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Wozu braucht Tschechien vier Geheimdienste?

5. September 2002

– Das Privileg der Information haben Internet und Computer längst gesprengt – Geheimdienste verleihen den Regierenden nur den Schein, mehr zu wissen als der gewöhnliche Bürger

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Prag, 4.9. 2002, PRAGER ZEITUNG, deutsch, Uwe Müller

Geheimdienste sind ein Relikt aus Zeiten, in denen Informationen nur einigen wenigen Auserwählten vorbehalten waren. Mit Informationen konnte die Gesellschaft einerseits beeinflusst und manipuliert werden. Das war so in Diktaturen, egal ob brauner oder roter Prägung. In Demokratien sollten Geheimdienste helfen, die Grundwerte der Gesellschaft zu schützen. Also vor allem extremistischen Strömungen nachzuspüren, sie aufzudecken und unter Kontrolle zu halten.

Die moderne Informationsgesellschaft braucht diese Dienste eigentlich nicht mehr. Das Privileg der Information haben Internet und Computer längst gesprengt. Freie, am Markt arbeitende Analysten, Journalisten, IT-Fachleute oder PC-Experten erstellen unabhängige Expertisen, Studien oder Erhebungen, für die ein vom Staat finanzierter Geheimdienstapparat viel mehr Zeit und Geld beansprucht. Trotzdem werden diese Dienste immer noch vom Staat auf Kosten der Steuerzahler gefüttert und hofiert. Das hat seine Gründe. Verleihen sie doch den Regierenden wenigstens den Schein, mehr zu wissen als der gewöhnliche Bürger.

Dabei ist die Arbeit dieser Dienste nicht nur überflüssig, sondern, wie viele Beispiele aus der recht traurigen Praxis belegen, eine Gefahr für die Demokratie an sich. Geheimdienste sind in den Demokratien des 21. Jahrhunderts ein Anachronismus.

Deutschlands Politiker wollen rechtsextreme Organisationen verbieten. Paradoxerweise scheitert dieses Vorhaben daran, dass V-Männer, also verdeckt arbeitende Agenten des Geheimdienstes, ihre Stellung in rechtsextremen Organisationen fehlinterpretierten. Der Auftrag zu observieren reichte ihnen nicht. Sie engagierten sich, wurden teils selbst zu Scharfmachern. Dem Staat wurde dadurch die Handhabe genommen, die Extremistenorganisationen zu verbieten. Stammten doch viele der strafrechtlich verfolgbaren Äußerungen von staatlich Beauftragten. Und völlig haarsträubend ist doch die Tatsache, dass der Staat mit Steuergeldern eigentlich rechtsextremistische Organisationen fördert.

Der Fall des ehemaligen Staatssekretärs im tschechischen Außenministerium Karel Srba legt die kardinalen Schwächen derartiger Institutionen offen. Häufig fehlen die entsprechenden Kontrollmechanismen. Die Grauzone zwischen Gesetz und eigenwilliger Interpretation der Gesetzeslage erlaubt immer wieder den Missbrauch der vom Gesetzgeber großzügig eingeräumten Befugnisse durch einzelne Mitarbeiter. Gesellt sich dazu noch ein Systemfehler, nämlich die Akzeptanz anderer als demokratischer Spielregeln, drohen derartige Dienste zu einem Staat im Staate zu werden. Ansätze dafür gab und gibt es in Tschechien, in der Slowakei ebenso. Der Fall des einstigen slowakischen Geheimdienstchefs Ivan Lexa ist dafür Beweis genug.

Die Reformgesellschaften sind anfällig für derartige Deformierungen. Vor einem Jahrzehnt haben sie sich von den totalitären Strukturen getrennt. Tragende Säule der Ordnung hinter dem Eisernen Vorhang waren die kommunistischen Geheimdienste.

Mit dem Zusammenbruch des Systems hatten diese folgerichtig auch enden müssen. Tatsächlich bestehen bis heute vielfache personelle Kontinuitäten zwischen kommunistischen und demokratischen Diensten. Deren Legitimierung steht also ohnehin auf schwachen Beinen.

Für Tschechien stellt sich die Frage: Wozu braucht das Land gleich vier nebeneinander existierende Geheimdienste mit sich teils überschneidenden Zuständigkeitsbereichen? Der Staat muss sparen. Einer dieser Dienste reicht auch, das Land braucht nach der Flutkatastrophe jede Krone. (ykk)