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Was ist die Sichelzellen-Krankheit?

14. Dezember 2015

Fünf Prozent der Weltbevölkerung sind genetisch für Blutkrankheiten veranlagt. Jedes Jahr erkranken 300.000 Kinder an einer der Gefährlichsten: der Sichelzellen-Krankheit. Was kann man dagegen tun?

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Sichelzellenanämie
Bild: picture alliance / ap

Was ist die Sichelzellen-Krankheit?

Die Sichelzell-Krankheit ist eine erbliche Erkrankung. Kinder erkranken daran, wenn beide Eltern eine Erbanlage für Hämoglobin S (HbS) weitergegeben haben. Statt des gesunden Blutfarbstoffs Hämoglobin A (für "adult") wird dann in den roten Blutkörperchen Hämoglobin S gebildet. Dadurch verformen sich die eigentlich runden Blutkörperchen zu sichelförmigen Gebilden. Diese Blutkörperchen sind hart und sperrig und können deshalb überall im Körper die Blutgefäße verstopfen und alle Organe des Körpers schwer schädigen. 

Mehr dazu: Sichelzellen-Expertin: "Basisversorgung an erster Stelle"

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Wie wirkt sich die Krankheit aus?

Schon bei Babys im dritten bis vierten Monat verstopfen Gefäße, die das Knochenmark versorgen. Bei Kinder entstehen Infarkte im Innern des Knochens, wo das Blut gebildet wird. Das führt dazu, dass kein Sauerstoff mehr an diese Stellen kommen kann und das Gewebe stirbt ab. Es bildet sich eine Wasseransammlung, ein Ödem, das von innen auf die Knochenhaut drückt und starke Schmerzen verursacht. Hände und Füße schwellen an. Kinder können nicht mehr greifen, stehen oder laufen. Bei älteren Kindern bzw. Erwachsenen treten schwere Schmerzen in den Knochen von Armen und Beinen, der Wirbelsäule und des Beckens auf.

Warum gibt es lebensbedrohliche Komplikationen?

Erstens, durch die Gefäßverstopfungen wird unter anderem die Milz schwer geschädigt, die normalerweise Krankheitserreger aus dem Blut holt. Schon am Ende des ersten Lebensjahres haben einige Kinder keine Milzfunktion mehr. Schwere eitrige Infektionen durch Pneumokokken (Bakterien) können sich rasant ausbreiten. Die Gefahr einer solchen Sepsis bzw. Blutvergiftung ist um etwa 800-mal höher als bei gesunden Kindern. Sie kann innerhalb von Stunden tödlich enden.

Eine zweite Gefahr ist die sogenannte Milzsequestration: Dabei nimmt die Milz nimmt Blut auf, gib es aber nicht mehr ab. Sie schwillt an wie ein Sack, während der restliche Körper unterversorgt ist. Bekommt das Kind dann nicht schnell Blutkonserven, erleidet es einen Schock und verblutet quasi innerlich innerhalb weniger Stunden. Die dritte Gefahr: Jedes zehnte Sichelzellen-Kind erleidet vor dem 18. Lebensjahr mindestens einen Schlaganfall.

Stimmt es, dass die Krankheit nur dunkelhäutige Menschen betrifft?

Nein, die Krankheit ist zwar in Afrika, Saudi-Arabien und Indien entstanden. Aber sie kommt heute durch jahrhundertelange Migration auch im Mittleren Osten und im östlichen Mittelmeerraum vor. Türkische, griechische oder italienische Sichelzell-Patienten haben in der Regel eine helle Hautfarbe, auch wenn sich genetisch bei ihnen durch Chromosomenanalyse noch westafrikanische Vorfahren aus dem Gebiet des heutigen Benin nachweisen lassen.

Wie erkenne ich Sichelzell-Krankheit bei meinem Kind?

Am besten ist es, wenn die Gesundheitsbehörden systematisch ein Neugeborenen-Screening durchführen. Das ist fast nur in Industriestaaten mit vielen Einwanderern aus Afrika der Fall (USA, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Niederlande). Ziel muss sein, die Krankheit spätestens im zweiten Lebensmonat zu diagnostizieren, um Organschädigungen vorbeugen zu können. Die Sichelzell-Krankheit lässt sich nicht im Blutbild, sondern nur durch eine Hämoglobin-Analyse feststellen. Durch eine Elektrophorese lässt sich das Blut in verschiedene Fraktionen auftrennen. So kann man herausfinden, welche der verschiedenen Hämoglobin-Arten in welcher Konzentration vorhanden ist.

Wie erkenne ich, dass ich als Elternteil Anlageträger bin?

Auch durch eine Hämoglobin-Analyse. Anlageträger haben krankes Blut in sich, sind aber nach Außen scheinbar gesund, weil das gesunde Blut überwiegt. Sinnvoll wäre es, wenn beide Elternteile, die eine Familie gründen wollen, sich untersuchen ließen, besonders wenn sie Vorfahren aus Afrika oder dem östlichen Mittelmeerraum haben. In der zehnten bis zwölften Schwangerschaftswoche lässt sich zudem pränatal diagnostizieren, ob auch das Kind erkranken wird. Bei einer sogenannten Chorionzottenbiopsie wird Gewebes aus der Plazenta entnommen. Das ist genetisch mit dem Fötus identisch und lässt sich molekulargenetisch untersuchen: Ist das Kind krank? Ist es nur Träger? Oder ist es gesund? Wenn das Kind krank ist, darf die Schwangerschaft abgebrochen werden.

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Wie müssen Sichelzell-Kinder behandelt werden?

Sie müssen frühzeitig gegen Pneumokokken geimpft werden. Die Impfung umfasst aber nur etwa 13 der ca. 25 gefährlichen Pneumokokken-Arten. Deshalb benötigen die Kinder bis zum fünften Lebensjahr regelmäßig Penicillin. Und die Eltern müssen lernen, bei jedem Windelwechsel die Milz auf eine mögliche Schwellung abzutasten. Gibt es einen Verdacht, oder hat das Kind über 38,5 Grad Celsius Fieber, muss es sofort ins Krankenhaus gebracht werden.

Um gegen einen drohenden Schlaganfall vorzubeugen dient die transkranielle Dopplersonografie - ein bildgebendes Verfahren. Damit lässt sich die Fließgeschwindigkeit des Blutes im Gehirn messen. Liegt sie zu hoch, deutet das auf einen drohenden Schlaganfall hin. In Industriestaaten werden solche Kinder chronisch transfundiert, dass heißt, sie bekommen so viele Blutkonserven, dass sie kein eigenes Blut mehr bilden müssen. In Entwicklungsländern ohne hochwertige Blutversorgung erhalten sie Hydroxycarbamid, ein Zytostatikum, das die Zellteilung hemmt und die Verklumpung der Sichelzellen verringert.

Kann eine Stammzelltransplantation helfen?

Nur wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Der Spender muss ein Geschwister mit beiderseits gleichen Eltern und einem genetisch sehr ähnlichen Erbgut sein - einem sogenannten Humanen Leukozyten Antigen (HLA). Das ist aber selten der Fall und eine Frage des Zufalls. Theoretisch könnte man auch in den großen Spenderdatenbanken, die in Europa und Amerika für Stammzellspenden bei Leukämiefällen eingerichtet wurden, geeignete Spender suchen. Seit dem ersten Fall 1984 wurden weltweit erst etwa 600 Sichelzell-Patienten transplantiert. Die meisten davon waren Kinder. In allen Fällen waren die Spender HLA-identische Geschwister und die Transplantationen fanden in Industrieländern, wie den USA, Belgien, Frankreich oder Großbritannien unter optimalen Bedingungen statt.

Gibt es bei der Transplantation Unterschiede bei Kindern und Erwachsenen?

Ähnlich wie bei einer Krebserkrankung müssen zunächst die kranken Sichelzell-Stammzellen abgetötet werden. Bei Kindern geschieht das durch eine Chemotherapie. Kinder vertragen diese meist auch gut. Bei Erwachsenen, bei denen in der Regel die Organe bereits geschädigt sind, ist das Abtöten der kranken Stammzellen schwieriger, weil die Chemotherapie den geschwächten Körper noch stärker belasten würde. Bis 2015 wurden in den USA 23 Erwachsene transplantiert, bei denen die kranken Stammzellen zuvor ohne Chemotherapie sondern durch eine Ganzkörperbestrahlung abgetötet worden waren.

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Wie hoch ist die Lebenserwartung von Erkrankten?

Früher ging man davon aus, dass Sichelzell-Patienten das Erwachsenenalter nicht erreichen. Bekommen sie aber eine gute medizinische Versorgung, ändert sich das Bild. In den USA und in Europa erreichen 85-90% aller betroffenen Kinder das Erwachsenenalter. In den USA werden betroffene Frauen im Durchschnitt 42, Männer 38 Jahre alt. In Großbritannien liegen die Überlebensraten höher. Es gibt auch Patienten, die über 60 Jahre alt geworden sind.