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Zehn Lehren aus der Vorrunde

Jens Krepela23. Juni 2016

Sich freuen mit den Isländern, sich wundern über den Turniermodus, sich ärgern über prügelnde Fans - nach 36 EM-Spielen ist es Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Unser subjektiver Blick auf die Lehren der Vorrunde.

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UEFA EURO 2016 - Ungarn vs. Portugal *** Ungarn feiern mit Zuschauern
Bild: Reuters/K. Pfaffenbach

1. Mit Verlaub, der Modus ist Käse

Es sind drei einfache Fragen, die den ganzen Murks des Turniermodus dieser Euro aufzeigen: Wer ist ausgeschieden? Wer steht im Achtelfinale, und wer spielt da eigentlich gegen wen? Die Antworten sind so kompliziert, dass Fans kapitulieren und sogar Bundestrainer Joachim Löw rätseln lässt, "ich blicke da auch nicht ganz durch". So durfte sich die Mannschaft aus Albanien drei Tage lang vermeintlich im Achtelfinale wähnen, durfte trainieren und die Spannung hoch halten, um dann doch ausgeschieden zu sein. Stichwort Spannung: 36 Spiele sind notwendig, damit gerade mal acht Teams nach Hause fahren. Diese Vorrunde hatte mehr Gähnfaktor als Gänsehautmomente. Und zu guter Letzt sorgt das Format für einen kuriosen weiteren Turnierverlauf: Italien, Frankreich, England, Spanien und Deutschland treffen auf dem Weg ins Finale frühzeitig aufeinander. Auf der anderen Seite haben Teams Teams wie Ungarn, Schweiz, Wales oder Nordirland reale Chancen aufs Endspiel.

2. Klarer Favorit, anyone?

Wer sich einen Fingerzeig, eine erkennbare Formkurve von dieser Vorrunde erhofft hat, der wurde enttäuscht. Keiner der vermeintlichen Favoriten konnte restlos überzeugen. Bei Gastgeber Frankreich stach Newcomer Payet ins Auge, ansonsten blieb aber vieles Stückwerk. Titelverteidiger Spanien spielte gut organisiert, ließ aber bei der verdienten Niederlage gegen Kroatien jegliche Leidenschaft vermissen. Die deutsche Elf erledigte ihre Hausaufgaben von Spiel zu Spiel ordentlich, respekteinflößende Leistungen waren indes nicht dabei. Bei England war, wie gehabt, die Hoffnung größer als die Stabilität auf dem Platz. Das Talentensemble der Belgier wurde von uralten Italienern abgekocht. Die Squadra Azzurra ist ohnehin völlig unberechenbar.

3. Hoppla, schau Dir die Kleinen an!

Islands 2:1-Siegtreffer im letzten Gruppenspiel gegen Österreich gehört zu den magischen Momenten dieser Euro. Auch wer wie 99,9 Prozent der Weltbevölkerung kein Isländisch versteht, kann sich mit dem Reporter der EM-Exoten freuen.

Es war nicht damit zu rechnen, dass Island ungeschlagen ins Achtelfinale einzieht. Völliger Zufall ist es, auch nach der starken EM-Qualifikation, allerdings keineswegs. Noch größer auftrumpfen konnten die Waliser, als sie ihrem großen Nachbarn England kurzerhand den Gruppensieg wegschnappten. 52 Jahre nach der letzten EM-Teilnahme steht Ungarn wieder in einer k.o.-Runde, die tapferen Iren nach dem 1:0-Sieg über Italien gar zum ersten Mal.

4. Hauptsache hinten dicht

Logisch, wenn kleine limitierte Teams gegen spielstarke Mannschaften antreten. Logisch auch, wenn es um das Weiterkommen in einem Turnier geht. Das mag für Taktikfüchse schön sein. Für Fans und Reporter kommt das Rauschhafte (bis auf das 3:3 zwischen Ungarn und Portugal) deutlich zu kurz. Als Anschauungsbeispiel sei der erste Auftritt des Titelverteidigers Spanien bei der WM 2014 empfohlen.

5. Späte Tore

Auch das ist eine Folge des Klein gegen Groß. Die Abwehr im modernen Fußball funktioniert nur so lange gut, wie alle mitmachen. In der Fachsprache ausgedrückt verschieben bestens organisierte Abwehrverbände ballorientiert. Auf gut Deutsch bedeutet das: Sie laufen die meiste Zeit was das Zeug hält. Bei dieser EM zeigt sich: Wenn ihnen irgendwann die Puste ausgeht, dann klingelt es. Schweinsteiger, Payet oder Eder sagen danke!

6. Kaum Fehlentscheidungen

Natürlich gab es auch in den 36 Spielen mal einen zweifelhaften Elfmeter, mal blieb ein gelbwürdiges Foul ungesühnt. Im großen Ganzen aber passte das, was die Schiedsrichter abgeliefert haben. Das merkt man schlicht daran, dass über sie gar nicht geredet wird. Gut so!

7. Unauffällige Stars

"Cristiano Ronaldo wirft Mikrofon eines Reportes in einen See" – das war fast schon die dickste Schlagzeile des Kicker-Gockels bei dieser Euro. Naja gut, hinterher hat er auch noch zwei Tore gemacht. Aber sonst ist es recht still um Zlatan Ibrahimovic, Paul Pogba und Thomas Müller. Letzterer wollte noch nicht mal seine Oma grüßen.

8. Fußballfieber Fehlanzeige

Tausendfaches Nägelkauen, kollektive Extase - das ist es, was für viele das Salz in der EM-Suppe ausmacht. Bisher ist davon kaum etwas zu spüren.

Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Wie schon erwähnt ist das Vorrunden-Süppchen durch den EM-Modus deutlich dünner als gewohnt. Das defensive Gekicke ist nicht dazu angetan, zum mitreißenden Spektakel zu mutieren. Aber auch das Drumherum macht es schwierig, ein ausgelassenes Fußball-Fest zu feiern. Die Sicherheitsvorkehrungen in Frankreich aus Furcht vor islamistischem Terror sind streng und lassen so manchem die Feierlaune vergehen. Hinzu kam, dass es gewaltbereiten Idioten gelang, sich in Städten und sogar im Stadion zu prügeln, ungeachtet des großen Polizeiaufgebots.

9. Fangewalt nicht gebannt

Das ist die erschreckendste Erkenntnis dieser Vorrunde: Hooligan-Gewalt ist aktuell. Krawalle, wie in der Innenstadt von Marseille, mögen kaum zu verhindern sein. Die Szenen die sich danach aber im Stadion abgespielt haben, darf es nicht geben. Der glimpfliche Ausgang sollte Gastgeber Frankreich und die UEFA nicht davon abhalten, sich sehr kritisch zu hinterfragen.

10. Fangesang auf neuer Ebene

Viel schöner ist es doch, wenn Fans singen, anstatt sich zu hauen. In dieser Hinsicht eröffnet diese EM neue Horizonte. Ob die blaue Wand der Isländer raunt, tausende Nordiren mit ihrem Fan-Hit "Will Grigg's on Fire" das Stadion beschallen, oder sonst stimmgewaltige Iren ein Baby in den Schlaf singen ist fast egal. Das ist großartige Fankultur!