diese machen schnell einen Unterschied von mehreren Dutzend von Milliarden Euro. Gerade eine Situation wie in Zypern, wo in der letzten Woche so ziemlich alles falsch gelaufen ist, was falsch laufen konnte, als mögliches Rollenmodell zu bezeichnen, halte ich für sehr kritisch.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fehler gewesen?

Der größte Fehler war die anfängliche Entscheidung, Einlagen unter 100.000 Euro steuerlich zu belasten und dabei gleichzeitig die vorrangigen Gläubiger nicht zu belasten. Dadurch hätte man ein vollkommen verzerrtes System hergestellt.

Aber das soll die Entscheidung der Regierung auf Zypern und nicht der EU gewesen sein?!

Die Verhandlungsteilnehmer beider Seiten saßen in einem Raum zusammen und haben das diskutiert. Es gab kein Veto von Seiten der Europäischen Partner zu dem Plan, auch Einlagen von unter 100.000 zu belasten. Insofern tragen die europäischen Partner eine Mitverantwortung. Sie hätten klar sagen müssen, dass das nicht nur das Vertrauen in Einlagen in Zypern bedroht, sondern das Vertrauen in alle Einlagen.

Und der zweite sehr gravierende Fehler, der leider am Montagmorgen (25.03.2013) von der Eurogruppe zumindest implizit bestätigt wurde, ist die Möglichkeit, Kapitalkontrollen einzuführen. Ein Währungsraum mit Kapitalkontrollen ist kein Währungsraum mehr. Es wäre eine sehr brisante Situation, wenn  in den Märkten der Eindruck entstünde, dass Kapitalverkehrskontrollen tatsächlich eingeführt werden können. Dann könnte man einen "Bankrun", also einen Ansturm auf die Banken in der gesamten europäischen Peripherie, kaum noch verhindern. In diesem Fall könnte das Kartenhaus zusammenklappen.

Was für Lehren sollte die EU aus dem Fall Zypern ziehen?

Wenn der Euro wirklich überleben soll, ist es mittelfristig entscheidend, dass man die so genannte Bankenunion schafft. Mit einer zentralisierten Aufsichtsbehörde, aber auch einer zentralisierten Umstrukturierungsbehörde, die überall eingreifen und Banken umstrukturieren kann. Wenn wir das gehabt hätten, dann hätten wir das Problem Zypern nie gehabt.

Kurz- bis mittelfristig werden wir in den sauren Apfel beißen müssen, wenn wir den Euro zusammenhalten wollen. Der Europäischen Zentralbank (EZB) müsste klar signalisiert werden, dass sie unbegrenzt Liquidität zur Verfügung stellen muss, um das Zahlungssystem aufrechtzuerhalten. Wenn die EZB das nicht mehr macht, dann ist Zypern de facto aus dem Euro draußen.

Guntram Wolff ist Ökonom und stellvertretender Direktor des Think Tanks "Bruegel" in Brüssel.