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Zakajew: Bin Laden hat mit uns nichts zu tun

25. Februar 2002

In einem Interview mit der russischen Redaktion von DW-RADIO bestritt der Vize-Premier der separatistischen tschetschenischen Regierung, Achmed Zakajew, eine Zusammenarbeit mit dem Al-Kaida-Netzwerk von Bin Laden.

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Bild: AP

Das Interview wurde anlässlich des Jahrestages der Deportation des tschetschenischen Volkes durch Stalin am 23. Februar 1944 geführt.

Herr Zakajew, wie bewerten Sie heute die Ereignisse vor 58 Jahren?"

Das harte Urteil kostete unser Volk mehr als 500.000 Menschenleben. Man kann viel über die Greuel des Erlebten erzählen. Das Schlimmste ist jedoch, daß Menschen auch heute noch wegen ihre ethnischen Zugehörigkeit ermordet werden. Die Geschichte wiederholt sich leider.
Der russische Präsident Putin rechtfertigt heute den Mord am tschetschenischen Volk durch die von ihm entdeckten und uns zugeschriebenen Kontakte zum islamischen Terrorismus. Zu unserem großen Bedauern geben sich viele führende Politiker im Westen mit dieser Erfindungsgabe des russischen Präsidenten zufrieden. Der britische Premier Tony Blair sagte bei seinem letzten Besuch in Moskau, er habe Verständnis für die Ereignisse in Tschetschenien, weil Russland das erste Land war, das den Horror des internationalen Terrorismus zu spüren bekam. Wir Tschetschenen sagen dazu mit bitterer Ironie: Sollte die internationale Gemeinschaft irgendwann Probleme mit Marsmenschen haben, werden diese bestimmt prompt in Tschetschenien gefunden."

Wie sind Sie Ihre Beziehungen zu internationalen Organisationen?

"Während unseres letzten Treffens mit der Führung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) haben wir uns über eine weiterführende Zusammenarbeit geeinigt. Aslan Maschadow, Präsident der Republik Itschkerija, hatte einst alle Kontakte zu PACE unterbrochen. Einige Zeit danach bekamen wir eine offizielle Einladung der PACE, und Maschadow beauftragte mich, Gespräche zu führen, was ich auch tat. Die daraus resultierenden Vereinbarungen, wie ich es sehe, gelten immer noch. Wir werden an allen Treffen zur Problematik Tschetscheniens teilnehmen. Die einzige Ausnahme ist der Beratungsrat des Verwaltungschefs Tschetscheniens, Achmed Kadyrow, da wir glauben, dass dies in eine Sackgasse führt."

Wie beurteilen Sie die heutige Lage in Tschetschenien?

Russland will der der ganzen Welt beweisen, dass die Lage in Tschetschenien im Kontext des internationalen Terrorismus zu sehen ist. Wir fragen: Wenn das ein internationales Problem ist, warum bleibt dann Tschetschenien geschlossen – sowohl für Journalisten, als auch für humanitäre oder irgendwelche anderen internationalen Organisationen?

Tatsache ist, dass die Situation in Tschetschenien nichts mit dem Kampf gegen internationalen Terrorismus gemein hat. Zu unserem großen Bedauern erlebte das tschetschenische Volk wie kein zweites ein richtiges Inferno nach dem 11. September, nach diesen tragischen Ereignissen in den USA. Ein Inferno, dass die russischen Truppen der Zivilbevölkerung bereiteten. Die russische Soldateska führt keine bewaffneten Auseinandersetzungen. Sie plündert dort, wo es keine kampffähigen Männer gibt, die Widerstand leisten könnten. Wenn die russische Führung offiziell erklärt, dass sie die gesamte Tiefebene Tschetscheniens unter Kontrolle hat, dann bedeutet das, dass sie auch für die dort verübten Verbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verantwortung zu tragen hat. Früher oder später wird die russische Führung dafür gerade stehen müssen."

Welche Rolle könnte Ihrer Meinung nach die internationale Gemeinschaft bei der Beilegung des Konfliktes in Tschetschenien spielen?

"Was heute in Tschetschenien geschieht, sprengt jeden Rahmen. Es kann durch keine juristischen Normen gerechtfertigt werden. Weder im Rahmen der internationalen Gemeinschaft, noch durch die russische Verfassung, auf die die russische Führung verweist. In Tschetschenien werden Verbrechen verübt. Dort ist ein Völkermord im Gange. Es gibt nur einen einzigen Ausweg: Die internationale Gemeinschaft muss Russland für seine Politik, die die Vernichtung des tschetschenischen Volkes zum Ziel hat, sofort offen verurteilen. Selbst Russland gibt bereits zu, dass das Problem eine internationale Dimension hat. Wir glauben, dass die internationale Gemeinschaft verpflichtet ist, sich der Situation anzunehmen. Es gibt heute keinen anderen Ausweg. Russland allein ist nicht in der Lage das Problem zu lösen. Die von Putin deklarierte endgültige Lösung der tschetschenischen Frage hat nicht stattgefunden. Über 500.000 Bürger Tschetscheniens befinden sich außerhalb der Republik in den benachbarten Staaten. Selbst mit der Vernichtung der übrigen 250.000-300.000 Menschen, die noch in Tschetschenien bleiben, wird Putin das Problem so, wie er es sich wünscht, nicht lösen können."

Wo befindet sich zur Zeit der Präsident der Republik Itschkerija, Aslan Maschadow?

"Ich kann mit voller Gewissheit erklären, daß Aslan Maschadow kein einziges Mal seit dem Beginn der zweiten Militäroperation in Tschetschenien das Gebiet der Republik verlassen hat. Wir bleiben mit ihm im Kontakt. Es gibt dabei natürlich gewisse Schwierigkeiten. Denn Aslan Maschadow, als legitimer Präsident, wird vom russischen Militär wie kein anderer mit dem Ziel verfolgt, ihn zu beseitigen. Wir sorgen für seine Sicherheit."

Wie erklären Sie Gerüchte, nach denen Maschadow das Territorium Tschetscheniens verlassen hat?

"Solche Gerüchte entsprechen nicht der Realität. Oder ist es ein Wunschdenken von irgend jemandem. Maschadow als Oberbefehlshaber und Präsident der Republik befindet sich in Tschetschenien und führt das Kommando."

Herr Zakajew, es wird behauptet, dass sich Osama bin Laden in Tschetschenien aufhalten könnte. Was sagen Sie dazu?

"Bin Laden hatte und hat nichts mit unserem Widerstand zu tun. Er ist nie auf unserem Territorium gewesen, und auch heute ist er nicht in Tschetschenien."

Das Gespräch führte Andrej Brenner