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"Wunder der Aussöhnung"

28. September 2004

- Deutschland und Polen verzichten auf Entschädigungsforderungen

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Berlin, 28.9.2004, DW-Radio, Nina Werkhäuser

Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach am Montag (27.9.) vom "Wunder der Aussöhnung" zwischen Deutschen und Polen, das nicht von "Ewiggestrigen" gestört werden dürfe. Forderungen nach Reparationen erteilten Bundeskanzler Schröder und der polnische Ministerpräsident Marek Belka zugleich eine klare Absage. Doch während die Regierungschefs Einigkeit demonstrieren, knirscht es in den Ebenen darunter gewaltig. Bis zur herzlichen Normalität in den deutsch-polnischen Beziehungen ist es noch ein weiter Weg, meint Nina Werkhäuser in ihrem Kommentar:

Das Komplizierte am deutsch-polnischen Verhältnis ist, dass es sich auf zwei Ebenen abspielt: Auf Regierungsebene, also in der obersten Etage, ist alles in bester Ordnung. Bundeskanzler Gerhard Schröder versteht sich ebenso gut mit dem polnischen Regierungschef Marek Belka wie mit Präsident Aleksander Kwasniewski. Auf jedes der häufigen Treffen in Berlin oder Warschau folgt die ernstgemeinte Beteuerung, die Beziehung zwischen beiden Ländern seien so gut wie nie. So war es auch diesmal: Bundeskanzler Schröder sprach vom "Wunder der Aussöhnung" und auch Belka griff zu verbalen Superlativen - zu Recht. Die Regierungen in Warschau und Berlin arbeiten gut zusammen, aber reicht das? Schon eine Etage tiefer fangen die Probleme an - da können schöne Worte tiefes Misstrauen nicht mehr überdecken. Zuletzt hat das polnische Parlament Öl ins Feuer gegossen, indem es sich für Reparationsforderungen an Deutschland ausgesprochen hat. Einstimmig wohlgemerkt. Zuvor hatte in Deutschland die private Organisation "Preußische Treuhand" Entschädigungsklagen von Vertriebenen angekündigt und damit in Polen schreckliche Erinnerungen wachgerufen.

Der Umgang mit den Spätfolgen von Krieg und Vertreibung vergiftet seit Monaten die deutsch-polnischen Beziehungen. Auf jede Ankündigung folgt ein Gegenschlag der anderen Seite, wobei das Thema in Polen wesentlich mehr Ressentiments weckt als in Deutschland. Sind hierzulande nur einige "Ewiggestrige", wie Schröder sie nannte, mit Entschädigungsfragen zugange, so kann jeder beliebige Passant in Warschau ein Spontanreferat zur "Preußischen Treuhand" halten. Die Verärgerung in Polen ist so groß und wird so intensiv von den Medien weiter geschürt, dass beschwichtigende Worte nur noch wenig helfen - so wichtig sie auch sein mögen. Die Rede des Bundeskanzlers anlässlich des 60. Jahrestags des Warschauer Aufstands war ein richtiges Signal. Aber: Die Reparationsforderungen des polnischen Parlaments kamen danach. Sie waren nicht zuletzt eine Reaktion darauf, dass die deutsche Öffentlichkeit das für die polnische Seite so emotionsgeladene Thema oft herunterspielt.

Und so waren Schröder und Belka bei ihrem Treffen in Berlin im Zugzwang - sie mussten über das Niveau von Sonntagsreden hinaus tätig werden. Also haben sie angekündigt, die besten Juristen beider Länder in einer gemeinsamen Kommission gegen Entschädigungsansprüche arbeiten zu lassen. "Wir handeln" - dieses Signal sollte bei der Öffentlichkeit ankommen, auch wenn die Kommission in der Praxis vermutlich wenig Einfluss haben wird. Es sind Gerichte, die entscheiden. Der Bundeskanzler wird sich nun wieder den Vorwurf von Vertriebenenorganisationen anhören müssen, die Bundesregierung könne Prozesse vor polnischen oder internationalen Gerichten nicht vorgreifen. Das kann er aber gelassen wegstecken. Auch Marek Belka hat Reparationsforderungen noch einmal eine klare Absage erteilt. Diese Haltung sollte er aber auch in Polen mit Nachdruck vertreten.

Schröder und Belka haben getan, was sie konnten. Dass die so schädliche Debatte über Entschädigungen und Reparationen trotzdem weitergehen wird, ist bedauerlich. Aber bis zur herzlichen Normalität auf allen Ebenen ist es in den deutsch-polnischen Beziehungen eben doch noch ein weiter Weg. (TS)