1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Süßes Gift

Rolf Wenkel18. Dezember 2008

Der Ölpreis ist trotz der von der OPEC beschlossenen Produktionskürzung weiter gefallen. Was wie eine gute Nachricht klingt, hat einen gewaltigen Pferdefuss, wie Rolf Wenkel meint.

https://p.dw.com/p/GIV0
Themenbild Kommentar
Bild: DW

Stell Dir vor, die OPEC kürzt die Förderung, und der Ölpreis sinkt trotzdem weiter. Eine gute Nachricht für Autofahrer, Fluggesellschaften, die Industrie, die Haushalte, die im Winter ihre Heizöltanks befüllen müssen, kurz: für die gesamte Wirtschaft. Eine gute Nachricht - oder doch nicht?

Rolf Wenkel

Zunächst einmal ist der sinkende Ölpreis das Ergebnis sinkender Nachfrage, und die ist wiederum Ausdruck einer weltweiten Rezession. Hier ist die Welt noch in Ordnung, hier funktioniert der Markt. Ein fallender Ölpreis wirkt wie ein automatischer Stabilisator, der die Rezession abmildert: Wenn schon weltweit Konsum und Investitionen einbrechen, dann kommt wenigstens etwas Entlastung von der Kostenseite in Form einer billigeren Rechnung für Energie.

Mehr noch: Niedrige Energiepreise mildern die Inflation und ermöglichen es den Notenbanken, mit Zinssenkungen den Kampf gegen die Finanzkrise aufzunehmen, ohne ihr Ziel einer stabilen Währung aufzugeben. Insofern ist ein niedriger Ölpreis schon eine gute Nachricht.

Keim für die nächste Preis-Explosion

Andererseits birgt ein zu billiger Ölpreis mehr Gefahren als er Segen bringt. Nicht umsonst sieht die OPEC den momentan angemessenen Ölpreis irgendwo zwischen 75 und 80 Dollar pro Fass. Doch davon sind die Ölmärkte mit einem Preis von knapp 40 Dollar weit entfernt. Das bringt den Ölförderländern zunähst einmal drastische Einnahmeverluste, die sie dringend für ihre Entwicklung brauchen. Und, schlimmer noch: Es legt den Keim aus für die nächste Preis-Explosion.

Jährlich versiegen etwa sechs Prozent der weltweit bekannten Ölquellen. Es müssten also jedes Jahr hunderte von Millionen Dollar zur Exploration neuer Ölquellen ausgegeben werden - also für die Erschließung und für die Infrastruktur zur Förderung und zum Transport des Öls. Doch diese Investitionen unterbleiben zurzeit, weil die Einnahmen aus der gegenwärtigen Förderung für solche Investitionen nicht ausreichen.

Ein süßes Gift

Damit ist klar, was passieren wird, wenn die Weltwirtschaft sich irgendwann einmal aus ihrer Rezession löst und der Hunger nach Energie wieder steigt: Das Angebot kann mit der wachsenden Nachfrage nicht Schritt halten, der Preis steigt, was wiederum Spekulanten anlockt, die mit weiter steigenden Preisen rechnen, und schon bald könnte die Welt den Zeiten des Sommers 2008 nachtrauern, als das Fass Rohöl nur 147 Dollar kostete.

Auch in anderer Hinsicht ist ein zu niedriger Ölpreis ein süßes Gift. Er macht nämlich Investitionen in die Erforschung und Förderung nachhaltiger, erneuerbarer Energieformen weniger wirtschaftlich. Der Anreiz, sich möglichst schnell von endlichen, klimaschädlichen, fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas unabhängig zu machen, der Anreiz, Energie zu sparen und effizientere Produktionsverfahren zu entwickeln, nimmt in dem Maße ab, wie der Ölpreis verfällt. Damit werden sämtliche Bemühungen konterkariert, eine nachhaltige, klimafreundliche Politik zu betreiben und zu fördern. Und auch das wird sich schon bald rächen.

Ein fairer Preis ist nötig

Man sieht: Zu billig ist auch nicht gut. Ein fairer und ausgewogener Ölpreis müsste wahrscheinlich tatsächlich irgendwo zwischen 70 und 80 Dollar liegen, wie ihn die OPEC anstrebt. Das böte beiden Seiten die Chance, künftige Übertreibungen zu verhindern. Die Förderländer könnten sich für den nächsten Aufschwung und eine steigende Nachfrage rüsten, und die Industrieländer würden weiterhin den Druck verspüren, sich auf die Zeiten nach dem Öl vorzubereiten.

Übrigens: Vor ziemlich genau einem Jahr, am 2. Januar 2008, ging ein Aufschrei um die Welt: Der Preis für ein Fass Rohöl hatte erstmals die 100-Dollar-Marke durchbrochen. Doch keine Sorge: Diese Zeiten werden wieder kommen. Und das ist gar nicht mal schlecht, ja sogar nötig, wenn wir den Kampf gegen die Klimakatastrophe ernst nehmen wollen.