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Zäher Kampf gegen die Todesstrafe

Frank Sieren1. November 2014

Peking verringert die Anzahl der Straftaten, auf die die Todesstrafe steht. Das ist die richtige Richtung auf einem noch langen Weg, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Ein Verurteilter nimmt in China seine Strafe entgegen (Foto: AP)
Bild: AP

Im höchstmöglichen Maß andere abschrecken. Das ist eine so lange Tradition des chinesischen Rechtssystems, dass es dafür sogar ein eigenes Sprichwort gibt: "Das Huhn töten, um den Affen zu warnen" (shaji jinghou). Die meisten Chinesen nicken noch heute zustimmend, wenn dieser Satz fällt - auf dem Land noch deutlicher als in der Stadt. Dahinter steckt die Überzeugung, dass nur so die Ordnung in einem Land mit 1,3 Milliarden Menschen aufrechterhalten werden kann.

Anderseits nimmt die Empörung zu, wenn sich herausstellt, dass ein Fehlurteil verhängt wurde. Eine Empörung, die sich schnell gegen die Kader der kommunistischen Partei einer ganzen Region drehen kann. Auch deshalb hat Peking vergangene Woche das chinesische Strafrecht reformiert. Der Katalog der Verbrechen, die mit der Todesstrafe geahndet werden, wird von 55 auf 46 Einträge gekürzt. Zu den neun entfernten Vergehen gehören unter anderem finanzielle Straftaten wie illegale Geldbeschaffung, Geldwäsche und die Verbreitung von Falschgeld. Auch Zuhälterei, Waffenschmuggel und die Verbreitung von Gerüchten zu Kriegszeiten sollen künftig nicht länger mit dem Tod bestraft werden.

Zahl der Hinrichtungen noch immer sehr hoch

Mit 2.400 Hinrichtungen im vergangenen Jahr kommt Chinas Justiz immer noch auf dreimal so viele exekutierte Verurteilte wie alle anderen Länder der Welt zusammen. Der Trend ist aber seit einigen Jahren rückläufig: 2002 wurden noch 12.000 Verurteilte hingerichtet. Die Zahl halbierte sich bis 2007 auf 6.500 und fiel seither auf fast ein Drittel. 2007 richtete Peking einen eigenen Gerichtshof als dritte Überprüfungsinstanz für alle zum Tode Verurteilten ein. Die Richter dort schickten im Jahr 2013 fast 40 Prozent aller von Provinzgerichten gefällten Todesurteile aufgrund von Verfahrensfehlern zur Überarbeitung zurück.

Noch gibt es große Unterschiede zu Ländern wie den USA, die auch die Todesstrafe in ihrem Rechtssystem haben. Die Höchststrafe wird in diesen Ländern fast ausschließlich in Mordfällen verhängt. In den USA, dem Prominentesten unter den für die Todesstrafe kritisierten Ländern, wurden deshalb seit 1976 insgesamt 1.386 Menschen hingerichtet. Das ist nur etwas mehr als die Hälfte der Menschen, die allein im letzten Jahr in China verurteilt wurden.

Frank Sieren (Foto: Frank Sieren)
Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Willkür durch ungenaue Formulierungen

Der große Katalog an Verbrechen sorgt in China immer wieder für merkwürdige Entscheidungen der Richter. Denn die im Urteil nur ungenau formulierten Vergehen bieten großen Entscheidungsspielraum. Man kann auch sagen, sie öffnen der politischen Willkür Tür und Tor. Erst vergangenes Jahr sorgte das Urteil gegen den Ex-Bahnminister Liu Zhijun für Aufsehen: Wegen Korruption erhielt er die Todesstrafe auf Bewährung. Nach zwei Jahren guter Führung wird diese für gewöhnlich in lebenslange Haft umgewandelt - ein beliebter Richterspruch bei renommierten Personen mit guten Kontakten.

In anderen Fällen steht das Urteil schon vor dem Prozess fest. Seit Präsident Xi Jinping nach einer Reihe von Anschlägen einen Anti-Terrorkampf im eigenen Land gestartet hat, wird den Angeklagten eher ein kurzer als langer Prozess gemacht. Erst Anfang Oktober wurden zwölf mutmaßliche Terroristen von einem Gericht in der Provinz Xinjiang zum Tode verurteilt. Daran, dass Peking mit dieser Härte in seiner Unruheprovinz reagiert, wird sich sicher auch so schnell nichts ändern.

Kritik der internationalen Gemeinschaft

Die Todesstrafe ist etwas, für das China schon lange von der internationalen Gemeinschaft kritisiert wird. Jetzt hat Xi die richtige Richtung auf einem allerdings noch langen Weg eingeschlagen. Derzeit sieht es so aus, als ob die Reformen noch nicht abgeschlossen sind. In einigen Monaten soll die Liste der Straftaten mit Höchststrafe noch weiter zusammengestrichen werden. Vielleicht nimmt man sich dann auch noch anderer antiquierter oder vage formulierter Vergehen an: Die Höchststrafe auf schweren Gemüsediebstahl wäre so ein Fall.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.