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Zehn Freunde gründen eine Kaufhauskette

18. April 2010

Führungskräfte insolventer Warenhäuser mieten die Filialen ihrer alten Arbeitgeber an und stellen das entlassene Personal wieder ein. Ihre Jobs waren vom Insolvenzverwalter abhängig, jetzt sind sie selber Chefs.

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Die erste X-Friends-Filiale in der Hansastraße in Essen-Steele im April 2010 (Foto: DW)
Außen prangt das Hertie-Logo, drinnen verkaufen X-Friends bereits wechselnde PostenBild: DW

Die Hansastraße in Essen-Steele ist eine typische Einkaufsstraße. Ein Drogeriemarkt, ein Fotogeschäft, ein Juwelier und eine Metzgerei reihen sich neben Bekleidungs- und Tabakläden. Aus dem Rahmen fällt das Haus mit der Nummer 46 - wegen seiner kastenartigen Größe und wegen des auffälligen roten Hertie-Logos. Dort, wo einmal Hertie war, sind heute zehn Freunde eingezogen: X-Friends, das sind zehn Unternehmer, die früher Führungspositionen bei den Warenhäusern Karstadt und Hertie besetzten. Zur Stunde Null, in der sich Gläubiger um Insolvenzmassen gestritten haben, wollten sie selbst aktiv werden und Verantwortung übernehmen für frühere Mitarbeiter und die leer stehenden Verkaufsflächen.

"Nicht zu vergleichen mit dem Angebot früher"

Ein mit Klebestreifen an der Glastür befestigtes A4-Blatt mit dem Aufdruck X-Friends kündigt die neueingezogenen Besitzer an. Drinnen wirkt die Präsentation der Produkte auf den ersten Blick verwirrend: Bücherstapel auf Beistelltischen in der Mitte, dahinter Ständer mit Badvorlegern und Tische mit Handtüchern. Das Regal mit den DVDs ist gleich neben der Damen-Unterwäsche aufgestellt. Und um die Ecke sind hundertfach Reinigungsmittel der gleichen Marke aufgereiht. Der Kunde fühlt sich wie in einem Lagerverkauf. Nicht allen gefällt das. Ingrid Müller begutachtet die Sonderangebote vor der Tür. "Es ist gar nicht zu vergleichen, mit dem Angebot von früher." Mit früher meint die Rentnerin Hertie und die breitere Produktpalette.

Sven Tamms und Britta Staake in der Essener Filiale vor der Koffer-Abteilung (Foto: dW)
Sven Tamms und Britta Staake gründeten mit acht Freunden die neue WarenhausketteBild: DW

Britta Staake gehört zu den zehn Freunden. Sie ist X-Friends-Filialleiterin in Essen-Steele und erklärt das Konzept: "Wir wollen Marken- und No-Name-Produkte zu einem günstigen Preis verkaufen und dabei kein Sortiment anbieten, das der Kunde jeden Tag im Jahr bekommt, sondern wechselnde Posten." Dieses wechselhafte Angebot soll die Essener täglich in den Laden locken.

Sven Tamms, der von der Gruppe zum Chef gekürt wurde, weiß, wie notdürftig einige der Filialen noch immer eingerichtet sind. Im ersten Moment wirkt er deplatziert, als er im dunkelblauen Anzug mit passend abgestimmter Krawatte das Essener X-Friends betritt. "Vom Grundsatz muss man sagen, wir sind sehr provisorisch gestartet", gibt er zu. Schauen, wie viel man mit wenigen Mitteln bewerkstelligen kann, das sei die erste Herausforderung gewesen. Die wenigen Mittel, das war das Eigenkapital der Zehn. Mittlerweile gibt es vier X-Friends-Filialen in Nordrhein-Westfalen. Bis Jahresende sollen weitere sechs hinzukommen. Der nächste wichtige Schritt aber ist für Tamms die Ladenoptik. Eigens dafür sei jetzt ein Architekt angestellt worden.

20 Jahre im selben Haus

Angelika Bux war 40 Jahre lang für Karstadt bzw. Hertie angestellt. 20 Jahre lang arbeitete sie in der Filiale in Essen-Steele (Foto: DW)
Angelika Bux arbeitete 20 Jahre lang bei Hertie in Essen und wurde wieder eingestelltBild: DW

Angelika Bux beginnt ihre Mittagspause mit einer Zigarette und einer Tasse Kaffee. Sie sitzt im dritten Stock des Ex-Hertie-Hauses im Mitarbeiterbüro. Das ist notdürftig mit Regalen, einem Tisch und drei Stühlen eingerichtet. Die Tapete an den Wänden ist vergilbt, aber das stört Angelika Bux nicht. Sie nimmt ihre Umgebung nicht wie ein Gast wahr, sie arbeitet schließlich seit 20 Jahren als Verkäuferin in diesem Haus - mit einer kurzen Unterbrechung. Als im August 2009 das Hertie-Kaufhaus schließt, wird die 55-Jährige arbeitslos. In Ihrem Alter ist der Wiedereinstieg keine Selbstverständlichkeit.

Nach vielen Absagen meldet sich im vergangenen Dezember 2009 eine frühere Kollegin bei ihr und fragt, ob sie nicht Lust hätte, wieder an ihrer alten Arbeitsstätte hinter der Kasse zu stehen. "Das fand ich toll, endlich wieder Arbeit", kommentiert die 55-Jährige und bläst Rauch in die Büroluft.

"Nicht alles für tot erklären"

An allen vier Standorten wurden frühere Mitarbeiter angesprochen. Es ist zwar viel weniger Personal auf geschrumpfter Verkaufsfläche, das für X-Friends die Kunden bedient, doch scheinen schon kleine Resultate den Unterschied zu machen. "Die Leute finden es gut, dass Menschen aus ihrer Mitte die Initiative ergreifen und gucken, was man an den Standorten wieder machen kann, anstatt alles für tot zu erklären", sieht sich Tamms bestätigt. Recht bekommt er von Peter Ihle. Der Bürgermeister im Ruhestand kennt die Filiale der Friends in Velbert.

Rentner Peter Ihle sitzt im April in einem Straßencafé in der Hansa-Straße in Essen-Steele (Foto: DW)
Peter Ihle sieht große Unterschiede zwischen den X-Friends in Essen und VelbertBild: DW

In der ländlichen Region war die Schließung des größten Kaufhauses im vergangenen Jahr ein Verlust. Die Velberter verloren Jobs und eine zentrale Einkaufsmöglichkeit. Im März 2010 mieteten X-Friends auch dort eine Etage als Verkaufsfläche an. Auf rund 1000 Quadratmetern lässt sich zwar nicht bieten, was früher auf mehreren Etagen verkauft wurde. Doch Kunden wie Ihle sind zufrieden mit dem neuen Angebot am alten Standort. "Die Velberter akzeptieren das Haus, weil sie es vermisst haben." Verwundert ist der Rentner über den Unterschied zur Filiale in Essen-Steele. "Ich bin ein bisschen enttäuscht, nachdem ich jetzt hier durchgegangen bin. In Velbert ist das alles viel liebevoller dekoriert", bemängelt er. Vielleicht unterscheiden sich die Kunden in Essen und Velbert sehr, vielleicht wird es auch einfach nur Zeit, dass der Architekt vorbeikommt. Und dass endlich das alte, rote Logo mit dem großen "H" abmontiert wird.

Autor: Stefanie Zießnitz
Redaktion: Kay-Alexander Scholz