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Zeichen für rationalen Zionismus

Bettina Marx, Tel Aviv23. August 2005

Der Abzug der israelischen Siedler aus dem Gaza verlief überraschend problemlos. Ein gutes Zeichen - auch, wenn es einen lebensfähigen palästinensischen Staat wohl nicht so schnell geben wird, schreibt Bettina Marx.

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Das Kalkül von Israels Ministerpräsident Ariel Scharon ist aufgegangen: Die Evakuierung der Siedler aus dem Gaza-Streifen ist nach nur einer Woche abgeschlossen. Ohne Blutvergießen, aber mit vielen medienwirksamen Tränen wurden die 21 Siedlungen mit ihren 8000 Einwohnern geräumt, die ersten Häuser sind bereits zerstört worden. Nun muss nur noch die Armee abziehen, dann ist Israel den Gaza-Streifen los - jenes Stück Land, von dem Israels ermordeter Ministerpräsident Jitzchak Rabin wünschte, es möge im Meer versinken. Vielen weltlichen Israelis kam es wie ein Stachel im Fleisch der Nation vor.

Verteilte Rollen

Alle Beteiligten an dem vor der Weltöffentlichkeit inszenierten Drama spielten dabei die ihnen zugewiesenen Rollen: Die Siedler zeigten mit viel Schluchzen und Geschrei ihren Schmerz, sie brannten der Öffentlichkeit ihr Martyrium in die Seele. Die Sicherheitskräfte - Armee und Polizei - legten ein Mitgefühl an den Tag, das man bei der Auflösung linker Demonstrationen oder gar bei der Maßregelung palästinensischer Zivilisten noch nie gesehen hat. Die israelische Regierung zeigte ihre Entschlossenheit, gegen alle Widerstände die in der Knesset beschlossene und vom obersten Gericht abgesegnete Politik durchzusetzen.

Und auch die lokalen und internationalen Medien erfüllten erwartungsgemäß die ihnen zugedachte Aufgabe: Sie strahlten die Bilder und die Töne in die Welt aus. Sie zeigten die Tränen und die Verzweiflung, die Holocaust-Symbolik und die Trauer-Rituale. Sie übertrugen den Marsch der Siedler von Netzarim, der letzten geräumten Siedlung, die mit dem sieben-armigen Leuchter auf den Schultern aus ihrer Siedlung auszogen, wie die unterworfenen Juden auf dem Titusbogen in Rom in die Sklaverei gingen. Sie brannten damit das Trauma der Gaza-Siedler in das Bewusstsein Israels und der Weltöffentlichkeit.

Klare Botschaft

Die Botschaft all dieser Bilder ist klar: Israel kann nach der Räumung des Gazastreifens keinen nennenswerten weiteren Rückzug aus besetztem palästinensischem Gebiet verkraften. Die Siedlungsblocks im Westjordanland mit ihren rund 250.000 Kolonisten und vor allem die jüdischen Wohnviertel in Ostjerusalem mit weiteren 200.000 jüdischen Einwohnern dürfen und können nicht angerührt werden. Sie aber zerschneiden unwiderruflich das palästinensische Gebiet und machen damit einen lebensfähigen palästinensischen Staat auf alle Zeit unmöglich.

Sind die Bilder aus dem Nahen Osten also wieder wie so oft keine guten Signale für eine friedlichere Zukunft? Doch! Denn vielleicht wird ja dieser Rückzug eine Eigendynamik entfalten, die sein Urheber Ariel Scharon gar nicht wollte. Vielleicht kommt mit diesem ersten bislang unblutig und überraschend problemlos verlaufenen Abzug ein Ball ins Rollen, der nicht mehr aufhaltbar ist. Vielleicht bekommt die schweigende israelische Bevölkerungsmehrheit jetzt Appetit auf mehr, auf mehr Rückzug, auf mehr Normalität und auf mehr Stabilität.

Ende eines Traums

Der messianische Traum der Siedler ist vor den Augen der Weltöffentlichkeit zusammengebrochen. Zum ersten Mal seit dem Sechstage-Krieg von 1967 hat Israel besetztes palästinensisches Gebiet verlassen. Der Staat Israel ist damit von den Ansprüchen der national-religiösen Siedlerbewegung abgerückt, das ganze biblische Land Israel zu besiedeln und zu beherrschen und die dort lebenden Palästinenser zu unterjochen. 8000 jüdische Siedler sind nun heimgekehrt in den Staat Israel. Das ist ein gutes Zeichen und ein kleiner Sieg für den rationalen Zionismus. Für einen Zionismus, der für das jüdische Volk eine sichere Heimstatt in anerkannten Grenzen anstrebt.