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Zehn Jahre ohne "Russen"

Maksim Nelioubin18. August 2004

In wenigen Tagen jährt sich der Abzug russischer Truppen von deutschem Boden. Damals fühlten sich viele Russen in der Ansicht bestätigt: "Wir haben den Faschismus besiegt, aber den Kalten Krieg verloren".

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Es war einmal: Hammer und Sichel in DeutschlandBild: transit-Archiv


Politisch und strategisch gesehen war die Stationierung von rund 340.000 Soldaten mit ihren 207.000 Angehörigen und zivilen Bediensteten nicht mehr notwendig, wirtschaftlich war sie kaum noch tragbar. 1991 hatte die russische Regierung noch 820 Millionen DM für Finanzierung der "Westgruppe der Truppen" (WGT) bereitgestellt. 1992 waren es nur noch 19,8 Millionen. Die Westgruppe musste in den letzten Jahren praktisch "sich selbst finanzieren". Das öffnete in den Kasernen Tür und Tor für Geschäfte, die nicht immer "gesetzeskonform" waren.

Schwankender Präsident verabschiedet Truppen

Die Umstände des Abzuges waren oft obskur, man sprach von Korruption, Veruntreuung und Misswirtschaft. Auch warfen viele Russen dem damaligen Präsident Boris Jelzin vor, seinem "Freund Helmut" Kohl zu viele Zugeständnisse gemacht zu haben. Stellvertretend blieb im kollektiven Gedächtnis Russlands eine peinliche Episode während der Verabschiedung der Truppen am 31. August in Berlin haften. Der Staatsmann Jelzin versuchte im nicht ganz nüchternem Zustand, das Militärorchester zu dirigieren. Viele sahen darin ein Symbol für die mangelnde Standfestigkeit ihrer Regierung...

Der Grundstein für Abzug war am 12. Oktober 1990 gelegt worden. Wenige Tage nach der Wiedervereinigung Deutschlands unterzeichneten Bonn und Moskau einen Vertrag über den befristeten Aufenthalt der sowjetischen Truppen bis Ende 1994. Später wurde dieser Termin auf Ende des Sommers vorverlegt.

Die Bundesrepublik verpflichtete sich, in Russland rund 45.000 Wohnungen für die abziehenden Offiziere zu finanzieren. Dafür wurden 8,35 Milliarden DM bereitgestellt. Die Erwartungen vieler Offiziere wurden aber enttäuscht. Ein Teil des Geldes versickerte in den Regionen, die mit der Ausführung der Bauarbeiten beauftragt waren. Viele Offiziersfamilien waren lange Zeit praktisch obdachlos, manche mussten in Feldzelten wohnen.

Kostenlose Rücknahme

Die Liegenschaften der WGT (240.000 Hektar, was der Fläche des Saarlandes entspricht) sollte das Bundesvermögensamt übernehmen. Zunächst war geplant, den Wert der Liegenschaften gegen die Kosten der ökologischen Sanierung zu verrechnen. Das erwies sich als unpraktikabel, und die Übernahme erfolgte danach kostenlos und unsaniert. Nicht jeder war mit dieser Abmachung einverstanden.

Der russische Militärhistoriker Michail Boltunow schrieb 1995 in seinem Buch über den Abzug der Truppen, dass der "Ausgleich" ungerecht war. Die russische Armee habe in fast fünf Jahrzehnten in Ostdeutschland 777 Garnisonsstädte gebaut, 20.000 Wohnung erreichtet, 5269 Lager, 3422 Ausbildungszentren und Übungsplätze, 47 Flugplätze. Nach Boltunows Angaben wurde das WGT-Eigentum auf sieben bis acht Milliarden Mark geschätzt, die ökologischen Schäden hingegen nur auf zwei bis drei Milliarden Mark.

Brandenburg mit Umwandlung zufrieden

Die Hälfte dieser Flächen befindet sich in Brandenburg und stellte früher acht Prozent des Landesterritoriums dar. Zum dem 10. Jahrestag zog die Landesregierung eine zufriedene Bilanz: Rund 50 Prozent des "Konversionspotentials" werde zivil genutzt. Die meisten der ehemaligen Garnisionsstädte seien heute "entmilitarisierte zivile Zentren". Allerdings stellten die WGT niemals einen solchen "Standortfaktor" dar wie die US-Truppen in Süddeutschland. Die russische Armee war in der DDR ein "Staat im Staate", die Einheiten versorgten sich weitgehend selbst. Ihr Abzug war politisch gewünscht.

Die Verbundenheit blieb

Den in Deutschland stationierten Russen blieb die Erinnerung an die Zeit in der DDR. Es gibt abertausende russische Staatsbürger mit deutschen Geburtsorten in den Pässen, in den Zeugnissen vieler Schüler stehen Adressen von sowjetischen Auslandsschulen. Die Truppen gingen, die menschliche Verbundenheit blieb. Wenn man heute in russischen Internet-Suchmaschinen die Abkürzung "WGT" eingibt, kommen ganz oben private Homepages.


Am häufigsten empfehlen sie die Seite ww.rechlin.narod.ru. Der Betreiber der Seite beschreibt darin seine Rückkehr in die Stadt Rechlin in Mecklenburg-Vorpommern. "Man sagt, man soll an Stätten zurückkehren, wo man einst jung und glücklich war", schreibt der Autor und fügt hinzu: " Doch ich habe es nicht bereut." Und im Forum schreibt ein ehedem in Wünsdorf stationierter Soldat: "Ich hoffe, dass die lange, von Blut und Soldatenschweiß getränkte Geschichte Wünsdorfs ins Bessere gewendet wird. Dieser brandenburgische Ort hat ein besseres, humaneres Schicksal verdient."

Diese Seiten bieten allen, die in deutschen Garnisonsstädten stationiert waren oder gelebt haben, eine Plattform, um sich wieder zu treffen oder Erinnerungen und Photos auszutauschen. Die "WGT-Community" lebt im Internet. Es ist eine Art Nostalgie-Gemeinschaft, aber ohne Bestrebungen, die Zeit zurückzudrehen. Ihre Berichte sind anrührend zu lesen. Die eisigen Spuren des Kalten Kriegs sind hier längst verweht.