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Zossen und der Kampf gegen Rechts

31. Oktober 2011

Neonazi-Aufmärsche und rechtsextreme Graffitis haben der Kleinstadt Zossen einen schlechten Ruf verpasst. Die Bürger der Stadt sind sich einig, dass sie den Extremismus bekämpfen müssen - aber sie wissen nicht wie.

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Rechtsextreme Graffitis in Zossen (Foto: DW)
Rechtsextreme Graffitis verschandeln ZossenBild: DW

Swen Kölbachs schwarzes T-Shirt ist halb versteckt unter seiner dicken Bomberjacke. Er öffnet sie ungeniert, um die Aufschrift zu zeigen: "Proud to be a skin". Nein, versichert der Skinhead, dessen Haare raspelkurz geschoren sind, seine Stadt habe kein wirkliches Problem mit Rechtsextremismus. Swen sagt, er sei unpolitisch: weder rechts noch links. Er kennt sich aus in Zossen, denn der Skinhead lebt schon sein ganzes Leben in der ostdeutschen Kleinstadt in Brandenburg. In den gut 45 Jahren hat er große Veränderungen erlebt.

Auf die deutsche Widervereinigung 1990 folgten schwere Zeiten: Hohe Arbeitslosigkeit und das Gefühl, vom Westen vergessen, sogar verachtet zu werden, führten dazu, dass viele Menschen sich von rechtextremistischen Ideologien aufgefangen fühlten. Heute ist die Stadt ein Potpourri von bunten Häusern: Der Aufschwung, genährt von Investoren aus dem nahen Berlin und staatlichen Konjunkturprogrammen, hat die Stadt verändert. Nur vereinzelte, bröckelnd graue Gebäude erinnern an die schweren Zeiten, als Jobs und junge Menschen aus Zossen abwanderten. Sie passen nicht in das Bild einer erfolgreichen Kleinstadt.

Doch auch der wirtschaftliche Aufschwung hat den Rechtsextremismus nicht gänzlich ausgelöscht. Zwei Männer, Anfang zwanzig, sitzen auf einer Bank in der kühlen Herbstsonne und essen Kebabs. "Klar haben wir an den Neonazi-Aufmärschen teilgenommen", erklärt einer, den Mund noch voller Dönerfleisch.

"Zossen Zeigt Gesicht"

Jörg Wanke, Sprecher der Bürgerinitiative Zossen Zeigt Gesicht (Foto: DW)
Im unermüdlichen Kampf gegen Rechts: Jörg WankeBild: DW

Jörg Wanke erinnert sich noch allzu gut an die Aufmärsche. Er ist der Sprecher der Bürgerinitiative "Zossen Zeigt Gesicht". Die etwa fünfzig Mitglieder wollen Gesicht gegen Rechtsextremismus zeigen. "Ende 2008, Anfang 2009 sind die mit Fackeln und Sprechchören skandierend durch Zossen marschiert", sagt Wanke. "Und dann gab es immer wieder kleinere Aktionen: Hakenkreuze und rechte Parolen wurden an Wände geschmiert und ein Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus beschädigt." Wanke erhielt Morddrohungen. Letztes Jahr wurde das Haus der Demokratie, der Treffpunkt der Bürgerinitiative, niedergebrannt.

Jörg Wanke und seine Mitstreiter sind nicht bei allen in der Stadt beliebt. "Mir wurde gerade zuletzt wieder von einem Immobilienmakler vorgeworfen, er könne seine Häuser nicht verkaufen: Investoren scheuen sich nach Zossen zu kommen, weil die Stadt einen schlechten Ruf hat", sagt Wanke.

Ihm ist klar, dass er in der Stadt als Nestbeschmutzer gilt. "Aber es muss doch etwas getan werden." Wankes Sohn wurde als Teenager von Mitschülern angegriffen: "Die haben ihn mit einem Sturmfeuerzeug den Nacken verbrannt, nur weil er etwas dunklere Haut hat." Seitdem hat der Kampf gegen Rechts für Wanke, der vor gut 20 Jahren aus beruflichen Gründen nach Zossen zog, einen sehr persönliches Thema.

Der moderne Rechtsextremismus

Marktplatz in Zossen (Foto: DW)
Blühende Landschaften: In Zossen gibt es nur sieben Prozent ArbeitslosigkeitBild: DW

"Die Leute von der Initiative, die sind doch gar nicht von hier, haben keine Ahnung und wollen uns was vorschreiben." Viele Menschen denken wie Swen Kölbach, der unpolitische Skinhead: Es muss etwas gegen Rechtsextremismus getan werden, aber ohne dabei dem Ruf der Stadt zu schaden.

Das Mobile Beratungsteam (MBT) versucht zwischen der Bürgerinitiative und den Bürgern von Zossen zu vermitteln. Das MBT wird vom Land Brandenburg finanziert und soll Gemeinden und Politikern helfen, Demokratie zu vermitteln und eigene Konzepte gegen Extremismus zu entwickeln.

Jan Kassiske arbeitet für das MBT, unter anderem auch in Zossen. Er glaubt, dass viele Menschen nicht nur wegen der Ideologie rechten Gruppierungen beitreten. "Heute wollen viele Menschen einfach Teil einer Gruppe sein", sagt der Sozialarbeiter. "Die rechten Gruppen haben sehr gute Internetplattformen und auch die rechte Rockmusik ist äußerst attraktiv für junge Menschen." Dieser internetaffine, moderne Rechtsextremismus sei sehr gefährlich für die Demokratie.

Die Bürgerinitiative "Zossen Zeigt Gesicht" hat mittlerweile einen neuen Standort für das Haus der Demokratie gefunden – direkt gegenüber der Feuerwehr. Doch es könnte lange dauern, bis das Haus bezogen wird: Denn im Rathaus wurde ein Veto gegen den Bau eingelegt.

Wirtschaftlicher Aufschwung gegen Extremismus

Bürgermeisterin Michaela Schreiber (Foto: Stadt Zossen)
Michaela Schreiber favorisiert den leisen WiderstandBild: Stadt Zossen

Michaela Schreiber ist seit 2003 Bürgermeisterin von Zossen. Im September wurde sie wiedergewählt. Ihr Büro im Rathaus überblickt die kleine Innenstadt, in der polnische und pakistanische Händler Gemüse und Kleidung verkaufen. Michaela Schreiber wuchs in Zossen aus, zog dann zum Studium nach Rheinland-Pfalz. Sie kehrte nach dem Studium in ihre Heimatstadt zurück: "Ich hatte einfach zu viel Heimweh", erzählt sie lächelnd.

Auf das Thema Rechtsextremismus angesprochen, verschwindet ihr Lächeln schlagartig. Sie gibt zu, dass es in der Stadt Rechtsextreme gibt. Aber: "Wir leben in einer Kleinstadt. Hier kennt jeder die Handvoll von organisierten Rechtsextremen." Sie glaubt, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus vor allem durch wirtschaftlichen Aufschwung geschehen muss. Die Arbeitslosigkeit in Zossen beträgt etwa sieben Prozent – im Vergleich zu anderen Kommunen ist das wenig. Die Bürgermeisterin hat mehr Sozialarbeiter eingestellt.

Michaela Schreiber ist überzeugt, dass das Problem von der Bürgerinitiative und den Medien übertreiben wird: "Wir sind eine ganz normale Kommune, nicht besser, aber auch nicht schlechter als andere Kommunen im Landkreis. Wir sind aber auf keinen Fall die verteufelte Rechtsextremistenburg", sagt sie wütend – und etwas resigniert. Ein schlechter Ruf verscheuche Investoren – und ziehe Rechts- und auch Links-Extreme erst an. "Die kommen doch alle von außerhalb."

So etwa der Brandstifter des Hauses der Demokratie. "Das war ein Teenager, der nicht einmal aus Zossen kommt", sagt sie. Der Junge sei außerdem geistig behindert gewesen.

Schwierige Atmosphäre

Jan Kassiske glaubt, dass die Bürgermeisterin viel für den Kampf gegen Extremismus getan habe, obwohl ihre Methoden sich nicht immer mit denen der Bürgerinitiative deckten. "Die Bürgerinitiative ist mehr basisdemokratisch organisiert, während die Bürgermeisterin über die bürokratische Schiene geht. Da stoßen zwei unterschiedliche Sichtweisen aufeinander und es kommt zum Konflikt", sagt Kassiske. Die beiden Seiten verwendeten mehr Energie darauf, sich anzufeinden als gegen Rechts vorzugehen.

Kassiske fürchtet, dass Rechtsextreme die festgefahrene Situation ausnutzen könnten. "Die rechtsextreme Szene ist äußerst mobil", erklärt er. "Die bewegen sich einfach dorthin, wo es weniger Widerstand gegen sie gibt." So hätten sich bereits in der Nachbargemeinde freie Kräfte, also lose organisierte Rechtsextreme, zusammen gefunden. Letztlich komme es darauf an, betont Kassiske, dass Gemeinden Rechtsextremen zeigten, dass sie nicht willkommen seien.

Besser als nichts

Das tut Zossen bereits: Es ist äußerst schwierig, einen Treffpunkt für ein Interview mit einem NDP-Mitglied zu finden. Sven Haverland, der Kreis-Vorsitzende der rechtsextremen Partei, beschwert sich, dass Wirte ihre Restaurants und Kneipen seinen etwa vierzig Parteimitgliedern versperren. Das Interview findet schließlich in einer verstaubten Kunsthalle an einem wackeligen Plastiktisch statt, an den Wänden hängen vergilbte Plakate aus den 1930er Jahren, auf denen Badende an der Ostsee zu sehen sind.

Trotzdem gibt sich Sven Haverland optimistisch: "Wir haben die Erfahrung gemacht: je stärker Initiativen gegen uns werden, desto größer ist auch unser Zulauf - spätestens bei der nächsten Wahl."

Auf die Frage, ob seine Bürgerinitiative vielleicht mehr Schaden anrichte, antwortet Jörg Wanke ohne zu zögern: "Nichts zu tun, ist viel gefährlicher."

Autor: Naomi Conrad, Adi Halfon

Redaktion: Arne Lichtenberg