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Pulver verschossen?

Rolf Wenkel17. Dezember 2008

Die US-Notenbank hat aus Furcht vor einer Verschärfung der Rezession die Leitzinsen auf einen historischen Tiefstand von faktisch Null Prozent gesenkt. Ob die Fed damit ihr Pulver verschossen hat, fragt sich Rolf Wenkel.

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Bild: DW
Grafik für Kommentar oder Fernschreiber-Kolumne, August 2004

An der New Yorker Wall Street hat die historische Entscheidung der amerikanischen Notenbank erst einmal ein Kursfeuerwerk ausgelöst, der Dow Jones Index ging mit einem Plus von über 350 Punkten oder 4,2 Prozent aus dem Handel. Doch diese Euphorie könnte schnell einer Ernüchterung, wenn nicht sogar einem erneuten Absturz weichen. Dann nämlich, wenn die amerikanischen Anleger realisieren, weshalb die Fed ihre bisherige Zinspolitik und alle Hemmungen über Bord geworfen hat.

Wer den Leitzins auf einen Korridor von Null bis ein Viertelprozent senkt, dem steht das Wasser bis zum Hals. Der amerikanischen Wirtschaft droht ein Abgleiten in eine deflationäre Krise, der private Konsum, die Investitionen und die Industrieproduktion sind seit Monaten rückläufig, es droht die schlimmste Depression seit 80 Jahren. Da ist es nur richtig, Geld für Kredite und Investitionen so billig wie möglich zu machen, zumal die Notenbank wegen der sinkenden Nachfrage, sinkender Rohstoff- und Energiepreise keine Rücksicht auf Inflationsgefahren mehr nehmen muss.

Die Frage ist allerdings, was die Fed eigentlich machen will, wenn diese Verzweiflungstat nicht ausreicht. Ihr Pulver hat sie nämlich mit diesem Schritt so gut wie vollständig verschossen. Unter Null kann man schlecht gehen. Und dass die amerikanische Notenbank offenbar ihrer eigenen Geldpolitik nicht mehr viel Wirkung zutraut, kann man auch an anderen Indizien ablesen. Sie pumpt nicht nur seit Monaten Liquidität in den Markt, sondern betätigt quasi die Gelddruckmaschine. Früher mussten sich nämlich Banken gegen Hinterlegung von erstklassigen Wertpapieren Geld von der Notenbank besorgen – heute gilt das nicht mehr. Die Fed ist mittlerweile auch bereit, zweifelhafte Schuldtitel, Schrotthypotheken und langfristige Staatsanleihen anzukaufen – Hauptsache, der Kreditmarkt trocknet nicht aus.

Drohen der größten Volkswirtschaft jetzt japanische Verhältnisse? Die japanische Notenbank, daran sei erinnert, hat fast ein Jahrzehnt lang eine Nullzinspolitik betrieben. Allerdings hat die japanische Wirtschaft auch ein Jahrzehnt gebraucht, um sich zu erholen. Wenn die größte Volkswirtschaft der Welt, einst Motor der Weltkonjunktur, jetzt ebenfalls zehn Jahre braucht, um sich zu erholen, dann sieht es ziemlich düster aus.

Ohnehin ist schwer nachzuvollziehen, weshalb das Mittel, das die globale Finanzkrise erst ermöglicht hat, nun das Mittel zur Rettung sein soll, nämlich fast unbegrenzt Liquidität in die Märkte zu pumpen. Dieses Mittel nach den Terroranschlägen vom 11. September anzuwenden war gut und richtig und hat die USA vor einer längeren Rezession bewahrt. Nur hat es die Fed seinerzeit versäumt, rechtzeitig die Zügel wieder anzuziehen. Gerade die überschüssige Liquidität hat die Banken dazu verführt, Geringverdienern Hypothekenkredite für den Hausbau aufzuschwatzen und immer neue, abstraktere und risikoreichere Finanzprodukte zu erfinden, was letztlich die Krise heraufbeschworen hat. Dass nun das gleiche Mittel, nämlich praktisch unbegrenzte Liquidität in die Märkte zu pumpen, aus der Krise führen soll, ist zwar richtig, aber für Laien kaum noch nachvollziehbar.

Für die Europäer und den Rest der Welt bleibt immerhin eine Hoffnung. Nämlich dass bei den Amerikanern durch die Krise die Einsicht wächst, dass sich Wachstum und Wohlstand nicht ewig auf Pump finanzieren lassen. Denn wer sein Volk zu einen Lebensstil à la "buy now, pay later" erzieht, wer seinen Anlegern weismachen will, es ließen sich durch ehrliche Arbeit dauerhaft Renditen von 25 Prozent und mehr erzielen, der handelt nicht viel seriöser als der Hütchenspieler, der in der Einkaufspassage um die Ecke arglose Touristen betrügt.