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Zu Gast in Merkels Heimatstadt

Kyle James17. August 2005

Über Angela Merkels ostdeutsche Wurzeln ist viel geredet und geschrieben worden, doch in der Gegend, in der sie aufgewachsen ist, hat sie keinen Heimvorteil.

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Idyllischer Ort: Marktplatz von TemplinBild: dpa

Entlang der Hauptstraße der Kleinstadt Crawford in Texas, wo US-Präsident George W. Bush seine Ranch hat, findet man nur eine Handvoll kleiner Geschäfte, aber mindestens drei davon sind Souvenirläden. Sie bieten eine Fülle an Bush-Accessoires an, von Tellern und Kaffeetassen mit dem Portrait des Präsidenten bis hin zu Autoaufklebern und Chiligewürz mit Bush-Motto.

Kaum Merkel-Spuren

Aber in Templin, der deutschen Kleinstadt nördlich von Berlin, in der Angela Merkel aufgewachsen ist, können sich Besucher glücklich schätzen, wenn sie überhaupt etwas über Angela Merkel finden. Letzte Woche war das einzige Wahlplakat auf dem kleinen malerischen Marktplatz der Stadt für einen Kandidaten der Partei, die sie schlagen möchte – die Sozialdemokraten.

Buchcover: Boysen - Angela Merkel
Buchcover: Jacqueline Boysen - Angela Merkel

In der Buchhandlung am Platz musste der Besitzer erstmal suchen, um Angela Merkels viel zitierte Biographie oder überhaupt irgendein Buch über sie zu finden. Schließlich fand er eins, versteckt unterm Ladentisch. "Wir hätten mehr davon im Lager, wenn sie sich verkaufen würden", sagt Ladenbesitzer Gerd Pistorius. "Das ist eben kein Harry Potter."

Wenn man durch die 18.000 Seelen-Stadt läuft, könnte man ohne weiteres die Tatsache übersehen, dass Merkel, die am 18. September Geschichte schreiben könnte, indem sie Deutschlands erste Kanzlerin wird, die ersten Jahrzehnte ihres Lebens hier verbracht hat. Zwar löst das einheimische Mädel, das an die Spitze aufgestiegen ist, auch einigen Stolz aus, jedoch wird ihre Partei in ihrem eigenen Hinterhof wohl kaum gewinnen können, obwohl die CDU landesweit mit dreizehn Prozentpunkten vor der SPD führt.

"Ich lehne sie völlig ab, auch wenn sie von hier kommt", sagt eine Frau, die mit ihren Freundinnen spazieren geht. Ihr Name ist Gerda und sie ist um die 75 Jahre alt.

Templin - Panorama
Templin (Brandenburg): Diese idyllische Wasserwanderstrecke zwischen Feldberg und Himmelpfort gehört zum Naturpark Uckermärkische Seen.Bild: dpa

Angela Merkel kommt eigentlich aus Westdeutschland, denn sie wurde 1954 in Hamburg geboren. Aber nur wenige Monate nach ihrer Geburt zog ihr Vater mit der Familie nach Ostdeutschland, wo er eine Stelle als Pfarrer annahm. 1957 zog die Familie nach Templin, wo Angela Dorothea Kasner lebte und zur Schule ging, bis sie 1973 an die Universität von Leipzig ging.

Hat sie dem Osten den Rücken gekehrt?

In den deutschen Medien wurden Angela Merkels ostdeutsche Wurzeln hochgespielt. Aber für viele in Templin hat Angela Merkel dem Osten den Rücken gekehrt, indem sie der CDU beigetreten ist, einer Partei, die als von reichen, westdeutschen Männern bestimmt gilt. "Sie hat vergessen, wo sie herkommt", sagt Gerda.

Desillusioniert von Jahren der wirtschaftlichen Stagnation (die Region hat keine nennenswerte Industrie und die Arbeitslosenrate liegt bei rund 25 Prozent), ist Angela Merkel für viele nur eine weitere Politikerin von einer Partei, die den Osten als einen hoffnungslosen Fall ansieht und die vermutlich nichts tun können wird, um Ostdeutschland aus seiner chronischen Depression herauszuholen.

Bush in Deutschland bei Angela Merkel
Viele Ostdeutsche kritisieren Merkels Solidarität mit Bush während des Irakkrieges.Bild: dpa - Bildfunk

"Ich könnte mir vorstellen, dass die Menschen in Templin einen anderen Kanzlerkandidaten bevorzugen würden", sagt Ulrich Schöneich, Templins Bürgermeister und Mitglied einer kleinen linken Partei. Er glaubt nicht, dass ein relativer Politikneuling – Merkel wurde erst kurz nach dem Fall der Berliner Mauer politisch aktiv – Antworten auf die ostdeutschen Probleme haben könnte. Auch ihre Unterstützung für George W. Bush hat den Verdacht der Einheimischen erregt. "Sie ist nicht meine Traumwahl", sagt Schöneich.

Touristenmagnet?

Merkels Kandidatur könnte dem kleinen Fremdenverkehrsamt in Templin, angeschmiegt an die aus dem 14. Jahrhundert erhaltene Stadtmauer, wie ein wahr gewordener Traum erscheinen. Tourismus ist einer der wenigen potenziellen Wachstumsfaktoren für die Stadt. Nachdem Merkel in Deutschland immer bekannter geworden ist, sind mehr Touristen gekommen, die nach den Stationen ihres Lebens fragen, wie zum Beispiel der örtlichen Schule, die sie besucht hat.

"Wenn die Nachfrage wirklich da sein sollte, machen wir vielleicht etwas", sagt die Direktorin des Fremdenverkehrsamtes, Sabine Hertrich, mit wenig Enthusiasmus in der Stimme. Danach gefragt, was sie über die Person denkt, die am ehesten in Frage käme für die Rolle der berühmtesten Tochter der Stadt, macht sie eine Pause, bevor sie trocken sagt: "Ich habe sie einmal auf einer Neueröffnung getroffen. Sie ist eine nette Frau."

Templin - Panorama
Ein bauhistorisches Juwel im brandenburgischen Templin ist die Stadtmauer aus dem 13./14. Jahrhundert.Bild: dpa

Laut Joachim Löwe, der dem CDU Ortsverband vorsteht, hat dieser Unwille, Merkel zu akzeptieren, weniger mit persönlicher Abneigung als mit Nichtvertrautsein zu tun. Sie hat seit den späten 1970er Jahren nicht mehr in der Stadt gelebt, kam nur für gelegentliche Wochenendbesuche bei ihren Eltern vorbei. Außerdem hat die CDU nicht viel Rückhalt in der Region, sie liegt an dritter Stelle hinter den Sozialdemokraten und den Nachfolgern der ostdeutschen Kommunisten, der PDS.

"Das könnte sich ändern, wenn ihre Politik anfängt, die wirtschaftliche Situation hier zu verändern", sagt Löwe, aber er fügt hinzu, dass er nicht erwartet, dass bald Merkel-Gedenksteine enthüllt werden. "Ich bezweifle, dass die Menschen hier jemals anfangen werden, Merkel-T-Shirts zu tragen. Das ist einfach nicht unsere Art, Dinge auszudrücken", ergänzt er.

Ein Drahtseilakt für die Partei

Für die CDU war es ein heikler Drahtseilakt, Angela Merkels Image und die Gespräche über ihre Herkunft zu gestalten. Laut Uwe Andersen, Professor für Politikwissenschaft an der Ruhr Universität Bochum, gab es Befürchtungen in der Partei, dass sie zu sehr als Repräsentantin rein ostdeutscher Interessen angesehen werden könnte und dadurch den größeren Wählerstamm im Westen abschrecken könnte. Deshalb wurde eine Strategie entwickelt, um ihr Ansehen in Westdeutschland zu stärken. "Und es hat funktioniert, aber vielleicht ein bisschen zu gut und nun schwächt es ihren Rückhalt in Ostdeutschland", erklärt er. "Sie hat etwas von dem automatischen Bonus verloren, den sie vielleicht bekommen hätte, einfach nur weil sie von dort kommt."

Aber nicht alle haben solch düstere Ansichten. Ulrike Zündorf, die einen Geschenkartikelladen in Templin besitzt, sagt, dass sie nicht versteht, warum die Menschen dazu tendieren, so negativ über Merkel zu denken. Sie fügt hinzu, dass sie hofft, dass Merkel Ende September ins Kanzleramt einzieht. "Einmal, weil sie Ostdeutsche ist und zweitens, weil sie eine Frau ist", erklärt Zündorf. "Männer haben lange Zeit versucht, es wieder gerade zubiegen und schauen sie, wo wir jetzt sind. Ich könnte mir vorstellen, dass Frauen es besser machen könnten."