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Zeugnisse verteilt

Gerda Meuer 21. November 2001

Die europäische Kommission hat Zeugnisse verteilt. Und ihre Schüler können, mit Ausnahme eines einzigen, zufrieden sein. Gerda Meuer erklärt, warum.

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Durch die Bank gute Noten konnten zehn der Aspiranten auf einen Platz im Club der Europäischen Union mit nach Hause nehmen. Nur die Türkei ist sitzen geblieben und muss eine Ehrenrunde drehen: mit Ankara werden auch in diesem Jahr noch keine Verhandlungen aufgenommen. Selbst den beiden notorischen Nachzüglern Bulgarien und Rumänien attestiert der sogenante Fortschrittsbericht von Erweiterungskommissar Verheugen eine überraschend gute Entwicklung.

Eitel Freude überall, denn der Fahrplan der Erweiterung, um den so heftig und lange gerungen wurde, kann allem Anschein nach nun eingehalten werden. 2004 wird die Europäische Union vermutlich um zehn Staaten grösser sein. Doch blickt man hinter die guten Noten, so sind sie das Papier kaum wert auf dem sie stehen. Der überragende Musterschüler Zypern beispielsweise ist ein geteiltes Land, und die Türkei droht mit Annektion des Nordens der Insel sollte Zypern beitreten. Die EU-Kommission kennt das Problem natürlich, aber sie handelt nach der Devise: "Augen zu und durch!" Obwohl man eigentlich aus den bisherigen Erfahrungen mit Ankara gelernt haben sollte, dass dort niemand kompromissbereit in Machtfragen ist, besonders wenn auf anderen Baustellen weitere Konflikte mit der Europäischen Union bestehen.

Oder Polen. Überraschend aufgeholt hat das Land laut dem jüngsten Fortschrittsbericht, obwohl über heikle Punkte wie die Agrarwirtschaft noch gar nicht verhandelt wurde. Aber jeder Kenner der Brüsseler Szene weiss auch, eine erste Erweiterungsrunde ohne Polen wird es nicht geben - aus politischen Gründen, nicht weil man der Meinung ist, dass Warschau reif für den EU-Beitritt ist. Und wenn man die allgemeinen Bemerkungen der Zeugnisse liest, dann bekommt man sogar Zweifel, ob überhaupt eines der Länder zum Club der 15 gehören sollte: überall konstatiert der Bericht, herrsche Korruption. Dazu seien die Verwaltungen gar nicht in der Lage umzusetzen, was mit der EU ausgehandelt wurde. Und deshalb sind die guten Noten der Beitrittskandidaten noch längst kein Grund zum Jubel. Wie im richtigen Leben kommt es darauf an, was daraus gemacht wird.