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Zeche zu

24. April 2004

Mit einer letzten Grubenfahrt in Lothringen wurde Mitte April das Ende des Kohlebergbaus in Frankreich besiegelt. Rund 13 Jahre nach dem Ende des Bergbaus im Norden geht auch in Ostfrankreich eine Ära zu Ende.

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Letzte Schicht und SchlussBild: dpa


Der Kohlebergbau hat die Region Lothringen anderthalb Jahrhunderte lang nachhaltig geprägt. Die Förderung der letzten Ladung Steinkohle aus der 900 Meter tiefen Grube La Houve bei Creutzwald setzte einen Schlusspunkt. Seither sind die verbliebenen knapp 300 Kumpel damit beschäftigt, das Bergwerk abzusichern und Geräte nach oben zu holen, die im nahegelegenen Bergbaumuseum Petite-Rosselle an die Blütezeit des Kohlebergbaus erinnern sollen.

Damals, um 1960 herum, wurden in Frankreich 59,7 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert. Danach begann wie anderswo in Westeuropa der Niedergang. Angesichts zunehmender Billigexporte wurde europäische Kohle immer unrentabler. In Frankreich ist längst die Atomenergie wichtigster Energieträger.

Kohle als Verlustgeschäft

Auch die europäische Montanunion (1952 bis 2002), die der Lothringer Visionär und EU-Pionier Robert Schuman erdacht hatte, konnte das Ende der Kohleförderung in Frankreich nicht aufhalten. Die Steinkohle-Produktion sank teils drastisch. 1973 wurden nur noch rund 25 Millionen Tonnen gefördert, 1991 - nach der Schließung der nordfranzösischen Zechen - waren es noch zwölf Millionen. Aus den letzten beiden Gruben der Lothringer Steinkohlewerke Houillères du Bassin de Lorraine (HBL) wurden 2003 nur noch 1,7 Millionen Tonnen zu Tage gebracht.

Die Kohle ist schon seit langem ein Verlustgeschäft, die Förderkosten beliefen sich nach Angaben des Staatskonzerns Charbonnages de France (CDF) zuletzt auf 150 Euro pro Tonne. Exportkohle aus Australien, die dort im Tagebau gewonnen wird, koste einschließlich des Transports 40 Euro. Der Pariser Rechnungshof bezifferte die Staatshilfen für CDF von 1971 bis 2000 mit 233 Milliarden Franc (35,5 Milliarden Euro).

Abschied fällt schwer

Mit den Gewerkschaften besiegelten die CDF 1994 einen Kohlepakt, der das Ende des französischen Bergbaus einläutete: Vereinbart wurden bis 2005 die Schließung aller Gruben sowie Maßnahmen zur sozialen Abfederung - etwa zum Frühruhestand mit 45 Jahren und zur Umschulung von Kumpeln. Dank dieses Paktes seien Härtefälle vermieden worden, betont ein Sprecher des Regionalrats in Metz. Den letzten Kumpeln fällt der Abschied dennoch schwer. "Schon mein Großvater und mein Vater haben im Bergwerk gearbeitet", sagt Bernard Walinski, der als Steiger für eine Schicht verantwortlich war und nun eine Stelle in einem Kohlekraftwerk erhalten soll.

Während der letzten Grubenfahrt wurde auch der zahlreichen Bergleute gedacht, die bei der gefährlichen Arbeit unter Tage ums Leben kamen. Das verheerendste Unglück ereignete sich am 10. März 1906, als eine Explosion des als "Schlagwetter" gefürchteten Luft-Methan-Gemisches im nordfranzösischen Courrières 1099 Bergleute tötete. In Lothringen kamen seit 1907 bei sechs Explosionen 237 Bergleute ums Leben. Dennoch ruft das Ende der Bergbau-Ära in der Grenzregion Wehmut hervor. Schließlich haben Kohle- und Eisenerzabbau und die Stahlindustrie Lothringen geprägt. Noch in den 1960er Jahren beschäftigte die Schwerindustrie dort 200.000 Menschen.

Neuanfang ohne Kohle

Immerhin trägt das Restrukturierungsprogramm Früchte: Heute gehört Lothringen zu den französischen Regionen mit der größten Konzentration von Investoren aus dem Ausland. An die 350 ausländische Firmen mit 48.000 Beschäftigten haben sich niedergelassen, darunter der Autokonzern DaimlerChrysler, der in Hambach seinen Stadtflitzer Smart baut. Die Roheisengesellschaft Saar (Rogesa), ein Gemeinschaftsunternehmen der Dillinger Hütte und der Saarstahl AG, kaufte gerade die Kokerei in Carling. Dort sollen mindestens fünf Jahre lang vor allem Ex-Mitarbeiter der Lothringer Steinkohlewerke beschäftigt werden. (afp)