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Zeitalter der "super-violence"

Werner Bloch12. September 2002

Steht die Welt erst den Anfängen eines ultra-gewalttätigen Terrorismus gegenüber? Der renommierteste Terrorismus-Forscher Walter Laqueur behauptet das.

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Biologischer Kampfstoff Anthrax unter dem MikroskopBild: AP

Laqueur hat die Terrorismusforschung Ende der sechziger Jahre begründet - und während sich die Zahl der sogenannten Experten seit dem 11. September wohl annähernd vertausendfacht hat, verfügt Laqueur über ein in Jahrzehnten erworbenes Wissen, das ihn zum gefragtesten Spezialisten auf diesem Gebiet macht. Walter Laqueur hat in den USA sein eigenes Forschungsinstitut, das Institute for Strategic Research, gegründet. Heute berät er Regierungen, Wirtschaft und Militärs.

Reaktion auf Ungerechtigkeit?

Laqueur ist streitbar. Ein unbequemer Denker, einer, der Klischees über den Haufen wirft. So glaubt er nicht, dass Terrorismus eine Reaktion auf soziale Ungerechtigkeit sei, auf das Elend in der Welt. Viele denken, wer Terrorismus bekämpfen wolle, müsse diese Ursachen beseitigen. Walter Laqueur hält diese These für widerlegt. Die Terroristen kämen eben nicht aus den benachteiligten Schichten der Bevölkerung, und was Fanatiker als ungerecht empfinden, das sei im höchsten Maße subjektiv. "In den 50 ärmsten Ländern der Erde gab es lange Zeit überhaupt keinen Terrorismus", meint Laqueur, "obwohl doch dort die Ungerechtigkeit besonders groß war."

"Viele haben gedacht, dass Terrorismus irgendetwas mit links zu tun hat. Das ist ein grundlegender Fehler." Terrorismus habe weder mit links noch mit rechts noch mit Mitte zu tun, sondern sei eine Strategie, die von allen möglichen Gruppen angewandt werden könne. Und die müssten gar nicht zwangsläufig politisch sein.

"Noch im Versuchsstadium"

Der Terrorismus hat sich entwickelt - hin zum Schlimmeren, zu immer größeren Verbrechen, meint Walter Laqueur. Früher waren Terrorakte zielgerichtet oder "symbolisch" - heute versuchen Terroristen, eine möglichst große Anzahl unschuldiger Menschen zu treffen, über die Opfermaximierung Eingang in die Medien zu finden. Inzwischen, so Laqueur, stehe die Welt vor dem Zeitalter der "super-violence". Biologische, chemische und atomare Waffen in den Händen von Terroristen beschwören apokalyptische Szenarien herauf. Selbstgebastelte ABC-Waffen seien zwar heute kaum denkbar, "aber die technologische Entwicklung schreitet fort."

Laqueur ist davon überzeugt, dass ein Anschlag mit Massenvernichtungswaffen bevorsteht. Was geschehen könne, werde auch früher oder später geschehen. "Die Frage ist wann und wo und von wem. Was bis jetzt geschehen ist, waren amateurhafte Versuche mit Anthrax. Das ist alles noch im Versuchsstadium." Aber die potentielle Gefahr sei groß. Laquere denkt dabei vor allem an biologische Waffen, also Viren und Bakterien. "Wenn man eine Epidemie startet, weiß niemand, wo die aufhören wird."

Keine allgemeinen Ratschläge

Was aber kann gegen den Terrorismus unternommen werden? Ist es möglich, wie die USA das versuchen, einen weltweiten Krieg gegen den Terror zu führen? Laqueur hält das für absurd. "Der Gedanke dass man den Terrorismus völlig vernichten kann, ist unsinnig. Mit Terrorismus werden wir leben müssen." Was also rät der Welt angesehenster Terrorismus-Experte? Er verweist immer wieder darauf, dass es "den" Terrorismus nicht gibt, dass jede einzelne Form von Terrorismus gesondert untersucht werden muss. Wenn mann einen allgemeinen Rat von ihm erwartet, dann lacht Laqueur. Ein bisschen belustigt. Ein bisschen verzweifelt. "Es ist, als würde man einen Arzt fragen, wie er einen Patienten behandeln würde, den er nie gesehen hat. Das geht nicht."