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Zoe Wees - Shootingstar aus Hamburg

Julia Hitz
12. Dezember 2021

Mit "Control" eroberte die 20-jährige Zoe Wees die internationalen Charts. Sie gehört zu einer neuen Generation von Popstars, die für Authentizität stehen.

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USA | Sängerin Zoe Wees
Bild: AUDE GUERRUCCI/REUTERS

Sie war 14 Jahre alt, als ein Musiklehrer ihr Talent erkannte. Nur fünf Jahre später hat Zoe Wees sich international einen Namen gemacht. Ihre Debütsingle "Control" erreichte in mehreren Ländern Goldstatus, unter anderem in den USA. Mit "Girls Like Us" legte die junge Sängerin 2021 einen respektablen zweiten Hit nach. Ihr Debütalbum "Golden Wings" erschien im Mai 2021 beim amerikanischen Major Label "Capitol Records", bei dem auch die US-amerikanische Sängerin Katy Perry unter Vertrag steht.

Zoe Wees ist ein Phänomen, besonders wo das deutsche Popgeschäft die internationalen Erfolge in jüngster Zeit eher mit leichtfüßigen Elektrobeats gefeiert hat als mit souligen Balladen.

Keine Liebeslieder, bitte

Lieder begann Zoe schon früh zu schreiben, sie singt zu Hause am Klavier. Für sie wird es zu einer Form von Therapie, wie sie sagt: "Ich habe durch das Songschreiben gelernt, mich mehr zu akzeptieren, so wie ich bin." Dabei folgt sie klaren Prinzipien: "Ehrlichkeit ist beim Songschreiben das Allerwichtigste", findet Zoe.

Lovesongs interessieren sie nicht, da ist sie kategorisch, und bleibt auch bei ihren nächsten selbst geschriebenen Songs konsequent: "Ghost" handelt von Verunsicherung, in "Hold Me Like You Used To" verarbeitet sie den Verlust ihrer geliebten Urgroßmutter, bei "Girls Like Us" geht es um verletztes Vertrauen und beim neuesten Song "That's How It Goes" um falsche Freunde. Ihre Offenheit und Verletzlichkeit findet hohe Resonanz - auch über die Generation Z hinaus.

Zoe Wees steht in der Linie einer neuen Generation von Popstars wie Billie Eilish, die quasi behütet aus ihrem Kinderzimmer heraus mit schwierigen Themen und einzigartigen Stimmen das Business aufmischen. Auch Zoes Stimme hat einen sehr eigenen Charakter: eine tiefe emotionale, fast brüchige Klangfarbe. Doch immer wieder kommt auch eine junge Stimme zum Vorschein - rein, verletzlich, fast kindlich. Beide Aspekte machen sowohl die Stimme als auch die Person Zoe Wees besonders: ihre authentische Emotionalität und ihre Bereitschaft, ihr Innerstes preis zu geben.

Schwierige Kindheit mit Epilepsie

Mit Schmerz und schwierigen Gefühlen kennt sich Zoe Wees trotz ihres jungen Alters aus. 2002 in Hamburg geboren, zog ihre Mutter sie alleine in Hamburg-Dulsberg auf, einem der ärmeren Viertel der norddeutschen Metropole. Ihr Vater, der aus Jamaika stammt, spielt in ihrem Leben keine Rolle.

Sängerin Zoe Wees steht hinter einem Mikrophon auf der Bühne in der Elbphilharmonie Hamburg
Zoe Wees Anfang November in der Elbphilharmonie in Hamburg Bild: Christian Charisius/dpa/picture alliance

Mit neun Jahren entwickelt das Mädchen Rolando-Epilepsie, die Krampfanfälle machen ihre Schulzeit zum Spießrutenlauf, immer auf der Hut vor dem Kontrollverlust über den eigenen Körper. Darüber singt sie in ihrem Hit "Control", der ihrer Lehrerin gewidmet ist, die sie schützt und stärkt. Vor Ausgrenzungen der Mitschüler kann sie sie allerdings nicht schützen - Inklusionsschule hin oder her. "Meine Kindheit war doof und meine Jugend auch", fasst Zoe Wees bei einem TV-Auftritt in der Jugend-Musiksendung "Das Ding" 2020 ihre Schulzeit zusammen.

Bestärkung im richtigen Moment 

Eine Neuausrichtung bot ihr damals besagter Musiklehrer Nils Bodenstedt, der heute ihr Manager ist. Er war von ihrem Talent überzeugt, ließ Schulpläne umschreiben, damit sie Raum hatte für Gesangsunterricht. Außerdem stellte er sie befreundeten Musikproduzenten vor. "Das war eines der besten Dinge, die mir passiert sind, dass Nils so an mich geglaubt hat", sagt Zoe Wees im Interview. 

Der erste große Schritt in die Öffentlichkeit ist die Teilnahme beim Casting von "The Voice Kids Germany": Zoe kommt weiter, scheidet dann aus. Gast-Juror Ed Sheeran zeigt sich von dem jungen Mädchen begeistert, spricht ihr zu. Es sind entscheidende Bestärkungen in entscheidenden Momenten.

"Da waren die richtigen Personen, am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt, im positivsten Sinne", sagt Professor Udo Dahmen von der Deutschen Popakademie, der aber durchaus glaubt, dass es solche Karrieren in Zukunft häufiger geben könnte. "Gezielte Förderung aus den Schulen heraus wird wichtiger. Der Lehrer von Zoe gehört da einer neuen Generation von Ermöglichern an, die ein hohes Bewusstsein und Sensibilität dafür hat, was eine solch junge Künstlerin zur Entfaltung braucht." Da gebe es in Deutschland insgesamt durchaus noch Nachholbedarf.

Karriere in Zeiten der Pandemie

Zoe fängt an, an eine Musikkarriere zu glauben, übt, bereitet sich vor, beginnt Songs zu schreiben, veröffentlicht Coverversionen von Jessie J und Lewis Capaldi auf Tik Tok und Instagram. Die Fans werden mehr, die Qualität auch. Zoe wird von einem engen, familiären Team begleitet, ihre Mutter unterstützt sie voll und ganz. "Du brauchst ein Team. Das muss sich wie eine Familie anfühlen. Du musst denen vertrauen können", sagt Zoe Wees. Den Nachnamen legt sie sich als Künstlernamen zu, klingt international und auch gut auf Englisch.

Gleich aus ihrer erster Songwriting-Session mit kleinem Team geht "Control" hervor. Im März 2020 veröffentlicht, wird der Song ein Ohrwurm der Pandemie, ein Riesenerfolg. Eine Karriere im Schatten von Corona bedeutet aber, dass Live-Auftritte vor Publikum erst danach kommen. Zoe Wees erstes Konzert muss bis zum Sommer 2021 warten. Doch TV und Konzertveranstalter rüsten um, und Zoe kommt auch ohne physische Anwesenheit im US-Geschäft an, wird bei James Corden etwa aus Hamburg zugeschaltet, später ist sie bei Jimmy Fallon endlich live im Studio.

Fremdeln mit Deutschland

"Herkunft", "Vater" und "Eltern" gehören zu den meist gegoogelten Suchanfragen zu der jungen Sängerin. Scheinbar identifizieren sich Deutsche lieber mit der blonden, russlandstämmigen Helene Fischer als mit der schwarzen Hamburgerin Zoe Wees. Auch wenn ihr Englisch akzentfrei daher kommt: Zoe Wees ist komplett in Hamburg aufgewachsen. Diese unterschwellige Markierung als nicht zugehörig, weil schwarz, die viele Afrodeutsche - darunter die Antirassismus-Expertin Tupoka Ogette, die Journalistin Alice Hasters und die Kommunikationswissenschaftlerin Natasha A. Kelly - in den letzten Jahren wiederholt adressiert und kritisiert haben, dürfte Teil des Fremdelns von Zoe Wees mit Deutschland sein.

Sängerin Zoe Wees singt auf Bühne
Zoe Wees live bei den American Music Awards im November 2021 in L.A.Bild: Kevin Winter/MRC/Getty Images

Ihre Karriere hat sie von Anfang an am internationalen Markt orientiert, auf Deutsch zu singen kam für sie nie in Frage. Im Spätsommer 2021 ist sie nach London umgesiedelt, im Herbst hatte sie mehrere Auftritte in den Vereinigten Staaten, der Traum ist L.A. Vielleicht gibt ihr das den genau richtigen Raum und Abstand für kreative Entfaltung. Und vielleicht birgt die Auseinandersetzung mit dem alten Zuhause ja mal Stoff für einen neuen Zoe Wees-Song.

Eigenwilliges Role Model

"Es gibt da so einen Standard-Look bei vielen Popstars, und natürlich habe ich da auch Druck gespürt", reflektierte Zoe Wees kürzlich in einem Interview mit dem britischen Lifestyle-Magazin "Hunger". "Aber jetzt ist das nicht mehr so. Ich habe meinen Stil gefunden", so Wees. Der erinnert an Missy Elliot: weite Klamotten, lange Fingernägel, bunte, lange Braids. Ein Kontrapunkt zu der Hypersexualisierung von weiblichen Künstlerinnen, die auch im deutschen Popbusiness noch allzu häufig ist.

Auch dafür wird Zoe Wees von ihren Fans, aber auch von ungläubigen deutschen Fashion-Magazinen als "role model" gefeiert. Darauf angesprochen, weist die junge Frau diese Zuschreibung 2020 im Gespräch mit der deutschen Klatschzeitschrift "Bunte" postwendend zurück. "Ich möchte auch Fehler machen dürfen. Das Wichtigste für mich ist, authentisch zu bleiben und die Menschen mit meiner Musik zu berühren." Dass Zoe Wees diese Aussage verkörpert und ihr mit ihrer prägnanten Stimme Kraft verleiht, ist eine gute Grundlage für eine vielversprechende Karriere, die erst am Anfang steht.